Robert Mitchum, Peter Boyle, Richard Jordan, Steven Keats, Alex Rocco
© Paramount Pictures
Boston, Massachusetts: Mr. Partridge (Peter MacLean) ist Manager der in einem Vorort gelegenen South Shore National Bank und er fährt wie jeden Morgen mit seinem Mercedes zur Arbeit. Dass er schon beim Öffnen der Garage seines Hauses von Jimmy Scalise (Alex Rocco) und beim Eintreffen auf dem Parkplatz der Bank von dessen Kumpel Artie Van (Joe Santos) beobachtet wird, bemerkt er nicht. Letztere notieren sich die Uhrzeiten seiner Ab- und Ankunft, indessen ein Dritter namens Waters (Mitchell Ryan) sich Hut und Brille aufsetzt und kurz nach Eintreffen eines Geldtransporters der Wells Fargo als ein Kunde die Bank betritt. Er beobachtet, wie Partridge aus dem Tresorraum kommt und späht das sonstige Innere der Filiale mit deren Überwachungskameras aus, bevor er zum Schein noch Münzgeld einwechselt… An diesem Abend tritt Eddie “Fingers“ Coyle (Robert Mitchum) in einen Diner, holt sich einen Apfelkuchen und eine Tasse Kaffee, bevor er sich mit seinem Tablett an den Tisch setzt, an dem Jackie Brown (Steven Keats) bereits Platz genommen hat. Letzterer erklärt Eddie, dass er ihm in Kürze sechs der bestellten Waffen besorgen könne, mehr aber nicht, da auch andere Kunden eine Lieferung von ihm erwarteten. Eddie gefällt das nicht und er fragt Brown, wie viele Fingerknöchel er an jeder Hand habe. Jackie ist irritiert, doch Eddie “Fingers“ erklärt ihm, egal wie viele es auch seien, er selbst habe stets vier mehr…
“The Friends of Eddie Coyle works so well because Eddie is played by Robert Mitchum, and Mitchum has perhaps never been better“, schlussfolgerte Roger Ebert, damals noch ein Filmkritiker im Aufstieg, im Juni 1973 nach Premiere des Films. Und damit lag er schon seinerzeit richtig. Der ebenso unaufgeregte wie bitterböse ungeschminkte Neo Noir über einige spießbürgerliche Kriminelle, denen der Verlust ihrer Jugend und der Spagat zwischen Träumen von kleinbürgerlicher Geborgenheit und den Gesetzen der Unterwelt immerfort zusetzt, ist Peter Yates’ Meisterwerk. Aber nicht nur Mitchum ist das zu verdanken sondern eben auch Paul Monashs Skript nach dem Roman Hübscher Abend bis jetzt (EA 1970) von George V. Higgins, einem ehemaligen Staatsanwalt, den beteiligten Schauspielern Peter Boyle, Steven Keats, Richard Jordan und Alex Rocco, die allesamt über sich hinauswachsen, sowie neben Peter Yates’ Regie auch der Kameraarbeit von Victor J. Kemper (Spieler ohne Skrupel, USA 1974). Letzterer und auch Yates haben einen präzisen Blick für Schauplätze, die der Geschichte zuträglich sind, welche komplett inmitten der Großstadt Boston gedreht wurde. Unter einem stets kalten Himmel im Herbst/Winter oder auch bei Nacht zeigt uns der Film jene Art Unbehaustheit, die schon für Film Noirs à la Die Ratte von Soho (USA 1950) oder Stadt ohne Maske / Die nackte Stadt (USA 1948) signifikant war. Einstellungen, die den notorischen Kleinkriminellen Eddie "Fingers“ Coyle Zuhause ablichten, lassen ihn in der engen Küche oder im winzigen Flur am Telefon wie einen Besucher erscheinen, indessen seine Frau Sheila (Helena Carroll) die Treppen aufwärts schlurft, damit sie ihn nicht versehentlich belauscht. Die Heimatlosigkeit aller Akteure kulminiert, als Coyle seinen langjährigen Kumpel und Kunden Jimmy Scalise in dessen Wohnwagen aufsucht und sich anerkennend über die behagliche Atmosphäre äußert. Mehr Sarkasmus bezüglich der Irrelevanz dessen für den Kreis der handelnden Personen ist kaum noch vorstellbar.
“This life's hard, man, but it's harder if you're stupid.” Alle Rollencharaktere sind notorische Einzelgänger, auch diejenigen mit einer Familie oder diejenigen mit zumindest einer Freundin. Beides trifft auf die wenigsten zu, so dass die übrigen auch in der Gemeinschaft aller immerfort vereinzelt erscheinen, denn Vertrauen ist exakt das, was die so reiche sprachliche Ebene zu versprechen scheint und zugleich so explizit verweigert. In The Friends Of Eddie Coyle ist Vertrauen unter “Freunden“ Glückssache, aber solches Glück hat ebensowenig ein Zuhause in Boston. Das erfahren sie alle miteinander, und wenn die beiden glücklosen Verschwörer wider Willen oder wider besseres Wissen zu guter Letzt auf der Leere eines zentralen Platzes auseinander gehen, ist ihre Sprache fast schon ein Code, so kryptisch wie geradewegs poetisch und allemal jenseits aller vorherigen Sarkasmen. Peter Yates’ ungewöhnlicher Neo Noir war seinerzeit ein Kritikerliebling und avancierte über die Jahrzehnte zum Kultfilm. Heute erscheint er mir im US-Kino der 70er Jahre so einmalig wie Francis Ford Coppolas Der Dialog (USA 1974) oder John Cassavetes’ Mord an einem chinesischen Buchmacher (USA 1976). In Deutschland lief er nicht im Kino, hatte 1976 als Die Freunde von Eddie Coyle seine Premiere im deutschen Fernsehen und erschien als Der V-Mann auf Videokassette. Eine deutsche BD- oder DVD-Ausgabe gibt es jedoch bis heute nicht.
Es existiert jeweils eine herausragende BD (2015) und auch DVD (2009) aus der Criterion Collection, USA, mit dem Film bild- und tontechnisch erstklassig restauriert, von Yates persönlich abgesegnet, natürlich ungekürzt und im Originalformat, dazu die original englische Tonspur mit optional englischen Untertiteln. Als Extras gibt es einen Audiokommentar von Peter Yates (2009), eine Fotogalerie mit Standfotos und ein umfangreiches Booklet mit einem Essay des Filmkritikers Kent Jones und einem Aufsatz über Robert Mitchum von Grover Lewis. Eine englische 2Disc-Edition (BD und DVD) von Eureka beinhaltet die gleiche Fassung mit folgenden Extras: Neubewertung des Films durch Filmjournalist Glenn Kenny, ein Interview mit Peter Yates, geführt von Filmkritiker Derek Malcolm, sowie ein 44seitiges Booklet mit einem Filmessay von Kritiker Mike Sutton, Archivfotos und einem weiteren Interview mit Yates. So oder so, der Film ist ein Muss!