Quo Vadis, Baby?

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Bewertung
****
Originaltitel
Quo Vadis, Baby?
Kategorie
Neo Noir
Land
ITA
Erscheinungsjahr
2005
Darsteller

Angela Baraldi, Gigio Alberti, Claudia Zanella, Andrea Renzi, Elio Germano

Regie
Gabriele Salvatores
Farbe
Farbe + s/w
Laufzeit
102 min
Bildformat
Widescreen

 


 

 

Bologna, Hauptstadt der Region Emilia-Romagna, Italien, in den 60ern: Glücklich war die Kindheit von Ada (Daphne Fabbri) und Giorgia Cantini (Ludovica Trolese) zu der Zeit als Ada, die Ältere, ihren achten Geburtstag feierte und Ballettschuhe geschenkt bekam. Sie lebten mit ihrer Mutter (Stella Vordemann) und mit ihrem Vater (Ferdinando Maddaloni) als Familie in Geborgenheit… Im Alter von 40 Jahren arbeitet Giorgia (Angela Baraldi) als Privatdetektivin in der Detektei ihres Vaters (Luigi Maria Burruiano), der von allen “Il capitano“ gerufen wird. Heute steht sie weit oben im Treppenhaus eines Gebäudes bei den schiefen Türmen Asinelli und Garisenda am Ursprung der Via Emilia. Von hier hat sie die Fensterfront eines tieferliegenden Hauses im Blick, wo der nackte Amante Comolli (Fabio Maltoni) einer blonden Schönheit zusieht, die sich für ihn entblättert. Giorgia ist mit einer Spiegelreflexkamera samt Teleobjektiv ausgerüstet und schießt Fotos von dem untreuen Ehegatten - im Auftrag von dessen Frau (Ewa Krawczuk), die ihn des Ehebruchs verdächtigt. Beim Frühstück wird Giorgia auf ein Paket im Wohnzimmer aufmerksam, auf dem ihre Katze hockt, und öffnet es mit einem Messer. Es enthält eine Vielzahl von VHS-Videokassetten und einen Brief von Aldo, der ihr mitteilt, dass es sich um Adas Filmtagebuch handele, das sie ihm einst aus Rom zugesandt habe. Es sei ein Wunder, dass er es wiedergefunden habe. Doch sicher werden die Videos 16 Jahre nach ihres Schwesters Selbstmord für Giorgia von Interesse sein…

 

“Italian director Salvatores’ (…) movie moves (…) into darker film noir territory as it follows the efforts of Giorgia (…), a spikey, single, fortysomething private investigator, to unravel the suspicious suicide of her aspirant actress sister”, fasst es Wally Hammond für Time Out zusammen. Für mich ist Gabriele Salvatores dunkles Drama ein überraschend gelungenes Beispiel für einen Neo Noir europäischer Gangart, wie das im frühen 21. Jahrhundert auch auf Paolo Sorrentinos The Consequences Of Love (ITA 2004) oder Fernando Truebas El embrujo de Shanghai (ESP/FRA/UK 2002) zutraf. Ohnehin gibt es in der Tradition des Filmstils nicht so viele weibliche Privatdetektive, wie einer womöglich denkt: George Blairs Exposed (USA 1947), William Girdlers Sheba, Baby (USA 1975) und Jeff Kanews V.I. Warshawski – Detektiv in Seidenstrümpfen (USA 1991) sind einige Beispiele, doch keines davon gefiel mir so gut wie dasjenige, das Gabriele Salvatores abliefert. Basierend auf dem gleichnamigen Roman der Autorin Grazia Verasani (EA 2004) liegt der einzige Wehmutstropfen der Geschichte darin, dass Giorgia Cantini, sofern es um den Selbstmord ihrer Schwester in Rom vor 16 Jahren geht, kaum echte detektivische Arbeit verrichtet. Als Privatdetektivin in der von ihrem Vater gegründeten Detektei tut sie, womit viele private Schnüffler im Film Noir und Neo Noir ihr täglich Brot verdienen. Sie versucht untreue Ehefrauen und Ehemänner zu überführen, indem sie von deren Techtelmechtel mit einer oder einem Geliebten Fotos schießt. Das ist ein monotones und für niemanden sonderlich erfreuliches Geschäft, auch wenn Giorgia am Ende erfolgreich ist und den Verdacht bestätigen hilft: daran lässt der Film keinen Zweifel. Nachdem sie vor 16 Jahren seitens ihres Vaters über den Tod ihrer Schwester keinerlei greifbare Informationen erhalten hatte, reißt der Karton mit Videokassetten, auf denen Ada ihr Tagebuch hinterließ, sie in den Strudel einer Familiengeschichte zurück, deren Tragik Verletzung und Trauma hinterließen. 

 

Letztere sind das zentrale Thema des Films, nicht die detektivische Arbeit, fallen Giorgia die Indizien, welche schließlich Licht in auf die letzten Monate im Leben der geliebten älteren Schwester werfen, doch quasi in den Schoß. Wer einen Thriller erwartet, wird das wiederum unbefriedigend finden, und tatsächlich wurde und wird Salvatores‘ Neo Noir deshalb häufig kritisiert. Nimmt man Quo Vadis, Baby? aber als das, was es stattdessen ist, ein rabenschwarzes Drama über die Konfusion und Hilflosigkeit einer Generation, ist das ein verblüffend pointierter und bis zum Schlusspunkt konsequent durchkomponierter Film. Schon frühzeitig lässt sich ahnen, welches Ereignis der Kindheit die Schwestern so tiefgreifend beeinflusste. Dennoch sind Finale und Schluss ebenso ernüchternd wie zugleich berührend. Die Privatdetektivin Giorgia Cantini raucht, trinkt, kifft und führt einen ebenso unabhängigen wie rastlosen Lebensstil, den ausgerechnet ihr junger Kollege Lucio (Elio Germano) in einer wunderbaren Szene klug zu hinterfragen weiß. Mit Musik von Blondie, Talking Heads, Ultravox und Ramones reflektiert Giorgias Geschichte die Identitätsfragen ihrer Generation, ohne im mindesten aufdringlich oder modisch zu wirken. In Deutschland lief der Film, dessen Titel Bernardo Bertoluccis Der letzte Tango in Paris (ITA/FRA 1972) entnommen ist, weder im Kino noch im Fernsehen. Im Finale spielt Fritz Langs M – Eine Stadt sucht einen Mörder (GER 1931) eine zentrale Rolle. Das einzige was hier so richtig verunglückt erscheint, ist das original Filmplakat, das mit dem Film rein gar nichts zu tun hat. Im Jahr 2008 verfilmte Guido Chiesa Grazia Verasanis Roman als eine sechsteilige TV-Serie, erneut mit Angela Baraldi in der Rolle der Giorgia Cantini. 

 

Von Quo Vadis, Baby? gibt es eine exzellente britische DVD-Edition (2006) der Yume Pictures Ltd. mit dem Film bild- und tontechnisch topp und ungekürzt im Originalformat, das Ganze mit original italienischer Tonspur und optional englischen Untertiteln, ein Making Of, geschnittene Szenen, ein Interview mit Gabriele Salvatores sowie dessen Biographie und Filmographie und zudem den original Kinotrailer als Extras. Empfehlenswert!

 


Neo Noir | 2005 | International | Gabriele Salvatores | Elio Germano

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