Bernard Blier, Simone Signoret, Marcel Pagliero, Marcel Dalio, Marcel Dieudonné
© Verlag für Filmschriften Christian Unucka
Antwerpen in Holland: An einem trüben Morgen im Spätherbst steht die hübsche Prostituierte Dédée (Simone Signoret) im Frachthafen, isst Pommes frites aus einer Papiertüte und sieht über die Lastenkähne und Schiffe. Zwei amerikanische Matrosen pfeifen ihr hinterher, doch wissen sie, dass das Mädchen aus dem Etablissment Big Moon in einer Nacht einen Monatslohn forderte. Dédée nimmt die Fähre zurück in die Stadt, die auf ihrem Weg dem einlaufenden Frachter Mona Lisa begegnet. Auf dem Vordeck steht deren Kapitän Francesco (Marcello Pagliero) an der Reling, der die junge Frau höflich grüßt. Dédée verlässt die Fähre, sogar die Bauarbeiter an einer Straßenbaustelle grüßen sie, doch sie beeilt sich, um pünktlich zum Frühstück im Big Moon einzutreffen. Hier sitzen sie alle im Schankraum zu Tisch, der Inhaber “Monsieur“ René (Bernard Blier) wacht über die Runde und reagiert gereizt, als der Türsteher Marco (Marcel Dalio), Dédées krankhaft eifersüchtiger und geldgieriger Gefährte, seiner Freundin Vorhaltungen macht, als sie ihm über ihren Spaziergang nicht detailliert Auskunft gibt. René hingegen interessiert sich für das Frachtschiff, das Dédée hat in den Hafen einlaufen sehen, doch dessen Namen kann sie sich an nicht erinnern. Als aus dem oberen Stock Geräusche vernehmbar werden, erinnert sich die dickliche Germaine (Jane Marken), dass dort stets ein Kunde von ihr zu Bett liegt, obwohl Übernachtungen im Big Moon seitens Monsieur Renés untersagt sind. Grollend geht Marco nach oben und waltet seines Amtes…
“Europäischer Noir, das sind immer auch Trümmerfilme“, schreibt Fritz Göttler in seinem Aufsatz zu diesem Werk Yves Allégrets im von Norbert Grob herausgegebenen Buch Filmgenres: Film Noir (EA 2008). Allein dessen Aufnahme in jenes Buch zeugt von einer Kenntnis der französischen Filmgeschichte, die heutzutage großteils Filmwissenschaftlern und einer Handvoll Cineasten vorbehalten scheint. Der französische Nachkriegsfilm der 40er und 50er Jahre hat jedoch großartige Film Noirs hervorgebracht, von denen seinerzeit viele auch in deutschen Kinos liefen. So wie Lauren Bacall, Ava Gardner, Robert Mitchum, Kirk Douglas und Burt Lancaster im US-amerikanischen Film Noir die Wurzeln ihres späteren Starruhms fanden, boten jene Klassiker der Filmtradition Frankreichs vielen späteren Weltstars das Sprungbrett zur Karriere, unter ihnen eben Simone Signoret, Jeanne Moreau, Paul Meurisse und Lino Ventura. Sogar Jean Gabin vollzog den entscheidenden Schritt seines Comebacks dank der Hauptrolle in Jacques Beckers Wenn es Nacht wird in Paris (FRA/ITA 1954). Im Gegensatz zum Werkskanon Beckers und Jean-Pierre Melvilles sind die Filme eines Henri Decoin oder Yves Allégret in Deutschland aktuell jedoch unterrepräsentiert. Noch vor der Premiere des Films im September 1948 wurde Simone Signoret Yves Allégrets Ehefrau; für sie bedeutete ihre Rolle der Dédée in Die Schenke zumVollmond, einem Schlüsselwerk des französischen Film Noirs, den Durchbruch. Beeindruckend ist vor allem die freizügige, fast schon radikale Art und Weise der Darstellung einer unbürgerlichen, komplett selbstverwalteten Sphäre der Gesellschaft, die die aus dem US-amerikanischen Film Noir bekannte, in der Trennung durchlässige Aufteilung in Welt und Gegenwelt klar übersteigt. Allégrets Film kennt keine Polizeibeamten und anderen Gesetzeshüter oder nur als anonyme, pfeischnell um die Ecke biegende Eingreiftruppe, wenn es gilt, auf offener Straße eine Massenschlägerei zu beenden. Im Übrigen sind die Akteure des Films damit befasst, mit größem Geschick mal ober- und mal unterhalb der Wasserlinie gesetzlicher Regelungen zu agieren, die sie ebenso fürchten wie geringschätzen.
Die enorme Qualität dieses Films liegt in der scharf konturierten Darstellung seiner zentralen Charaktere, die auf ureigen französische Weise eine hervorstechende Eigenschaft so manchen Protagonisten US-amerikanischen Film Noirs gleichfalls ihr eigen nennen – sie sind cool. Die Gesten einer lässigen Weltverachtung gerade mit Blick auf jene Errungenschaften eines kleinkarierten Bürgertums, die nie explizit verurteilt aber auch nie implizit angestrebt werden, verleiht den handelnden Figuren jene Vitalität und Unabhängigkeit, die sie noch für heutige Zuschauer zu wahrhaft spannenden Antihelden werden lassen. Sobald die Hure Dédée und der Seefahrer Francesco als die Liebenden, die sie im Nu füreinander wurden, sich über ihre Pläne auseinandersetzen, streben sie nicht nach der Ruhe eines Glücks in Familie und Zweisamkeit, wie sie eine bürgerliche Erzähltradition schon mit deren Märchen für Kinder implementiert, sondern sie skizzieren ein auch zukünftig hartes Dasein der Selbstbehauptung in einer per Gesetz und Gesellschaftsordnung feindlichen Welt. Der Feind lauert aber in unmittelbarer Nähe. Wenn die Frauen des Big Moon sich über den konventionellen Marco, solchen Spießbürger als Gangster, lustig machen, wissen sie einerseits um die Lächerlichkeit seines Rollenverständnisses und zugleich um seine Ehrlosigkeit und Gewaltbereitschaft. Die Schenke zum Vollmond ist eins der großen Werke des europäischen Film Noirs, das auch hierzulande unbedingt wiederentdeckt gehörte und als BD und/oder DVD präsent sein sollte.
Eine französische DVD-Edition (2008) der Editions René Chateau Vidéo präsentiert Yves Allégrets Meisterstück unter dem Originaltitel Dédée d’Anvers (sinngemäß Dédée aus Antwerpen) bild- und tontechnisch solide restauriert und mit dem französischen Ton ohne Untertitel und ohne Extras.
Verwechslung von Schauspielern
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Verwechslung von Schauspielern
Ich bin immer dankbar, wenn mich ein aufmerksamer Leser auf solche Fehler hinweist, und ich habe diesen inzwischen auch korrigiert.
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Marcello Pagliero spielt Francesco ,den Dédée innig liebt.
Marcel Dalio spielt den Dreckskerl Marco, der seinen Tod wirklich verdient.