Bewertung
***
Originaltitel
Chicago Joe And The Showgirl
Kategorie
Neo Noir
Land
UK
Erscheinungsjahr
1990
Darsteller
Kiefer Sutherland, Emily Lloyd, Patsy Kensit, Keith Allen, Liz Fraser
Regie
Bernard Rose
Farbe
Farbe
Laufzeit
99 min
Bildformat
Widescreen
© Koch Media GmbH
London im Oktober 1944: In ihren Träumen ist die Tänzerin Georgina Grayson (Emily Lloyd) ein Filmstar im Blitzlichtgewitter, ganz nach dem Vorbild der US-amerikanischen Filmdiven aus Hollywood… Am Spiegel ihrer Garderobe hängt Gary Cooper und sie fragt ihre Nachbarin Mrs. Evans (Liz Fraser), ob James Cagney oder George Raft ihr Filmpartner werde, denn „Gangster movies are real life“. Als sie mit ihrem Bekannten, dem Schwarzmarkthehler Lenny Bexley (Keith Allen), im Café ist, kommt ein Lieutenant der US-Army, Ricky Allen (Kiefer Sutherland), zur Tür herein, der laut Bexley von allen „Chicago Joe“ genannt wird. Allen und Bexley setzen sich an einen Tisch, und während ihres Gesprächs sieht Georgina von ihrem Platz, wie der G.I. eine Armeepistole aus seinem Gürtel zieht und sie auf den Tisch legt, worauf Bexley rasch eine Zeitung darüber breitet. Ricky Allen wird in der kommenden Nacht erneut ein krummes Ding drehen. Er ist seit Wochen fahnenflüchtig und hier in London untergetaucht, doch Bexley mahnt ihn zur Vorsicht. Ricky wird auf Georgina aufmerksam und spricht sie an, und sie, die ihn in ihren Tagträumen schon im Zweireiher mit Hut wie einen Gangster des Films imaginiert, lässt ihn wissen, wo er sie in der Nacht noch treffen könne. Als Georgina nach Mitternacht auf den regennassen Straßen unterwegs ist, hält ein Armeelastwagen neben ihr. Die Beifahrertür springt auf und Chicago Joe lädt sie ein mitzufahren…
Der Film, den sein Regisseur Bernard Rose 1990 vollmundig als “the greatest British film ever made“ anpries, war ein Riesenflop an der Kinokasse und einer der von Filmkritikern bis heute meist gescholtenen Filme seiner Zeit. Erst vor wenigen Wochen eröffnete Peter Osterried seine Besprechung der deutschen DVD für kino-zeit.de mit den Worten: „Der elfte Titel von Koch Medias Film Noir Collection hat dort eigentlich gar nichts zu suchen.“ Auch wenn Osterrieds eigene Kategoriesierung eines Film Noirs die Möglichkeit des Neo Noirs in der Reihe strikt ausklammert, ist auffällig, dass in der internationalen Rezeptionsgeschichte das Werk auch nie als “Neo Noir“ klassifiziert wurde. Und selbst Thomas Willmann, dessen Essays Koch Medias Film Noir Collection noch schätzenswerter machen, gibt zu: „Er ist nicht jener Welle des Neo-noir zuzurechnen, die speziell in den 1990ern mit Filmen wie The Last Seduction (USA 1994) oder A Kiss Before Dying (1991) einen Höhepunkt erreichte.“ Um wenige Zeilen später anzumerken, man solle Chicago Joe und das Showgirl doch „einen „Meta-noir“ nennen. Er ist ein Film über eben jene Zeit, die das Phänomen „noir“ hervorbrachte, und die Wechselwirkung von Bildern und Wirklichkeit.“ Das beantwortet aber die von Osterried implizit gestellte Frage in keiner Weise: Warum erscheint ausgerechnet dieser Film in einer Reihe, die sich bei unveröffentlichten Klassikern des Film Noirs dutzendfach bedienen könnte? Ungeachtet der Tatsache, dass der 1990er Film als true-crime-biopic nach dem realen Fall des Gangsterpärchens Karl Hulten und Betty Jones und einem Drehbuch David Yallops in der Kooperation mit Bernard Rose ein vielschichtiges und spannendes Drama sein könnte, wird dessen Erscheinen in der Film Noir Collection von Peter Osterried (und anderen) zu Recht kritisiert.
© Koch Media GmbH
Cineasten lieben es, Filmflops auszugraben und sie Jahrzehnte später neu auf ihren Wert zu taxieren. Manches, was früher Kassengift war, hat heute Kultstatus erlangt – von Edmund Gouldings Der Scharlatan (USA 1947) über John Frankenheimers Der Mann, der zweimal lebte (USA 1966) bis zu Sidney Lumets Sein Leben in meiner Gewalt (UK/USA 1972). Aber Chicago Joe und das Showgirl ist nicht so ein Film. Natürlich gibt es aufgrund seines Retro-Stils, der streckenweise gelungen ist, Anleihen ans Film-Noir-Kino, zumal Rose an der Hommage überaus gelegen ist. Aber schon die ersten 15 Minuten sind zu hastig erzählt und die Charaktere agieren völlig unglaubwürdig, so dass Willmanns Hinweis auf den artifiziellen Charakter als Intention – „Alles ist Kino.“ – zwar zutreffend sein mag, das jedoch weder die Spannung noch den Wert der Erzählung erhöht. Nein, dies ist nicht Godard, und es ist eben auch nicht Bonnie und Clyde (USA 1967), mit dem der Film gern verglichen wird, auch nicht Gefährliche Leidenschaft (USA 1950) oder Badlands (USA 1973). Chicago Joe und das Showgirl, ob authentisch oder nicht, hinterlässt als Filmdrama kaum mehr als ein Achselzucken. Der Film verspielt reihenweise Möglichkeiten, seine Charaktere – von Lloyd und Sutherland solide dargestellt – bleiben blass und uninteressant. Wer einen Tatsachenfilm sehen will, der ins Neo-Noir-Terrain driftet, sollte sich Cafe Society (USA 1995) oder Torso – das Geheimnis der schwarzen Witwe (CAN 2002) anschauen, die mit klasse Charakterportraits aufwarten und ihre Geschichten so auf den Punkt bringen, dass sie einen bleibenden Eindruck hinterlassen.
Tolle DVD-Edition (2012) der Koch Media GmbH, ungekürzt mit Tonspuren auf Englisch und Deutsch (ohne Untertitel), den deutschen und englischen Kinotrailer, das 12seitige Booklet mit Essay inkl. Filmfotos sowie eine Bildergalerie als Extras. Doch das Bildformat ist mit 1.37:1 (4:3) falsch. Thomas Willmann behauptet, „…in die Kinos kam der Film im Format 1:1,66 doch offensichtlich ist die Kadierung so gewählt, dass sie stets auch im „klassischen“ 1:1,33 (…) funktioniert.“ Das mag so sein, doch Fakt bleibt: Der Film ist in der Edition nicht im Originalformat veröffentlicht und es erscheint fragwürdig. Die englische DVD (2008) von Metrodome Distribution bringt den Film in 16:9 - 1.85:1, also Widescreen.