Nikolaj Lie Kaas, Ulf Pilgaard, Laura Christensen, Tuva Novotny, David Dencik
Kopenhagen, Dänemark: Der Staranwalt Jonas Bechmann (Nikolaj Lie Kaas) joggt in hohem Tempo durch einen herbstlichen Wald, bis ihn der Weg genau zu der Stelle führt, an der vor 18 Monaten sein Vater Peter Bechmann (Henning Jensen), ebenfalls Rechtsanwalt in einer angesehenen Kanzlei, mit dem Auto tödlich verunglückte. Im Prozess gegen die Angeklagte Kathrine Malling (Marijana Jankovic), die einen Mann, der es auf ihre Tochter abgesehen hatte, in ihrer Wohnung niederstach, gelingt Jonas Bechmann wieder ein Freispruch. Als sie ohne sich zu verabschieden und völlig emotionslos den Gerichtsaal verlässt, blickt ihr Bechgmann erstaunt hinterdrein, wobei sein Blick auf eine schadhafte Stelle des Tisches fällt. Einst randalierte hier der des Mordes angeklagte Claes Kiehlert (Kim Bodnia), der in seinem Prozess von Jonas‘ Vater Peter vertreten worden war. Die Staatsanwaltschaft hatte nur ein einziges Beweisstück - die Spritze, mit welcher das Opfer eine tödliche Injektion erhielt und die in Kiehlerts Wagen gefunden worden war. Drei Tage vor Urteilsverkündung verschwand sie aus der Asservatenkammer der Polizei und man erwartete einen Freispruch Kiehlerts, aber plötzlich tauchte sie wieder auf. Kiehlert wurde zu einer 16-jährigen Haftstrafe verurteilt; Peter Bechmann hatte den Prozess verloren und lud seinen Sohn auf einen Umtrunk ein… Als Jonas heute aus der Tür tritt, wartet dort wider Erwarten seine Verlobte Camilla (Tuva Novotny), die gern mit ihm zu Mittag äße, doch Jonas hat leider keine Zeit für sie…
Seit über 25 Jahren sind skandinavische Film- und Fernsehgesellschaften berühmt für den sogenannten Nordic Noir und haben ein internationales Pubikum mit hoch spannenden und teils brisanten Produktionen beglückt. Von Kjell Sundvalls Jägarna (SWE 1996) und Erik Skjoldbjærgs Insomnia - Todesschlaf (NOR1997) über die Verfilmung von Stieg Larssons Millenium-Trilogie (SWE/DNK/GER/NOR 2009) und die der Romane um Gunnar Staalesens Privatdetektiv Varg Verum (NOR/SWE/GER 2007-2012) oder TV-Serien à la Die Brücke – Transit in den Tod – Staffel 1 (SWE/DNK 2011) bis zu neueren Erfolgen wie The Valhalla Murders (ISL 2019-2020) hat sich solche Spielart des Neo Noirs in vielen Formaten etabliert. Auch Kasper Barfoeds Der Kandidat ist Teil des umfangreichen und qualitativ meist hochwertigen Katalogs mit Dramen und Thrillern jenseits der ausgetretenen Pfade. Was mich betrifft, haben viele der Filme und Serien meine Erwartungshaltung in die Höhe getrieben, weshalb ich beim Genuss eines Werks des Nordic Noirs damit rechne, dass meine Ansprüche erfüllt werden. Zudem hatte ich mehrere der hier beteiligten Schauspieler bereits in hochwertigen Produktionen erleben dürfen, unter ihnen Kim Bodnia (Die Brücke – Transit in den Tod – Staffel 1 (SWE/DNK 2011), Nikolaj Lie Kaas (Erbarmen, DNK/GER/SWE/NOR 2013) und David Dencik (Verblendung, SWE/DNK/GER/NOR 2009). Aber trotz all der Vorzeichen und einer im Grunde clever konstruierten Geschichte erleidet Kasper Barfoeds Der Kandidat auf ganzer Linie Schiffbruch. Denn der im Zentrum stehende Rollencharakter, Rechtsanwalt Jonas Bechmann, ist nicht bloß unsympathisch, er ist auch unfassbar dämlich und als Jurist, der sich einen Ruf als Verteidiger erwarb, voll und ganz unglaubwürdig. Genau letzteres ist, was eine Erzählung, die in ihrer Anlage vielversprechend ist, so beschädigt, dass sie in letzter Konsequenz nicht funktioniert.
Nikolaj Lie Kaas ist ein guter Schauspieler. Als aufstrebender, ambitionierter Staranwalt, muss er jedoch vor allem in einer Kunst bewandert sein, in der Kommunikation. Jonas Bechmann benimmt sich von A bis Z wie ein verstockter Schuljunge, der weder mit seiner Freundin noch mit den ehemaligen Partnern seines Vaters, von denen Martin Schiller (Ulf Pilgaard) sein Patenonkel ist, die mindeste Chemie hat. Er spricht nur mit Mühe und meist unklar, vermag Camilla, die selbst eine Juristin und im Hauptberuf an der Universtät als Dozentin tätig ist, die Umstände des Todes seines Vaters und seine aktuelle Verfassung nicht zu erklären. Nein,. Im Grunde ist es noch schlimmer: Er versucht es gar nicht, lässt sich stattdessen dank seines Freunds Michael (Daniel Dencik) mit zwei Frauen ein, obwohl er es nicht will… All das wirkt viel zu konstruiert und in der Umsetzung ruckelt und hapert es, anstatt sich flüssig und schlüssig voran zu bewegen. Die Auflösung ist solide, der wahre Täter dem aufmerksamen Zuschauer allerdings längst bekannt, auch der Schluss ist vorhersehbar. Was ein mittelprächtiger Thriller hätte werden können, wird trotz guter Schauspielerleistungen durch eine eigentümlich missglückte Anlage des Protagonisten im Zentrum der Handlung in den Teich gesetzt. Nicht zu empfehlen!
Der Thriller erschien in Deutschland via Edel Germany GmbH als bild- und tontechnisch exzellente BD- bzw. DVD-Ausgabe (2013) und zwar als Lizenz der ZDF Enterprises GmbH - ungekürzt im Originalformat und mit leider einzig der deutschen Synchronisation, d.h. ohne die original dänische Tonspur und ohne jedwede Untertitel, zudem ohne Extras. Vor allem das Fehlen des Originaltons ist ein Manko der Edition.