Nick Cheung, Nicholas Tse, Gwei Lun-Mei, Kai Chi Liu, Pu Miao
In einer außerhalb der Stadtgrenzen Hongkongs gelegenen, verlassenen Fabrikanlage will der Gangster Marco (Vincent Wan) ein lange geplantes Drogengeschäft zum Abschluss bringen. Er ahnt nicht, dass draußen bereits Inspector Don Lee (Nick Cheung) von der Kriminalpolizei mit einem Aufgebot schwer bewaffneter Beamter vorfährt, um Marcos Bande festzunehmen. Letzteres war dem Polizeibeamten nur möglich, weil er mit Jabber (Kai Chi Liu) einen Informanten hatte einschleusen können, der die heutige Operation an ihn verriet. Doch Marco wird durch einen Telefonanruf gewarnt. Seine Schergen versuchen die Drogen zu vernichten und Don Lees Leute müssen vorschnell in die Werkshalle eindringen. Im Tumult der Kämpfe erkennt Marco, dass Jabber der Verräter sein muss; obendrein gelingt es ihm, seinen Häschern im letzten Augenblick zu entkommen. Am Abend sitzt Jabber in Don Lees Wagen auf dem Beifahrersitz und ist aufgelöst. Er hat das Vertrauen in die Polizei verloren. Für lediglich 100.000 Hongkong-Dollar muss er nun mit seiner Familie vor Marco und seiner Bande fliehen. Don Lee versucht ihn zu beschwichtigen und möchte ihn nach Haus geleiten, doch Jabber steigt aus und geht zu Fuß. Es dauert nicht lange, bis er in einer verlassenen Gasse von dem mit einer Machete bewaffneten Marco und einigen seiner Helfer (Siu Ming Lui, Lin Zhongqi) gestellt und gnadenlos gejagt wird…
Wie sein Kollege Johnnie To (Mad Detective, HK 2007) steht der Regisseur Dante Lam bei den Freunden des Hongkong-Kinos vor allem für eins, nämlich für Action. So manche Filmkritiker beklagten, dass in dem Neo Noir The Stool Pigeon, der in zentralen Rollen mit sechs Darstellern aus Dante Lams Beast Stalker (HK 2008) besetzt wurde, darunter Nick Cheung und Nicholas Tse, solche Action zu kurz käme und der Thriller sich in allzu vielen Nebenhandlungen verlöre, welche die Charaktere und ihre Beziehungen zueinander vertiefen sollten. Mir persönlich ging es genau umgekehrt. Die zitierten Nebenhandlungen begriff ich von vornherein als die zentralen Bestandteile der Geschichte, welche sie in Fahrwasser schwerwiegender, moralischer Konflikte hineinmanövriert. So nutzt Hongkongs Polizei durch damit beauftragte Ermittler à la Kriminalkommissar Don Lee systematisch Informanten, die in den Verbrechersyndikaten fest verankert und an der Planung und der Ausführung von Straftaten beteiligt sind, um sie sukzessive an ihre geheimen Dienstherren zu verraten. Es ist ein hoch riskantes Spiel auf Leben und Tod, denn wer als “Stool Pigeon“, als ein Verräter enttarnt wird, den erwartet ein grausames Schicksal. Don Lee versucht seine Kollegen und sich selbst davon zu überzeugen, dass die Informanten ihr Risiko selbst einschätzen könnten und dass es ihnen vor allem ums Geld gehe. Aber er weiß, dass das nicht stimmt. Lee selbst erpresst den soeben aus dem Gefängnis entlassenen Ghost jr. (Nicholas Tse), als jener ein Auto klaut, und stellt ihm in Aussicht, dass er mit dem Erlös seiner Tätigkeit als Informant seine Schwester (Sherman Chung) aus den Klauen des Zuhälters Wing (Tony Ho) befreien könne, nachdem doch ihr Vater ihnen eine erhebliche Schuldenlast gegenüber jenem Kriminellen vererbte. So gerät Don Lee, der selbst durch einen Fehltritt seine Ehe zerstörte und seine Frau in einen Suizidversuch trieb, in ein moralisches Dilemma, das er unbedingt lösen muss, will er an der Vielzahl der Widersprüche in seinem Inneren nicht zugrunde gehen.
Der dramaturgisch und auch bildästhetisch wunderbar inszenierte Neo Noir The Stool Pigeon hat insofern viel zu erzählen und viel zu bieten. Er ist sowohl spannend als auch von einem erstklassigen Ensemble geprägt. Nicholas Tse, Nick Cheung und Gwei Lun-Mei überzeugen als Trio im Zentrum des Films auf ganzer Linie, da sie die Ambivalenz ihrer Charaktere zum Ausdruck bringen. Philip Keung, Vincent Wan und Yi Lu sind als Gangster in tragenden Rollen von jeglichen Skrupeln und Gewissensbissen frei und zeichnen sich durch die für den Neo Noir aus Fernost typische Brutalität und ein je impulsives Temperament aus. Letzteres kommt gerade in dem über siebenminütigen Showdown zum Tragen, wo Dante Lam offensichtlich den Erwartungen seiner auf Action getrimmten Fans gerecht werden wollte. Hier wurde es mir persönlich in Anbetracht der zum Exzess gesteigerten Gewalt eines mit allen nur erdenklichen Instrumenten geführten Kampfes auf Leben und Tod zu viel. Obwohl sie nochmals einen sehr konsequenten Schlusspunkt setzt, konnte mich die Geschichte nicht so überzeugen wie einst One Nite in Mongkok – Nacht der Entscheidung (HK 2004) oder Infernal Affairs - die achte Hölle (HK 2002). Sie bleibt dennoch ein rasant inszenierter und mehr oder minder sehenswerter Beitrag des Honkgong Noirs, der einem für den Genuss dieses Films in seiner mitunter überspitzten Dramatik jedoch liegen muss.
In Deutschland erschien der Film nicht, allerdings gibt es international mehrere Ausgaben, so etwa eine US-amerikanische BD- und auch DVD-Edition (2011, RC 1) via Well Go USA Entertainment mit dem Fim ungekürzt im Originalformat und mit der original chinesischen Tonspur und optional mit einer englischen Synchronisation, das Ganze inklusive englischer Untertitel, bild- und tontechnisch exzellent, allerdings ohne Extras. Bildträger aus Fernost bieten den Film in ähnlicher Ausstattung, zudem ist er in diversen Streamingportalen verfügbar. Bei der französischen DVD-Ausgabe (2012) mit dem Titel The Insider ist Vorsicht geboten, da sie zur kantonesischen Tonspur einzig französische Untertitel bietet.