Komplizen

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Eddie Muller


Wenn es Nach wird in Paris


Film Noir Collection Koch Media GmbH


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Bewertung
*****
Originaltitel
Complices
Kategorie
Neo Noir
Land
FRA/SUI
Erscheinungsjahr
2009
Darsteller

Gilbert Melki, Emmanuelle Devos, Cyril Descours, Nina Meurisse, Joana Preiss

Regie
Frédéric Mermoud
Farbe
Farbe
Laufzeit
90 min
Bildformat
Widescreen
 

 

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Lyon, Frankreich: In der an der Rhône gelegenen Stadt wird aus dem Fluss die Leiche des 18jährigen Vincent Bouvier (Cyril Descours) geborgen. Polizeinspektor Hervé Cagan (Gilbert Melki) ist eben auf der Geburtstagsfeier seiner neunjährigen Nichte Nina (Nina Rodriguez), Tochter seines Bruders Yves (Eric Laugérias), der gern mit ihm über seine Eheprobleme redete, aber da erreicht Hervé schon der Anruf seiner Kollegin Karine Magine (Emmanuelle Devos). Am Tatort, wo Hervé Cagan sowohl Karine als auch den Kollegen Nicolas Bianchini (Jeremy Azencott) trifft, weiß der Polizeimediziner (Pierre Mifsud) schnell zu sagen, dass Vincents Leichnam neben einer Reihe von Wunden vor allem Würgemale aufweist… In einem Internetcafé chattet der Callboy Vincent Bouvier mit einem Freier, der ein aktuelles Foto von ihm sehen möchte. Der junge Mann fragt die zufällig anwesende Schülerin Rebecca Legendre (Nina Meurisse), ob sie ihn mit seinem Handy aufnehmen könne, es sei für einen Freund. Rebeccas eigene Freundin Belen (Yeelem Jappain) möchte jetzt gehen, aber zuvor erfragt Vincent noch Rebeccas Mobilnummer. Die gibt sie ihm gern, indessen er ihr rasch ein Bonbon anbietet… Hervé und Karine suchen Vincents Schwester (Laetitia Dosch) und seine Mutter (Brigitte Chambon) auf, die zusammen wohnen. Vincent lebte zuletzt in einem Wohnwagen in La Valette, aber womit er sich seinen Lebensunterhalt verdiente, wissen die beiden nicht. In Vincents Jugendzimmer nimmt Hervé Cagan ein gerahmtes Foto des Jungen von der Wand, von dessen Anblick der Polizist eigentümlich berührt ist…
 
Der Erwachsenen Monotonie im Berufsleben und der Jugend Hoffnungen, die Narben tiefer Frustrationen und die Unfähigkeit zu reden, manche Zärtlichkeiten erster Liebe und die Zerstörungswut eines Alters ohne Ziele - es ist alles da. In diesem dunklen Drama des Autors und Regisseurs Frédéric Mermoud gelingt auf wundersam ruhige Weise die Synthese eines Kriminalfilms in der Tradition des französischen Neo Noirs mit einer Reihe sensibel skizzierter Charakterportraits. Dabei ist der Film in der Darstellung von Sexualität und Gewalt ebenso freizügig wie drastisch, bringt er die verstörende Parallelität der Schauplätze im Leben Vincents und seiner Rebecca - ihre privaten Rückzugsräume und die schamlos anonymen Hotelzimmer der Prostitution - ohne Wenn und Aber auf die Leinwand. Komplizen ist ein Film, der sich etwas zutraut und zu keinem Zeitpunkt marktschreierisch Tabubrüche inszenieren will. Wie die Figuren von Gefühlen getrieben in Pirouetten umeinander kreisen, wie sie sich samt ihren Wirrnissen des Gefühls in innere Schneckenhäuser verkriechen oder solche entwaffnend offen ausleben, zeigt in allen Stadien des Handlungsverlaufs eine verblüffende Sicherheit im Umgang mit der Komplexität des Stoffs. Dank eines exzellenten Ensembles, das die pointierten Dialoge kongenial umsetzt, stellt sich von der ersten Minute Glaubwürdigkeit ein. Abseits von den Klischees des Cop-Thrillers, in dessen Fahrwasser das Gespann Hervé und Karine zu agieren gezwungen ist, gelingt dem Film eine vielschichtige Darstellung menschlicher Zustände, wechselweise berauschend und abgründig, die sowohl jene Zugehörigkeit zu einer Generation als auch diejenige zu einer Gesellschaftsschicht umfasst. Was ließe sich von den 90 Minuten eines Spielfilms mehr erwarten, als dass er seine Zuschauer derart beim Schopf packt?
 
Nachdem das Thrillerkino und damit auch der Neo Noir in den USA und in Frankreich durch Leute wie Quentin Tarantino und Luc Besson bis zum Bersten mit Klischees aufgeladen und zu ständigem Recycling standardisiert wurde, gibt es in den letzten 10 Jahren Ansätze, sich dem Diktat des „Erfolgsrezepts“ zu verweigern. Komplizen ist so ein Film, der seinem Zuschauer nicht nur mehr zumutet sondern auch mehr zutraut, was sich für diesen in mehrfacher Hinsicht auszahlt. Neben den verschachtelten Rückblenden, die kunstvoll arrangiert sind und die Zusammenhänge stets triftig erscheinen lassen - Handlungslogik ist dabei ein Kriterium unter vielen - werden die Erwartungen des Publikums geschickt unterlaufen. Was uns möglich erscheint und was tatsächlich passiert, sind desöfteren zwei Paar Schuhe. So erinnert Mermouds Film an vergleichbar Verwickeltes wie z.B. Woody Allens Match Point (UK/LUX 2005) oder Sidney Lumets Tödliche Entscheidung (USA/UK 2007). Inwieweit die Entscheidungen der Kontrahenten auch ihrem Lebensalter geschuldet sind, ist dabei ein zentrales Moment. Dieses bedingt, warum die Geschichte zuletzt auch anrührend und ihr Ende so konsequent wie stimmig ist. Komplizen ist ein Glücksfall in der neueren Tradition des französischen Neo Noirs, einer mit der grandiosen Emmanuelle Devos und mit Nina Meurisse und Cyril Descours als verheißungsvollen Talenten. Wie wäre es doch schön, wenn er nicht bloß als Geheimtipp und Kultfilm ein Schattendasein fristet, sondern Schule machte.
 
Bild- und tontechnisch erstklassige DVD (2011) der Salzgeber & Co. Medien GmbH, Berlin, mit dem Film ungekürzt im Originalformat, dazu die französische Tonspur mit wahlweise deutschen oder englischen Untertiteln und ohne Extras.
 

Neo Noir | 2009 | France | Frédéric Mermoud | Gilbert Melki | Emmanuelle Devos

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