Film Noir
| USA
| 1950
| Cornell Woolrich
| Mitchell Leisen
| Henry O'Neill
| Lyle Bettger
| Milburn Stone
| Richard Denning
| Barbara Stanwyck
| Esther Howard
| Phyllis Thaxter
Bewertung
****
Originaltitel
No Man Of Her Own
Kategorie
Film Noir
Land
USA
Erscheinungsjahr
1950
Darsteller
Barbara Stanwyck, John Lund, Jane Cowl, Lyle Bettger, Phyllis Thaxter
Regie
Mitchell Leisen
Farbe
s/w
Laufzeit
98 min
Bildformat
Vollbild
© Paramount Pictures Corporation
In Caulfield, Illinois, sind die Sommernächte geradezu idyllisch, hier wo sich die Villen mit ihren hübschen Vorgärten und den schmucken Autos davor aneinander reihen. Nur im Haus von Patricia (Barbara Stanwyck) und William Harkness (John Lund) hält das Glück keinen Einzug, Mit ihrem einjährigen Sohn im Wohnzimmer verharren sie in Schweigen. Da klingelt das Telefon. Bill nimmt ab und informiert Patricia, dass die Polizei jetzt käme. Die entsetzte Frau bringt das Baby zu Bett und erinnert sich, wie alles seinen Anfang nahm… In New York versucht die schwangere Helen Ferguson (Barbara Stanwyck) mit ihren letzten Cents Steve Morley (Lyle Bettger) zu erreichen - den Mann, dem sie ihr Unglück zu verdanken hat. Schließlich schleppt sie sich bis vor die Tür seines Apartments, klopft und fleht, er möge sie einlassen, doch Steve, der mit seiner neuen Freundin Irma (Carol Mathews) kalten Herzens lauscht, schiebt nur ein Zugticket nach San Francisco und eine Fünfdollarnote unter der Tür durch. Im Zug lernt die erschöpfte Frau das Ehepaar Harkness kernne, Patricia (Phyllis Thaxter) und Hugh (Richard Denning), die ihr erst einen Sitzplatz anbieten und sie schließlich im Speisewagen zum Essen einladen. Auch Patricia ist schwanger und darüber erschrocken, dass Helens Mann offenbar gestorben ist, wie sie glauben muss. Als sich die beiden abends im Bad zum Schlafengehen richten, übergibt Patricia, weil sie sich die Hände waschen will, ihren Ehering an Helen. Im Augenblick, da sie ihn der Fremden überstreift, kippt der Wagon und überschlägt sich, der Schnellzug entgleist und fängt Feuer…
Barbara Stanwyck hatte nach dem Sensationserfolg von Billy Wilders Frau ohne Gewissen (USA 1944) mit ihren Film Noirs nicht nur Glück. Es gab Hochwertiges wie Du lebst noch 105 Minuten (USA 1949) und Missglücktes wie The Two Mrs. Carrolls (USA 1947). Der nahezu vergessene Entgleist zählt zu ihren besten Filmen der Ära bis 1957, bevor die dann 50jährige sich endgültig aus Hauptrollen im Kino ins Fernsehen verabschiedete. Unter der Regie Mitchell Leisens beweist Barbara Stanwyck in der Verfilmung des Romans I Married A Dead Man (EA 1948) von Cornell Woolrich, was für eine grandiose Schauspielerin sie war. Auf einer Höhe mit Joan Crawford oder Bette Davis durchlebt sie als Helen Ferguson, die nach einem Zugunglück in die Rolle einer Witwe namens Patricia Harkness schlüpft, eine wahre Tour de force und der Zuschauer mit ihr. Noch heute ist dieses nachtschwarze Melodram mit seinen ausdrucksstarken Charakteren, auch John Lund und Lyle Bettger verleihen den ihren ein jeweils klares Profil, bis zum Schluss so dramatisch wie zupackend. Denn das Thema der ungewollten, unehelichen Schwangerschaft einer Frau, die durch verhängnisvolle Umstände in den Genuss einer großbürgerlichen Existenz kommt, dürfte in den USA jener Tage ein heißes Eisen gewesen sein. Zudem bricht auch der Schluss nicht den Stab über den Liebenden, die in mörderischer Absicht tätig und strafrechtlich schuldig werden. Insofern zeugt der im Sinn der Erzählung moralisch zwar vieldeutige, doch unbefriedigend aus dem Hut gezauberte Schlussakt für den Kontext seiner Zeit von Courage.
“No Man of Her Own is a remarkable achievement from one of the peak years of film noir“, fasst es Frank M. Young für Film Noir of the Week zusammen. Die Präzision, mit der Mitchell Leisens Regie jene Schlinge der dramaturgischen Entwicklung im Handlungsverlauf zuzieht, erinnert an Alfred Hitchcock. Ist schon der Beginn spürbar belastet und die Situation hoffnungslos verfahren, so verschaftt auch die Entwicklung im Mittelteil, die den Grauwerten des klassischen Melodrams zugetan ist, dem Zuschauer kaum Luft und Erleichterung. Im letzten Drittel wirft der Film Noir seine langen Schatten tief in die Seelenlandschaft seiner Protasgonisten, wenn uns die Erzählerin Helen Ferguson an ihren Gedanken teilhaben lässt. Dass einige der rasant ineinander verzahnten Stränge nicht ganz einer schlüssigen Handlungslogik folgen, geht im druckvollen Spiel der Akteure und in der herausragenden Kameraarbeit Daniel L. Fapps zugunsten der Glaubwürdigkeit des Films nahezu unter. Alles in allem ist Entgleist ein spannend inszeniertes Drama, das ein auf eher leichte Kost getrimmtes Publikum der Frühfünfziger überfordert haben dürfte. Selbst damit ist allerdings kaum erklärt, warum dieser Klassiker der schwarzen Serie seither kaum Erwähnung fand und erst 2012 einzig in den USA wieder veröffentlicht wurde. Für den Freund des Film Noirs ist Entgleist eine erfreuliche Wiederentdeckung und Ergänzung des Kanons.
Bild- und tontechnisch hochwertige US-Edition auf DVD (Regionalcode 1) via Olive Films (2012) mit dem Film ungekürzt im Originalformat, inklusive englischer Tonspur und englischer Untertitel, ohne Extras. In Europa gibt es eine italienische DVD (2013), ebenfalls mit der englischen und zusätzlich mit einer italienischen Tonspur, dazu italienische Untertitel, der Film ungekürzt und im Originalformat.