Neo Noir
| USA
| 1989
| Walter Hill
| Forest Whitaker
| Lance Henriksen
| Mickey Rourke
| Morgan Freeman
| Ellen Barkin
Bewertung
****
Originaltitel
Johnny Handsome
Kategorie
Neo Noir
Land
USA
Erscheinungsjahr
1989
Darsteller
Mickey Rourke, Ellen Barkin, Elizabeth McGovern, Morgan Freeman, Forest Whitaker
Regie
Walter Hill
Farbe
Farbe + s/w
Laufzeit
89 min
Bildformat
Widescreen
New Orleans: John Sedley (Mickey Rourke) trägt den Spitznamen Johnny Handsome, weil er mit einem durch einen Geburtsfehler stark entstellten Gesicht leben muss. Er schlägt sich als kleiner Ganove durch, als ihm sein bester Freund Mikey Chalmette (Scott Wilson), der dringend Geld benötigt, die Teilnahme an einem Raubüberfall auf ein Juweliergeschäft vorschlägt. Doch der brutale Rafe Garrett (Lance Henriksen) und seine Freundin Sunny Boyd (Ellen Barkin), die ebenfalls an dem Raub beteiligt sind, erschießen Mikey noch am Tatort und lassen Johnny dort zurück, nachdem sie ihn verfehlten. So wird Sedley als einziger für den Überfall verurteilt und kommt für sieben Jahre ins Gefängnis, wo man ihm Strafmilderung in Aussicht stellt, falls er seine Komplizen verrät. Aber Johnny lässt sich darauf nicht ein und wird auf Betreiben Rafes bei der Baumwollernte von zwei Häftlingen niedergestochen. Doch die Attacke verläuft nicht tödlich. John Sedley erwacht in einem Krankenhaus und lernt den Chirurgen Dr. Steven Fisher (Forest Whitacker) kennen. Jener verspricht ihm eine mögliche Freilassung auf Bewährung, falls er sich für einen chirurgischen Eingriff zur Verfügung stellte, der seine Deformation des Gesichts vollkommen beheben könnte. Und John Sedley, der nichts mehr zu verlieren hat, willigt ein, als kurz darauf Lieutenant A.Z. Drones (Morgan Freeman) bei Fisher vorstellig wird…
Es sind tendenziell viele Filme, deren Publikums- und/oder Kritikererfolg mir zeitlebens ein Rätsel bleiben wird. Hinzu kommt eine Handvoll, die im Gegenteil sowohl an der Kinokasse als auch im Feuilleton floppten und bis heute kaum Kultstatus erreichten. Ein solcher Fall ist Johnny Handsome – Der schöne Johnny, der sich vor allem in den USA keiner Beliebtheit erfreut, was nicht am dämlichen deutschen Verleihtitel liegen kann. Doch warum? Walter Hills (Driver, USA/UK 1978) spannender Neo Noir, darin die Stadt New Orleans eine prominente Rolle spielt, ist um Längen besser als der Blockbuster-Junk, der allerorten so populär ist. Aber sowenig wie Sam Peckinpah, Don Siegel oder Samuel Fuller, war Walter Hill unter den US-Regisseuren ein Intellektueller. Das Publikum erwartete von ihm Action. Auch davon gibt es einiges in Johnny Handsome. Doch Drehbuchautor Ken Friedman sowie Regisseur Hill konzentrieren sich mehr auf den Rollencharakter des Protagonisten. Nach einem fulminanten Auftakt lassen sie sich Zeit mit ihm, und was es braucht, damit derlei gelingt, sind erstklassige Schauspieler. Genau die gibt es in Johnny Handsome. Mickey Rourke, ab den Neunzigern durchgehend auf Routineleistungen abonniert, spielt exzellent. Morgan Freeman, Forest Whitacker und Ellen Barkin stehen ihm kaum nach, und auch Elizabeth McGovern (Ragtime, 1981) erweist sich als gute Wahl. Bis Johnny mit seinen Erzfeinden wieder in Kontakt tritt, dauert einerseits, doch ist Walter Hill andererseits ein Mann mit einem herausragenden Gespür fürs Timing. Wer sich auf die Geschichte einlässt, wird ihr keinen Mangel an Spannung vorwerfen können.
Doch vielleicht sind es gerade die Film-Noir-Elemente, die beim Publikum die verhaltene Reaktion auslösten. Johnny Handsome ist nicht die romantische Krimiposse mit dem ewig Unverstandenen als der ehrlichen Haut in der Titelrolle, wie es Poster und Aushangfotos jener Tage vielleicht nahelegten. Im Gegenteil! Der Film ist überraschend brutal und unsentimental, und reflektiert den Sozialdarwinismus in den USA post Ronald Reagan ohne Wenn und Aber. Von Gier und Rachedurst Getriebene, eine finster berechnende Femme fatale, entweder falsche oder versteckte Identitäten und Freeman als zynisch durchtriebener Cop – bis auf Donna McCarty aka McGovern und Dr. Fisher spielt jeder nur für sich. Die Zutaten für einen Neo Noir erster Güte finden sich schon im Skript. Walter Hill und sein Kameramann Matthew F. Leonetti besorgen den Rest. Wie in Burt Kennedys Der Mörder in mir (USA 1976) oder J. Lee Thompsons Murphys Gesetz (USA 1986), zwei ebenso verschmähte Neo-Noir-Titel, liefert Hill eine erstklassige Fotografie mit Zitaten aus dem klassischen Film Noir. Dazu kommt der Soundtrack Ry Cooders, dessen Arrangements an einigen Stellen etwas überladen und „typisch Achtziger“ wirken, der über weite Strecken aber für eine stimmungsvolle und kaum penetrante musikalische Einfärbung sorgt. Johnny Handsome ist kein Meisterwerk, aber ein kurzweiliger Film Noir mit exzellenten Darstellern, tollen Schauplätzen und einem konsequenten Finale. „This is a movie in the true tradition of film noir“, schrieb der US-amerikanische Filmkritiker Roger Ebert bereits im September 1989 und dem ist nichts hinzuzufügen.
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