Gabriel Byrne, Sibylla Deen, Mark Addy, Jan Uddin, Reece Ritchie
Bradford in Yorkshire, England: Der Milliardär Demi Lampros (Harvey Keitel), ein Familienoberhaupt jenseits der 70 und griechischer Abstammung, lässt sich von dem treuen Chauffeur Donald (Gabriel Byrne) regelmäßig zum Stelldichein mit der 26-jährigen Jura-Studentin Amber (Sibylla Deen) fahren. In einem Luxusapartment außerhalb der Stadtgrenze genießen die beiden ihre Zeit zu zweit, indessen Donald im Maybach ein Nickerchen macht. Völlig überraschend aber stirbt Demi und bei dessen Beerdigung beobachtet Donald dessen Frau Lydia (Toyah Wilcox) und den Sohn Nathan (Reece Ritchie) in ihrer Trauer um den verlorenen Ehemann und Vater. Donald lebt zusammen mit seinem Schwager Billy (Mark Addy) auf der Dell Farm, einem alten Bauernhof voller halb verfallener Schuppen, Traktoren und Autos in allen Zuständen des Verfalls. In einem unterhält Donald ein erlesenes Weinlager und öffnet heute einen von Demi Lampros für ihn hinterlegten Umschlag, der neben einer erheblichen Summe Bargelds auch einen Abschiedsbrief beinhaltet. Darin bittet der reiche Mann seinen Chauffeur darum, die Spuren seines Verhältnisses zu Amber ein für allemal zu tilgen. So fährt Donald als erstes zum Apartment, darin sein nunmehr verstorbener Arbeitgeber viele schöne Stunden verlebte, Nachdem er die Zimmer inspiziert hat und sich soeben im zweiten Stock der Wohnung aufhält, öffnet sich die Haustür und Amber tritt herein. Donald, diskret und loyal, verstekt sich vor der jungen Frau, die nun zu duschen beschließt…
Der pakistanischstämmige Unternehmer und Multimillionär Mitu Misra hat sich einen Lebenstraum erfüllt. Als Autor der zugrundeliegenden Geschichte und als Regisseur drehte der in Bradford, England, aufgewachsene und bis heute dort lebende Geschäftsmann im Alter von 57 Jahren einen Thriller namens Lies We Tell. Während seiner Jugend in der Schule oft verprügelt und als “Paki!“ denunziert, waren es seine Kinobesuche, die ihn in ein Land der hoffnungsvollen Träume entführten. Nachdem es ihm tatsächlich gelungen war, für sein Debüt Gabriel Byrne und (in einer ganz kleinen Rolle) Harvey Keitel zu gewinnen, versuchte er sich also auf dem für ihn neuen Terrain der Filmproduktion. Das Resultat nötigt mir Respekt ab, denn der Autor Mitu Misra hat wirklich etwas zu sagen, aber der Regisseur Mitu Misra erweist sich als anfällig für Fehler, die seinem Mangel an Erfahrung geschuldet sind. So ist Lies We Tell trotz eines tief wurzelnden und glaubwürdigen ethnischen Konflikts im Zentrum der Filmhandlung und trotz eines guten bis sehr guten Schauspiels ein eingeschränktes Vergnügen. Irritierend ist vor allem die sprunghafte Narration, welche Handlungsfäden nicht zusammenführen kann oder will, weshalb der Zuschauer sich vieles selbst erschließen muss oder sich darüber nur wundert und aus dem weiteren Verlauf ausklinkt. Das ist bedauerlich, denn die Geschichte selbst hat viel Potential, das sie zuletzt nicht 1 zu 1 auf die Leinwand bringt.
“Misra’s PR people are billing it as a “northern noir” in the vein of Mike Hodges’ Get Carter (UK 1971) and Mike Figgis’s Stormy Monday (UK/USA 1988)“, schrieb Stuart Jeffries in seinem Portrait des Filmemachers und dessen Projekts aus Anlass des Kinostarts von Lies We Tell im Februar 2018 für The Guardian. Tatsächlich ist das Werk näher an aktuellen Neo Noirs, die ihrerseits die ethnischen Differenzen zwischen Bewohnern eines urbanen Raums in den Mittelpunkt rücken, so wie in Steven Zaillians The Night Of – Die Wahrheit einer Nacht (USA 2016) oder in City Of Tiny Lights (UK 2016), wo in beiden Fällen Riz Ahmed den Sohn einer Familie pakistanischer Einwanderer mimt. Bemerkenswert ist auch, dass in letzterem der von Ahmed verkörperte Londoner Privatdetektiv Tommy Akhtar die Zeile spricht: “I deal in the lies people tell…“. Sollte sich hier jemand mit Blick auf den Titel seines Werks inspiriert gefunden haben? Der britische Neo Noir Lies We Tell wird vom Publikum und von seinen Kritikern meist verrissen und mit harscher Polemik demontiert, doch das hat er nicht verdient. Trotz Fehlern in der Inszenierung und eines etwas holprigen Schlussteils finden sich in der Erzählung von ihren Schauspielern mit reichlich Gespür dargestellte Charaktere, die den zweidimensionalen Comicfiguren vieler über den grünen Klee gelobter Action-Spektakel weit überlegen sind. Nicht jeder Neo Noir ist zudem ein Thriller. Wer sich vom Cover nicht täuschen lässt und Interesse fürs Thema und etwas Nachsicht mitbringt, findet an Lies We Tell womöglich Gefallen. Klar, muss man nicht sehen, ist aber auch kein Ärgernis.
Erstklassige BD- und DVD-Editionen (2019) der Tiberius Film mit dem Film ungekürzt im Originalformat, wahlweise die englische Tonspur oder eine deutsche Synchronisation und optional mit deutschen Untertiteln, als Extras drei Festures zu Kostümen, Drehorten und Storyboard, dazu Interviews mit Crew und Darstellern, ein Behind The Scenes, geschnittene Szenen und Kinotrailer. Vorbildlich!