Im vollends herunter gekommenen Teil einer Großstadt im Süden der USA: Der hiesige Pathologe (Method Man) geht im örtlichen Leihenschauhaus seiner freudlosen Arbeit nach. Zumeist bringen die Fahrer der Polizei, Officer Laurel (David Jensen) und Officer Hardy (Randal Reeder), die Opfer von Hinrichtungen aus Kämpfen der ansässigen Straßengangs. Der Pathologe, selbst dunkelhäutig, ist ein scheuer, zurückgezogener Mensch, der sich den latent rassistischen Sticheleien einer von Carver (Dash Mihok) angeführten Jugendbande zu entziehen sucht. Seine Garderobe, die einer längst vergangenen Zeit entstammt, ist stets korrekt und nach Dienstschluss verdient er sich als Tierpräparator noch Geld hinzu. Überall in seiner Wohnung stehen ausgestopfte Tiere, deren Kadaver er im Kühlschrank verwahrt. Als er eines Tages Zeuge wird, wie jemand die Leiche einer Frau in einem Abwasserkanal entsorgt, schaut er einfach weg. Kurz darauf später stellt ihm sein Chef Petrovsky (Edward Furlong) seinen neuen Assistenten Noah (E.J. Bonilla) vor, der vor Ort auf Bewährung seine Haftstrafe abbüßt. Der Pathologe wird ungern aus dem Takt seiner rituellen Gewohnheiten gebracht, doch mit Noah zieht ein störendes Element in sein Leben ein. Er beginnt sich zu erinnern, hört abends Stimmen von Leuten, die ihn einst zu sich nahmen... Eines Tages liegt die Leiche der jungen Jenny (Judy Marte) auf seinem Seziertisch. Die Tätowierung auf ihrem Bauch ist ein Abbild der Venus von Milo. Dies löst in dem stillen Mann eine Welle von Erinnerungen aus. Eine seit langem verdrängte Vergangenheit gerät in Bewegung…
Der Sezierer ist eine englische Produktion, die in den USA spielt und z.T. in New Orleans gedreht wurde, und es ist vor allem ein B-Film. Son Of Noir: Neo-Film Noir and the Neo B-Picture betitelte Alain Silver schon 1996 einen Aufsatz, in dem es um die Wiederaufnahme der Film-Noir-Tradition im neuen B-Film der USA durch John Dahl u.a. ging. Autor und Regisseur Gareth Maxwell Roberts tritt mit Der Sezierer eindeutig in die Fußstapfen solcher Entwicklung. Wie ein B-Film der 40er und 50er davon profitierte, sich nicht vollends an die vom Diktum des Publikumserfolgs bestimmten Vorgaben für Großproduktionen halten zu müssen, so wenig findet sich hier jene in Klischees verfestigte Typologie so vieler Kinofilme des neuen Jahrtausends. In Der Sezierer gibt es keine Spezialeffekte, keine Actionszenen, keine extreme Brutalität und keine Schnittfolge wie aus einem Musikvideo! Der Film erzählt in Ruhe eine Geschichte, darin ihr jeweils tragisches Schicksal mehrere Personen zusammen führt und mit sich selbst konfrontiert. Somit mag dieser Neo Noir viele Merkmale aufweisen, eins ist er nicht – filmtechnisch spektakulär. Darin wurzeln seine Stärke und sein Problem. Nach Uraufführung auf den 61. Filmfestspielen 2011 in Berlin wurde Roberts’ "Urban Noir Thriller" vor allem von einem Publikum verrissen, das mit Kino einen Rausch der Sinne verbindet, ein orgiastisches Bilderfest in 3D, das Zwecken der Unterhaltung – gern auch als „Abschalten“ beschrieben! – dienen soll. So hat nicht nur sein (an einen Horrorfilm gemahnender) Titel sondern auch der Umstand, dass er in 3D aufgeführt wurde/wird, zu falschen Erwartungen und damit auch Enttäuschung geführt.
© Ascot Elite Home Entertainment
Der Sezierer erinnert in seiner Erzählweise an Betrand Taverniers gleichermaßen gern mal als
„langweilig“ titulierten, großartigen und ebenfalls in Louisiana gedrehten Neo Noir
In The Electric Mist (FRA/USA 2009). Sein Protagonist, jener namenlose Pathologe der Gerichtsmedizin, gemahnt an den Tierpräparator Esteban Espinosa (Ricardo Darin) in
El aura (ARG 2005) vom allzu früh verstorbenen argentinischen Regisseur Fabián Bielinsky. Auch der Sonderling Monsieur Hire (Michel Blanc) aus Patrice Lecontes Georges-Simenon-Verfilmung
Die Verlobung des Monsieur Hire (FRA 1989) fällt einem ein. Die Klasse dieser Produktionen erreicht
Der Sezierer leider nicht. Der US-amerikanische Rapper des Wu-Tang Clans, Method Man, macht seine Sache als Pathologe keineswegs schlecht. Mit hängenden Schultern, furchtsamem Blick und einem kühlen Understatement gibt er eine gute Performance. Ein Meisterstück der Schauspielkunst findet sich in
Der Sezierer nirgendwo. Vielleicht bieten die Charaktere gegenüber der Atmosphäre ihrer Umgebung zu wenig an Herausforderungen. De facto bleiben sie im Ganzen etwas künstlich. Auch wird die vom Zerfall ihrer Bauten und der Korruption der Herrschenden heimgesuchte Großstadt etwas forciert in den Blick gerückt. Dennoch ist
Der Sezierer ein Stück Neo-Noir-Kino, das komplementär zu nur wenigen Produktionen der letzten Jahre beweist, dass das Erzählkino nicht ausgestorben und das Fundament eines Films sein Drehbuch ist.
Exzellente Blu-ray bzw. DVD der Ascot Elite Home Entertainment inkl. Wendecover: englische oder deutsche Tonspur mit wahlweise deutschen Untertiteln, bildtechnisch topp, ungekürzte 86 Minuten im Originalformat, den original Kinotrailer als Extra. Sehenswert!