Docks von New-York, Die

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Bewertung
****
Originaltitel
The Docks Of New York
Kategorie
Pre Noir
Land
USA
Erscheinungsjahr
1928
Darsteller

George Bancroft, Betty Compson, Olga Baclanova, Clyde Cook, Mitchell Lewis

Regie
Josef von Sternberg
Farbe
s/w
Laufzeit
76 min
Bildformat
Vollbild

 


 

The Docks of New York-Poster-web1.jpgThe Docks of New York-Poster-web2.jpgThe Docks of New York-Poster-web3.jpg

 

Im Hafen von New York geht das Dampfschiff vor Anker, auf dem Bill Roberts (George Bancroft) und “Sugar“ Steve (Clive Cook) ihren schweren Dienst als Heizer verrichten. Schon am nächsten Morgen wird es wieder auslaufen, der Landgang dauert nur eine einzige Nacht, und der dritte Maschinist namens Andy (Mitchell Lewis) ermahnt die Heizer, sich bloß nicht zu betrinken, da er sie sonst eine Doppelschicht arbeiten ließe. Zwei Monate waren die Heizer ununterbrochen auf See und stehen sehnsüchtig vor den Kreidezeichnungen junger Mädchen, die die Wände des Heizraums zieren. Ihr Weg wird sie in Kürze zu der in der Nähe ihrer Anlegestelle auf dem Pier befindlichen Sandbar führen, einer Spelunke, die ihnen alles bietet, wonach íhnen der Sinn steht. Es ist der Arbeitsort vieler Prostituierter und der Alkohol fließt in Strömen. Als erster trifft heute Abend jedoch Andy dort ein, der sich erst einem der Mädchen zugesellt, bevor er seine Ehefrau Lou (Olga Baclanova) in wilder Umarmung mit einem Fremden (Richard Alexander) sieht, der offensichtlich ihr Freier ist. Doch jener zieht kampflos von dannen, als er mitbekommt, in was für Verhältnisse er sich unwissentlich hineinbegeben hat… Indessen gehen die Heizer von Bord und treffen auf ihre Frauen, die sie vor Ort abholen. Auf Bill Roberts wartet niemand, er tritt schnurstracks den Weg zur Sandbar an. Zur gleichen Zeit beschließt die hübsche Mae (Betty Compson) ihrem Leben ein Ende zu setzen und springt in das kalte schwarze Wasser des Hafenbeckens…

 

In Andrew Spicers Standardwerk Historical Dictionary of Film Noir (EA 2010) gilt seinem Autor Josef von Sternbergs Die Docks von New-York, der 1929 auch in der Weimarer Republik in die Kinos kam, als ”another American precursor of film noir” und das ist der Film allemal. Dank seiner Kameraarbeit kann das in einer einzigen Nacht in der Großstadt New York angesiedelte Drama vor allem atmosphärisch überzeugen. Die dunkel verlassenen Gassen und Stege im Kontrast zum unbändig berauschten Tumult in der Sandbar profitieren einerseits von Kameramann Harol Rossen, der selbst dem Expressionismus huldigt, andererseits von den Studiobauten des künstlerischen Leiters Hans Dreier (Frau ohne Gewissen, USA 1944), der die Szenerie jenes im nächtlichen Nebel liegenden New Yorker Hafens glaubwürdig zu rekonstruieren wusste. Zum dritten Mal seit Unterwelt (USA 1927) arbeitet Josef von Sternberg hier mit George Bancroft zusammen, der den vierschrötigen, wilden Seebären Bill Roberts seinerseits zum Leben erweckt. Überhaupt ist das Schauspiel ein Pluspunkt dieses Films - die Herren haben alle Mühe, sich gegen die beiden Frauen im Zentrum der Handlung zu behaupten, die für mich die Stars dieses Werks sind. Betty Compson und Olga Baclanova sind als vom Leben gegerbte Damen des leichten Gewerbes, das hier ganz deutlich alles nur nicht leicht ist, schlicht großartig. Im Verlauf der Erzählung reicht die eine den Stab eines tragischen Endes überraschend an die andere weiter, die zuvor während  einer grotesk überbordenden Hochzeitszeremonie ihr eigenes Unglück zum Dreh- und Angelpunkt ihrer latent homoerotischen Beziehung erkor. In der Mischung aus Melodram und Kriminalfilm mit tödlicher Konsequenz liegt dann auch inhaltlich eine Hinwendung zum späteren Film Noir, die dem selbst seit 1908 in New York aufgewachsenen Regisseur mit österreichischen Wurzeln ähnlich seiner Zeit voraus modern gelungen ist, wie er das schon in Unterwelt (USA 1927) für sich verbuchen konnte.

 

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“Are you goin' to let me have a good time in my own quiet way, or must I take this place apart?” Mit seinen wunderbaren Charakteren, der temporeichen Dramaturgie und den überwältigenden Bilderwelten war der Film von Anbeginn auf dem Weg zu einer Bestwertung. Aber Jules Furthmans (Tote schlafen fest, USA 1946) Drehbuch nach einer eigenen Kurzgeschichte ist nicht prägnant und im Abschluss konsequent genug, um das zu rechtfertigen. Nach einer starken ersten Hälfte kommt die Handlung nicht mehr voran, die Dynamik ist vor allem im letzten Drittel ziemlich raus, der Schluss ist vorhersehbar und auch klischeehaft, was zum Rest des Films nicht passen will. Dass Sinneswandel und damit verbundene Entwicklung eines Charakters durch Taten und nicht durch Worte zum Ausdruck kommt, könnte eine weitere Qualität des Stummfilms Die Docks von New-York sein. Leider erscheint die finale Wandlung jedoch zu abrupt und schlicht, um der Geschichte und den Charakteren auf dem eingangs gesetzten Niveau zu entsprechen. Trotzdem sei Die Docks von New-York allen Liebhabern klassischer Filme unbedingt empfohlen. Im Ganzen bleibt dieser Film ein Genuss, der durch die exzellente Restauration, die dem Werk jüngst zuteil wurde, noch gesteigert wird. Der New Yorker Hafen sollte auch in den Film Noirs Out Of The Fog (USA 1941), Rauschgiftbrigade (USA 1949) und Die Spur führt zum Hafen / Harte Fäuste (USA 1951) nochmals eine zentrale Rolle spielen.

 

Im August 2010 erschien via Criterion Collection, USA, die 3DVD-Box Three Silent Classics by Josef von Sternberg , darin neben Unterwelt (USA 1927) und Das letzte Kommando (USA 1928) auch Die Docks von New-York enthalten ist. Die bildtechnische Restauration ist überwältigend und die musikalische Untermalung durch Robert Israel überaus gelungen. Alle  Filme liegen im Originalformat und (soweit möglich) ungekürzt vor, dazu gibt es Extras auf den DVDs selbst und ein 68seitiges Booklet mit filmhistorischen Essays. In Europa erschien diese Zusammenstellung beim spanischen Herrsteller Solto Voce ebenfalls als 3DVD-Box (2012), die um ein vielfaches billiger und technisch qualitativ gleichwertig ist. Sie enthält ein 23seitiges Booklet im schön aufgemachten Digipack, bietet die original englischen Schrifttafeln sowie wahlweise spanische oder französische Untertitel, jedoch keine Extras auf den DVDs.

 


Pre Noir | 1928 | USA | Josef von Sternberg | George Bancroft | George Irving

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