Neo Noir
| France
| 1969
| Cornell Woolrich
| François Truffaut
| Jean-Paul Belmondo
| Michel Bouquet
| Catherine Deneuve
Bewertung
***
Originaltitel
La sirène du Mississipi
Kategorie
Neo Noir
Land
FRA/ITA
Erscheinungsjahr
1969
Darsteller
Jean-Paul Belmondo, Catherine Deneuve, Nelly Borgeaud, Martine Ferrière, Marcel Berbert
Regie
François Truffaut
Farbe
Farbe + s/w
Laufzeit
118 min
Bildformat
Widescreen
© United Artists Corporation
Auf der im Indischen Ozean gelegenen Île de la Réunion ist der hier gebürtige Franzose Louis Mahé (Jean-Paul Belmondo) geschäftsführender Mitinhaber einer gewaltigen Tabakplantage nebst Zigarettenfabrikation. Heute holt ihn sein Partner Jardine (Marcel Berbert) in der Hauptstadt Saint-Denis aus einem Hotel ab, denn heute wird ein Dampfschiff mit dem Namen Mississipi Mahés zukünftige Frau auf die Insel bringen, die nach langem Briefkontakt über Kontinente hinweg dem schriftlich formulierten Antrag auf eine Heirat zustimmte. Aber im Hafen entsteigt dem Schiff niemand, der dem Foto seiner Braut, das Mahé in einem der Briefe bereits vorfand, nur ähnlich sieht. Wieder im Auto sitzend spricht ihn eine Frau (Catherine Deneuve) an und stellt sich als Julie Roussel vor, die aus Angst vor Ablehnung angeblich ein falsches Foto, dasjenige einer Bekannten, geschickt habe. Die „neue“ Julie ist bildschön und Mahé ist froh, das dem so ist, anstatt ihr deswegen zu zürnen. In seiner Villa offenbart er ihr, dass er nicht Vorarbeiter in einer Zigarettenfabrik sei, wie in Briefen erwähnt, sondern deren Eigentümer. Julie und Louis heiraten und beginnen, sich in einem Eheleben einzurichten, das großteils harmonisch verläuft. Eines Tages schleicht sich Julie aus dem Haus, fährt mit dem Bus in die Stadt und wird von Jardine in dem Augenblick erspäht, als ihr ein Mann (Roland Thénot) an einer Straßenecke ins Gesicht schlägt. Zuvor hatte Louis bereits gestutzt, als Julie wegen des Todes ihres mitgebrachten Kanarienvogels keine Regung zeigte, zudem die Schlüssel für ihren Schrankkoffer angeblich verloren hatte. Dennoch fährt Louis mit Jardine und Julie kurze Zeit später zur Bank, um ihr für seine Konten eine Generalvollmacht austellen zu lassen…
„Der Erfinder der Hollywoodschen „Schwarzen Serie“, der heute wieder junge US-Regisseure beeinflusst (Paul Schrader, Martin Scorsese und David Lynch) schrieb, anders als Hammett und Chandler, Etüden der Einsamkeit und elementaren Ängste“, resümierte Die Weltwoche, Zürich, vor einigen Jahrzehnten über den US-Schriftsteller Cornell Woolrich. Damals war François Truffauts Das Geheimnis der falschen Braut längst erschienen und im Werkskanon seines Regisseurs ein wenig in Vergessenheit geraten. Direkt im Anschluss an Die Braut trug Schwarz (FRA/ITA 1968) hatte sich Truffaut wieder einen Roman Woolrichs vorgenommen - das Walzer in der Dunkelheit betitelte Buch (EA 1947) erschien unter dessen Pseudonym William Irish - und verfilmte ihn mit einer Starbesetzung. Das erste Drittel des Films ist bemerkenswert. Eine dynamische und auch facettenreiche Handlung trägt den Zuschauer sicher in eine Geschichte, deren Dreh- und Angelpunkt sich erst allmählich erschließt. Aber mit Verfolgung der Ehefrau und später ihrer gemeinsamen Flucht zeigt das Werk viele Schwächen, auch gravierende Sprünge in der Handlungslogik. Dass Mahé seine Julie über einen lokalen TV-Bericht wiederfindet, den er zufällig im Fernsehraum eines Krankenhauses in Nizza mitbekommt, ist grotesk. Dass der zuvor bettlägerige, mühsam hochgepäppelte Mann sich darauf als Fassadenkletterer betätigt, ist nochmals absurder und wird auch durch die Brille der Ironie dem Zuschauer nicht gerecht. Spätestens hier dämmert einem - Haudegen Jean-Paul Belmondo ist im Grunde die falsche Wahl für den Louis Mahé.
© United Artists Corporation
Sportlich, selbstsicher, charakterstark, so präsentiert Louis Mahé sich von Anbeginn. Für einen in den Tropen gebürtigen, aus einer Familientradition stammenden Unternehmer mag das angehen. Doch nachdem der Mittdreißiger im Anschluss an eine tragische Jugendliebe und eine lange Brieffreundschaft mit einer bibelfesten Kleinbürgerin letzterer schriftlich einen Heiratsantrag machte, zeigt er gegenüber der falschen Julie, einer im Vergleich mit Julie Roussels Fotografie unerwarteten Schönheit, die unerschrocken eloquente Gewandheit des Weltbürgers. Solche passt nicht ins Bild. Zumal damit seine zunehmende Liebe für diese Julie in ihren späteren Ausbrüchen zwischen Eingeständnis und Widerstand verspätet unsicher oder aber zu „intellektuell“ wirkt. Neben Belmondo trägt daran auch das Drehbuch eine Mitschuld, das ein solides Finale und einen unerwartet schwachen Abschluss serviert. Die Anlage der Geschichte ist reich an Winkelzügen ihrer Femme fatale, mit Catherine Deneuve klasse besetzt, und reich an clever konstruierten Wendungen. Aber die zweite Hälfte des Films führt das nicht auf dem gleichen Niveau fort. Trotz seiner Darsteller, der Kameraarbeit von Denys Clerval mit vielen für Truffaut typischen Referenzen an Alfred Hitchcock und trotz einer zugkräftigen Dramaturgie enttäuscht Das Geheimnis der falschen Braut. Einem Finale, dessen situativer Kontext an dasjenige von Joseph Loseys Dem Satan singt man keine Lieder (USA 1951) erinnert, folgt ein Ende, das nicht romantisch oder in seiner moralischen Implikation provokant ist, wie wohl beabsichtigt, sondern gemessen am Aufbau der Geschichte banal.
Sehr gute deutsche DVD-Ausgabe (2007) in der Série Noire, einer auf 12 Titel begrenzten Filmreihe der Süddeutschen Zeitung, mit dem Film ungekürzt im Originalformat, wahlweise deutscher oder französischer Ton, optional deutsche Untertitel, keine Extras. Eine neue Edition als BD und als DVD (2020) der Koch Media GmbH bringt den Film bild- und tontechnisch zwar nicht auf einem bemerkenswert höheren Niveau, allerdings ebenfalls im Originalformat und ungekürzt, wahlweise mit der französischen Tonspur oder der deutschen Kinosynchronisation, optional dazu deutsche Untertitel, zudem den Kinotrailer, alternative Eröffnungssequenzen und eine aninmierte Bildergalerie als Extras.