Post Noir
| France
| 1960
| François Truffaut
| Jean-Luc Godard
| Raoul Coutard
| Jean-Paul Belmondo
| Roger Hanin
Bewertung
****
Originaltitel
À bout de souffle
Kategorie
Post Noir
Land
FRA
Erscheinungsjahr
1960
Darsteller
Jean-Paul Belmondo, Jean Seberg, Henri-Jacques Huet, Liliane Dreyfus, Claude Mansard
Regie
Jean-Luc Godard
Farbe
s/w
Laufzeit
86 min
Bildformat
Vollbild
Marseille, Südfrankreich: Am Hafen stiehlt der kleine Ganove Michel Poiccard (Jean-Paul Belmondo) mit Hilfe einer Bekannten, die er dann dort stehen lässt, eine Luxuslimousine. Damit fährt er auf Landstraßen Richtung Paris, am Steuer ins Selbstgespräch vertieft und mit reichlich Vergnügen an dem schnellen Wagen. Doch bei einem Überholmanöver werden zwei Motorradpolizisten auf ihn aufmerksam, die sofort die Verfolgung aufnehmen. Michel kann auf einen Feldweg entkommen, aber der Motor des Wagens, für den er keinen Zündschlüssel besitzt, geht aus. Als er versucht, ihn wieder zu starten, entdeckt ihn einer der beiden Gendarmen, den Michel dann im Affekt niederschießt. Nunmehr ein Mörder rennt er übers Feld davon und gelangt schließlich per Autostopp in die französische Hauptstadt. Hier sucht er die amerikanische Studentin Patricia Franchini (Jean Seberg), die aber nicht Zuhause ist. So trifft er sich mit seiner Bekannten Minouche (Liliane Robin), die er bestiehlt, und fragt nach Tolmatchoff (Richard Balducci), der ihm Geld schuldet. Damit und mit Patricia will Michel Poiccard Frankreich möglichst bald verlassen und in Rom neu anfangen...
„Jean-Luc Godards erster längerer Spielfilm nach einer Geschichte von François Truffaut ist eine Hommage an den amerikanischen Film noir“, heißt es in der aktuellen Pressenotiz der Studiocanal GmbH. In ihrem The Rough Guide To Film Noir (2007) schreiben Alexander Ballinger und Danny Graydon: “Nearly fifty years on, the film still has a startling in-your-face energy, due to both, the editing and Raoul Coutard’s noirish camera-work”. All das ist richtig! Der 1959 gedrehte und im März 1960 in Paris uraufgeführte Debütfilm des Regisseurs Jean-Luc Godard macht keinen Hehl aus der Verwurzelung im US-amerikanischen Film Noir. Jacques Becker und Louis Malle waren Godard im Frankreich der Fünfziger bereits voraus gegangen und noch im November 1960 brachte François Truffaut mit Schießen Sie auf den Pianisten (FRA 1960) seine eigene Hommage an Hollywoods Film Noir. Es liegt eine Ironie der Geschichte darin, dass genau der Film Noir, den der Franzose Nino Frank 1946 so benannt hatte und dem 1955 die Franzosen Borde und Chaumeton mit Panorama du film noir americain das erste sekundärliterarische Buch gewidmet hatten, einen entscheidenden Anteil an der Erneuerung des europäischen Kinos haben sollte. In den USA war er nach der für die Filmkultur verheerenden Zensur der McCarthy-Ära, die in den Spätvierzigern anhob und bis 1955 dauerte, langsam verebbt. Zwar hatten Robert Aldrich, Stanley Kubrick und Orson Welles noch ein paar finale Meilensteine geschaffen, doch die Hochzeit des Film Noirs lag 1960 schon zehn Jahre und mehr zurück. Er hatte dort nie einen guten Ruf gehabt, der Film Noir, und es sollte noch einmal 10 Jahre dauern, bevor sich die US-amerikanische Kulturkritik seiner besann. Dennoch schuf der Film Noir, zeitgleich zur Einflussnahme auf das Thrillerkino z.B. in Alfred Hitchcocks Psycho (USA 1960), mit Außer Atem den ersten Eckpfeiler der französischen Nouvelle Vague.
Der Reiz des Films Außer Atem liegt in seiner Bezugnahme auf die Historie des Filmschaffens selbst und im Infragestellen formaler Kriterien, die entweder missachtet (teils aus Geld- und Zeitmangel) oder durch andere ersetzt wurden. Godard drehte wie zuvor Jules Dassin und Jean-Pierre Melville nicht im Studio sondern außerhalb dessen. Seine Technik der „Jump Cuts“, die einzelne Szenen scheinbar willkürlich unterbricht, forderte eine neue Art der Aufmerksamkeit seitens des Zuschauers und zeigte eine ungewohnte Dynamik. Zudem nehmen die Darsteller über die Kamera zum Zuschauer „Kontakt“ auf (ein bereits im Stummfilm erprobtes Stilmittel) und treten aus ihren Rollen scheinbar heraus. Die Summe dessen und die häufige Verwendung der Handkamera brachte Darstellern und Regisseur eine Reihe von Filmpreisen ein, z.B. den Silbernen Bären für die Beste Regie bei den Filmfestspielen in Berlin und den Étoile de Cristal für Jean-Paul Belmondo. Doch Kultstatus und Legendenbildung haben das Werk selbst längst überholt. Außer Atem ist kurzweilig und temporeich. Als Film der beginnenden Sechziger bringt er den Esprit einer neuen Generation auf die Leinwand. Doch als französische Film-Noir-Geschichte von Liebe, Verrat und Tod steht er hinter Rififi (FRA 1955), Drei Uhr nachts (FRA 1956), Fahrstuhl zum Schafott (FRA 1958) oder Der Panther wird gehetzt / Volles Risiko (FRA/ITA 1960) deutlich zurück. Um ihn heute zu genießen, muss man sich von dem Hype, der an Des Kaisers neue Kleider denken lässt, erstmal wieder befreien. Fazit sodann: Schöner Film, aber kein Meisterwerk!
Erstklassige DVD von Arthaus / Studiocanal, der inzwischen auch eine Blu-ray gefolgt ist: ungekürzt im Originalformat und bildtechnisch topp, Tonspuren auf Französisch/Englisch oder auf Deutsch, dazu Untertitel auf Deutsch, Englisch, Niederländisch, Japanisch, Portugiesisch, Spanisch, Türkisch. Extras: Einführung von Colin MacCabe, Interviews mit Crew und Darstellern, Kurzfilm „Luc und wie er Jean-Luc sieht“, der Kinotrailer sowie das Featurette „Godard, Made in USA“.