Hurd Hatfield, Jean Willes, Tom Powers, Ray Walker, Charles Russell
© Columbia Pictures Corporation
San Francisco, Kalifornien: Die Metropole am Pazifik hat außer ihren Cable Cars, dem Fisherman‘s Wharf und der Market Street noch eine Touristenattraktion zu bieten, wie der Erzähler weiß: Chinatown. Bei Nacht ist das am dichtesten besiedelte, exotischste Stadtviertel der USA nicht ungefährlich… Am 10. Oktober betritt Clifford Ward (Hurd Harthfield), ein Mann von 28 Jahren, am Abend einen Laden für Inneneinrichtung und Dekor, der von Lisa Marcel (Jacqueline DeWit) geführt wird. Er bringt ihr eine antike Holzschachtel mit aufklappbarem Deckel, von der sich Ms. Marcel einen guten Preis erhofft, und sie dankt Clifford die Lieferung mit einem Kuss. Morgen müsse sie nach Carmel-by-the-Sea, dort sei ein Haus einzurichten und mit einigen chinesischen Antiquitäten, aus weißer Jade womöglich, könnte es ihr gelingen es aufzuwerten. Im Laden von G.L. Wing habe sie eine Jade-Vase gesehen, direkt hinterm Verkaufstresen. Ob er, Clifford, sie ihr besorgen könne, möchte Lisa wissen, und jener bejaht und verspricht vorsichtig zu sein. In einem Sightseeing-Bus voller Touristen lässt sich Clifford Ward nach Chinatown fahren. Dort angekommen, trennt er sich unbemerkt von der Gruppe, die eine Führung erhält. Minuten später betritt er Wings Antiquitätengeschäft, wo lediglich der Sohn Joe Wing (Benson Fong) dem scheinbar Interessierten die Vase zeigen kann, sein Vater sei abwesend. Ward zückt eine Pistole, verschließt die Ladentür und lässt sich die Vase einpacken, bevor er den jungen Chinesen kaltblütig erschießt…
“This is a fairly competent and successful effort for all involved, except the hack screenwriters (…) heavily steeped in the noir visual style”, schreibt Mark Fertig für Where Danger Lives und bringt damit sowohl Inhalt als auch Form dieses B-Films der Columbia Pictures Corp. adäquat zur Sprache. Tatsächlich hat man mit der ersten Szene, in der Hurd Hatfield in Lisas Laden tritt, schon den Eindruck, sich auf dem familiären Terrain des Film Noirs zu befinden, und die nachfolgende Stunde lässt daran nicht den geringsten Zweifel aufkommen. Im Fahrwasser von Alfred L. Werkers Schritte in der Nacht (USA 1948) folgt die Filmhandlung der Fahndung nach jenem Mörder, der in G.L. Wings Antiquitätengeschäft in Chinatown zwei junge Leute exekutierte und im Anschluss selbst auf Chinesisch die Polizei verständigte. Vergleichbar mit Roy Morgan (Richard Basehart) in Werkers Film des Vorjahrs ist auch Clifford Ward nicht der typische Killer, wie der Kinobesucher ihn seit Jahrzehnten zu erleben gewohnt war. Auf den ersten Blick wirkt Clifford Ward gepflegt und gutaussehend – ein unauffälliger junger Mann mit angenehmen Umgangsformen, fast ein All-American-Boy und somit die Antithese zu Schurken des Film Noirs, wie sie von Jack Lambert, Charles McGraw oder Lawrence Tierney verkörpert wurden. Am ehesten erinnert Hatfield - er spielte die Hauptrolle in Albert Lewins Das Bildnis des Dorian Gray (USA 1945) - deshalb an Alan Ladd als Philip Raven in Frank Tuttles Die Narbenhand (USA 1942), Vorbild für Richard Baseharts Roy Morgan in Schritte in der Nacht (USA 1948) und für Alain Delon in Jean-Pierre Melvilles Der eiskalte Engel (FRA/ITA 1967). Doch viel mehr als solche eindrücklich portraitierte Figur hat das Drehbuch kaum zu bieten.
© Columbia Pictures Corporation
“You know, sometimes I wonder how you guys get your pants on in the morning without somebody to help you”. Nun, das muss dem Film ebenfalls zugestanden werden: Tom Powers ist in der Rolle des Police Captains Howard Brown perfekt. Neben Victor Sen Yung und Josephine Whittell, je als die Vermieter Clifford Wards in den Unterkünften, die der Killer auf der Flucht nutzt, gehört Powers zu den Charakterdarstellern im Ensemble des Films, das Regisseur Seymour Friedman (Criminal Lawyer, USA 1951) und sein Kameramann Henry Freulich (Mr. District Attorney, USA 1947) deutlich übers limitierte Budget ihrer B-Produktion hinausheben. Aber wie Mark Fertig es bereits auf den Punkt bringt, krankt der Film an seinem Duo von Drehbuchautoren Frank Burt und Robert Libbott (The Strange Mrs Crane, USA 1948), die zwischen 1948 und 1958 stets zusammenarbeiteten. Im letzten Drittel fällt ihnen rein gar nichts mehr ein. Die Rolle von Jean Willes, im Vorspann an zweiter Stelle genannt, beginnt in der 48. Minute des Films und dauert exakt 3 Minuten und 25 Sekunden, danach verschwindet sie von der Bildfläche. Das Finale ist ein Standard, wie er im kommenden Jahrzehnt hundertfach in TV-Serien zu sehen war. Absolut nichts und niemand greift auf den ungewöhnlichen Drehort Chinatown und die Besonderheiten Clifford Wards als malariakrankem Killer mit einem Faible für Fremdsprachen zurück. Alles in allem eine obskure Ergänzung des Kanons, durchaus unterhaltsam, letztendlich jedoch nicht ansatzweise so gut, wie der Film hätte sein können.
Obwohl es in den letzten Jahren in den USA auf Filmfestivals gezeigt wurde, gibt es bis heute (2022) weltweit keine BD- oder DVD-Edition des Werks, das Freunden klassischen Film Noirs in Online-Portalen in Form einer bild- und tontechnisch miserablen Fassung mit Originalton ohne Untertitel, ungekürzt und im korrekten Bildformat zur Verfügung steht.