Neo Noir
| International
| 1990
| Aki Kaurismäki
| Timo Salminen
| Jean-Pierre Léaud
| Serge Reggiani
Bewertung
****
Originaltitel
I Hired a Contract Killer
Kategorie
Neo Noir
Land
FIN/UK/GER/SWE/FRA
Erscheinungsjahr
1990
Darsteller
Jean-Pierre Léaud, Margi Clarke, Kenneth Colley, Serge Reggiani, Nicky Tesco
Regie
Aki Kaurismäki
Farbe
Farbe
Laufzeit
76 min
Bildformat
Widescreen
© Pandora Film GmbH & Co. Verleih KG
London: Der französische Einwanderer Henri Boulanger (Jean-Pierre Léaud) arbeitet seit 15 Jahren als Bürokraft für die königlichen Wasserwerke. Als die Institution privatisiert werden soll, wird Boulanger zu seinem Chef (Trevor Bowen) gebeten. Der informiert ihn kurzerhand über seine sofortige Entlassung, denn einen schriftlichen Arbeitsvertrag hat es nie gegeben. Zum Abschied gibt es noch eine goldene Armbanduhr, aber der allein lebende Boulanger, dessen Adressbuch so gut wie keine Einträge verzeichnet, ist seines Lebens müde. Er entscheidet sich dafür, ihm ein Ende zu bereiten. So besucht er seine Vermieterin (Angela Walsh), händigt ihr in bar die restliche Miete aus und informiert sie darüber, dass er auf Reisen gehe. Doch ein Versuch sich zu erhängen, scheitert kläglich. Als er daraufhin seinen Kopf in den Ofen steckt und das Gas andreht, treten ausgerechnet in diesem Augenblick die städtischen Gasbetriebe in den Warnstreik und kappen die Versorgung. Darüber liest Boulanger am nächsten Tag in der Zeitung und genau dort findet er auch den Hinweis auf das Gewerbe der Auftragsmörder. Er versetzt in einer Pfandleihe die goldene Uhr und hebt von seinem Bankkonto alle Ersparnisse ab. Am Abend spricht Boulanger einen Taxifahrer (Cyril Epstein) an und lässt sich in eine entlegene Gegend kutschieren, wo er die Honolulu Bar findet. Am Tresen trifft er die Gangster Pete (Nicky Tesco) und Al (Charles Cork), die ihn in ein Hinterzimmer geleiten, darin ihr Boss (Michael O’Hagan) residiert. Ihm händigt Boulanger einen Umschlag mit Geld und ein Porträtfoto seiner selbst aus und beauftragt ihn einen Mord zu initiieren, den Mord an Henri Boulanger…
“In seiner Hommage an der “film noir” geht Aki Kaurismäki gewohnt mit sparsamsten Mitteln zu Werk”, heißt es im Klappentext der deutschen DVD-Edition (2009) der Pandora Film GmbH & Co. Verleih KG. ”Aki Kaurismäki (…) often draws on noir style and conceits, from the London-set I Hired A Contract Killer (1990) to his Finnish trilogy, including The Man Without A Past (2002)”, vermerken Alexander Ballinger und Danny Graydon in ihrem The Rough Guide to Film Noir (2007). Tatsächlich wimmelt es nicht nur von stilistischen Anleihen an den Film Noir der Vierziger und Fünfziger. Bereits im Vorspann seines dem englischen Regisseur Michael Powell (Augen der Angst, UK 1960) gewidmeten Werks macht Kaurismäki deutlich, dass er das Leben in der Großstadt London gezielt inszeniert. Zu den Klängen von Billie Holidays Version von Time On My Hands sehen wir die abendliche Tristesse der Metropole in ihrer surrealen Schönheit – von Menschen geschaffene und verlassene Orte der Sehnsucht. Während die Szenen in der Honolulu Bar und das Sujet des Auftragsmords an Film-Noir-Klassiker wie Bretaigne Windusts Der Tiger (USA 1951) oder Fred Zinnemanns Akt der Gewalt (USA 1948) denken lassen, durchzieht zugleich ein bissiger Humor dieses Werk, das stark in einer europäischen Tradition der Sechziger steht. Dass der aus Filmen Truffauts und Godards bekannte Jean-Pierre Léaud (Made In USA, FRA 1966) und der bei Jean-Pierre Melville einst prominent besetzte Serge Reggiani (Der Teufel mit der weißen Weste, FRA/ITA 1962) hier vertreten sind, ist sowenig ein Zufall, wie auch Wim Wenders die Wahl von Darstellern stets als ein Zitat verstanden haben wollte.
© Pandora Film GmbH & Co. Verleih KG
Doch ist I Hired A Contract Killer alles andere als kopflastig und trotz des Anstrichs europäischen Kunstkinos ein Film, dessen Ironie und Lust an Abschweifungen - Boulanger lauscht in einer Bar einem Auftritt Joe Strummers und nippt an einem Getränk - sich jedwedem Schubladendenken verweigert. Neben der triftigen Kameraarbeit und dem Sinn für Drehorte und Situationen lebt die Erzählung von der bereits erwähnten Sparsamkeit und Tristesse. Gewürzt mit Blues- und Jazzstücken der Fünfziger und Sechziger finden Henri und Margaret (Margi Clarke) als Paar auf der Flucht zueinander und landen in einer Oase, wo die Zeit stillzustehen scheint – in einem „französischen“ Imbiss für den Cineasten europäischen Kinos. Kein Film Noir ohne eine Wurzel im Urgrund der Romantik, wie auch Kaurismäki sicher weiß, so dass manche Wendung nicht allein grotesk erscheint sondern auch eine Herzensangelegenheit darstellt. I Hired a Contract Killer ist kein Film Noir im herkömmlichen Sinn sondern eine Hommage an denselben, die auch den Zuschauer mit einigem Abstand auf die Wirrnisse modernen Lebens blicken lässt. Insofern sollte man seine Erwartungen korrigieren, um nicht enttäuscht zu werden, denn Aki Kaurismäkis Vision ist hier einerseits bösartig, andererseits lässig und leicht.
Erstklassige DVD-Ausgabe (2009) der Pandora Film GmbH & Co. Verleih KG, die den Film ungekürzt im Originalformat mit wahlweise deutschem oder englischem Ton, optional deutschen oder französischen Untertiteln präsentiert. Sehenswert!