John Ireland, Mercedes McCambridge, James Barton, Emlyn Williams, Lloyd Gough
© United Artists Corporation
Aus der in der Mojave-Wüste, Kalifornien, gelegenen Strafvollzugsanstalt Alcanta, einem “Hospital for the Criminally Insane“, wie ein Schild verät, flieht eines Nachts zum Klang der Sirenen der dort als Gefangener verwahrte John Howard Barrington (John Ireland). Bis in die Morgenstunden rennt er atemlos durch die von Kakteen und Joshuabäumen durchsetzte Landschaft, bis er sich kaum aufrecht halten kann und auf allen vieren in die Nähe eines einsamen Gehöfts kriecht, wo er zusammenbricht. Vom aufgeregten Geschrei seiner Truthähne geweckt, findet ihn dort in der Dämmerung der allein lebende Farmer Ezra Thompson (James Barton) und nimmt ihn zu sich ins Haus. Als John Barrington auf einem Sofa erwacht, sind die ersten Dinge, die er sieht, ein schwer beladenes Bücherregal und ein Cello. In einem Schaukelstuhl wippend beobachtet Thompson ihn und erklärt dem Gast, dass jener über 12 Stunden geschlafen habe, nachdem seine über 800 Truthähne ihm die Ankunft des Fremden verkündet hätten. John Barrington antwortet nicht und versucht stattdessen zu fliehen, doch Thompson verhindert es mit einem Schuss aus seinem Revolver, der in den Türrahmen einschlägt. Der flüchtige Häftling erstarrt. Ezra lässt ihn die Lederjacke ausziehen und sieht den Schriftzug Alcanta auf dem Rücken des Hemdes. Nun beginnt Barrington zu reden, und Thompson erfährt, dass er genau zwei Jahre in dem 10 Meilen entfernten Kerker zugebracht habe. Sein Gastgeber erklärt ihm, dass der letzte Ausbrecher vor zwöf Jahren bei ihm aufgelaufen sei…
“A bleak oddball murder mystery noir, that (…) still makes for a strangely interesting watch”, schreibt Dennis Schwartz über den heute obskuren Film Noir des deutschen Exilanten Ewald André Dupont, der im Gegensatz zu Fritz Lang, Billy Wilder und Robert Siodmak zu den weniger bekannten Auswanderern zählt, die in und für Hollywood tätig wurden. An seine Erfolge als Regisseur deutscher und britischer Stummfilme konnte er jedoch nie wieder anschließen, und nachdem er in den 40er Jahren vor allem als Talentscout tätig war, wurde The Scarf, die Adaption einer Erzählung von Isadore Goldsmith und E.A. Rolfe, sein erster Spielfilm als Drehbuchautor und Regisseur in 12 Jahren. Mercedes McCambridge hatte in Robert Rossens Der Mann, der herrschen wollte (USA 1949) ihr Debüt als Filmschauspielerin absolviert und prompt einen Oscar als beste Nebendarstellerin erhalten. Auch John Ireland war darin aufgetreten und selbst für den Oscar als bester Nebendarsteller nominiert worden. Ein Gerücht besagt, dass Ireland im Anschluss höhere Honorare gefordert habe, weshalb er wieder beim B-Film landete, von dem er sich womöglich zu emanzipieren gehofft hatte. Frank Hagney und King Donovan, die in The Scarf auftreten, waren ebenso in Rossens preisegekröntem Drama zu sehen, dass an der Kinokasse jedoch enttäuscht hatte. Duponts Film Noir über den aus der Psychiatrie hinter Gitteren entflohenen John Barrington war schon damals eher abseitig und ist es heute nochmals mehr. Aber ich teile die Einschätzung von Dennis Schwartz, dass das Werk auf eine bizarre und eigenwilige Art, die ihn explizit als jenseits der Hollywoodfilme seiner Zeit ansiedelt, stets sehenswert ist. Vielleicht war ein Vorteil, dass Ewald André Dupont 12 Jahre pausiert hatte und so auf eine unorthodoxe Art ans Skript heranging. Ganz sicher war von Vorteil, dass ihm bei der Umsetzung Kameramann Franz Planer (Zwischen Frauen und Seilen, USA 1949), seines Zeichens österreichischer Exilant, zur Seite stand und den in der Mojave-Wüste und in Los Angeles angesiedelten B-Film deutlich veredelt.
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“I came here fifteen years ago to be by myself. Haven't got a mirror in the place. Even my own reflection's too much company.“ Der heimliche Star des Films ist der seinerzeit 61-jährige James Barton als Truthahnfarmer Ezra Thompson, ein weißhaariger, unrasierter und gern an einem Zigarrenstummel nuckelnder Kauz, der über Musik und Literatur ebenso wie über Truthähne und das Überleben in der Wüste Bescheid weiß. Mit ihm wird The Scarf zu einem Fanal für Humanität - zu einem vielschichtigen Film, wie er für die McCarthy-Ära, da einmal mehr die Gut-versus-Böse-Ideologie der 30er Jahre im Kino vorherrschte, nicht zu passen scheint. Neben Thompson erweist sich auch Dr. Gordon (Lloyd Gough), der federführende Psychoanalytiker in Alcanta, als ein Menschenfreund. Zudem verkörpert Mercedes McCambridge mit der singenden Kellnerin Connie Carter ein wunderbares “Good Bad Girl“. Sie alle unterstützen einen komplexen, fein gespielten Protagonisten John Barrington, einen vermeintlich geisteskranken Mörder, der unter Amnesie leidet. Ich fragte mich, wie solches Drama 1951 an der Zensur vorbei manövriert werden konnte. Die Antwort lautet womöglich: Der zuletzt enttarnte Täter ist kein US-Amerikaner… Finale und Schluss kommen allzu hastig; sie sind der Schwachpunkt der Produktion. Bis auf die letzten 10 Minuten erwartet den Connaisseur des Film Noirs mit The Scarf dennoch eine der wenigen Überraschungen des populären Filmstils, die es noch zu entdecken gibt.
Der Film lief im August 2024 in einem Desert Noir betitelten Sonderprogramm auf dem Noir Film Festival in Český Šternberk, Tschechien. Obwohl im Segment Film Noir seit Jahren viele Wiederveröffentlichungen erschienen, gibt es von The Scarf aktuell (2024) keine BD- oder DVD-Edition. Im deutschsprachigen Raum lief er seinerzeit nicht im Kino. In diversen Online-Portalen ist er in einer bild- und tontechnisch erstaunlich guten Fassung und mit Originalton auffindbar.