Dieter Borsche, Inge Egger, Peter Mosbacher, Jan Hendriks, Julia Fjorsen
Zwischen Panzersperren des ehemaligen Westwalls im deutsch-niederländisch-belgischen Dreiländereck verschanzt sich unter Führung des kriminellen Jan Krapp (Jan Hendriks), seiner Freundin Cilly (Julia Fjorsen) und der unerschrockenen Marianne Mertens (Inge Egger) die Kinderbande der „Rabatzer“, der minderjährigen Kaffeeeschmuggler. Es ist ein lohnenswertes und gefährliches Geschäft, denn auf der Seite der Bundesrepublik warten unter Führung von Zollkommissar Dietrich (Peter Mosbacher) dessen bewaffnete Grenzbeamte mit ihren Spürhunden, welche die Kinder reihenweise einsammeln und in Transportern zum Verhör auf das Zollamt führen. Heute stürmen sie unter Mariannes Führung auf einem Bahnsteig in einen wartenden Zug, foppen die Zöllner, indem sie gleich auf der gegenüberliegenden Seite wieder aussteigen und in Richtung des Waldes das Weite suchen. Jan Krapp hat sich mit der kleinen Bertha (Cornelia Froboess) und ihrer Puppe in der Hand von den übrigen abgesetzt, er wird sie später wiedertreffen. Die Grenzpolizisten sind mit Fahrrädern und einem Lkw angerückt, bekommen am Ende von der Hundertschaft aber nur 9 Kinder zu fassen, die von ihnen zu Dietrich und dessen obligatem Verhör geführt werden. Unter ihnen ist auch Mariannes jüngerer Bruder Heinz (Wolfgang Jansen), der jedoch nicht auf den Mund gefallen ist und wie alle beim Verhör einen falschen Namen nennt. In einer Ecke sieht er den ihm unbekannten Hans Fischer (Dieter Borsche) stehen und ihn reglos beobachten…
Wer sich vom bundesdeutschen Kino der Nachkriegsjahre einmal überraschen lassen möchte, sollte sich diesen unsentimentalen, gänzlich ohne Zuckerguss auskommenden Kriminalfilm im Dreiländereck der Bundesrepublik Deutschland, Belgien und der Niederlande ansehen. Seine pointierte Regie, die expressionistische Bildsprache des Kamermanns Igor Oberberg und ein verblüffend versiertes und stilsicher aufspielendes Ensemble heben den harschen, dunklen Thriller deutlich über den Durchschnitt des Filmschaffens jener Jahre. Vor allem Inge Egger und Jan Hendricks als junge Schmuggler, vom eigenen Erfolg berauscht und von Lebensgier entflammt, sind in ihren Rollen für dieses Werk ein Glücksgriff. Sie organisieren den Kaffeeschmuggel durch die Kinder in den grenznahen Dördern auf deutschem Staatsgebiet, doch als der von allen bewunderte und zugleich skrupellose Jan Krapp erst Kokain und schließlich die Beute aus einem Raubüberfall nach Belgien verkauft, wendet sich das Blatt. Marianne Mertens muss sich fragen, inwieweit sie sich trotz Treueeids in den Strudel eines kriminellen Lebens hinabziehen lassen will… Mit seiner dem zeitgleich in Italien erfolgreichen Neorealimus verwandten Attitüde erinnert der Film an einige von Sozialkritik geprägte Dramen des US-Gangsterfilms aus den späten 30er Jahren, die dem Film Noir vorausgingen. In William Wylers Sackgasse (USA 1937) und in Michael Curtiz‘ Chicago – Engel mit schmutzigen Gesichtern (USA 1938) sahen sich Kinder und Jugendliche von Baby Face Martin (Humphrey Bogart) oder von Rocky Sullivan (James Cagney) ebenso beeindruckt und beeinflusst, wie sie es in Stemmles Sündige Grenze von ihrem charismatischen Anführer Jan Krapp sind. Aber schon früh und immer wieder macht der Film deutlich: Beim Kaffeeschmuggel hat nur Erfolg, wer sich nicht erwischen lässt. Am Ende des Tages ist es einem wie Krapp vollends egal, wer von ihnen mit Geld oder mit leeren Händen zu seiner Familie zurückkehren wird. Bei den Rabatzern ist sich jeder selbst der nächste.
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„Robert Adolf Stemmles zwischen Neorealismus und Film Noir quer platzierte Produktion Sündige Grenze zeigt, warum es gut ist, dass die Grenzen fallen“,heißt es im Programm über eine 2017 unterm Titel Zu den Verhältnissen im Zeughauskino in Berlin aufgeführte Retrospektive des Kinoschaffens der jungen Bundesrepublik Deutschland aus den Jahren 1949 bis 1963. Tatsächlich steht Jan Hendricks als Homme fatale seinen Kollegen in vergleichbaren Rollen in nichts nach. Er erinnert sowohl an Nigel Patricks Simon Rawley in Das schweigende Dunkel (UK 1949) als auch an Vittorio Gassman als Walter in Giuseppe de Santis Bitterer Reis (ITA 1949). Und sogar ein Maciek Chelmicki (Zbigniew Cybulski) in Andrzej Wajdas brillantem Asche und Diamant (POL 1958) gemahnt beizeiten an den orientierungslosen Tunichtgut Jan Krapp in den Wirren der Nachkriegszeit. Stemmles Inszenierung vor Ort an der Grenze ist von seinen exquisitit gewählten Schauplätzen geprägt und die Leistungen einzelner Kinder – allen voran Wolfgang Jansen und Cornelia Froboess – sind beeindruckend. Stemmle hatte für Gustav Fröhlichs Wege im Zwielicht (GER 1948) und für Helmut Käutners Film Noir Epilog - Das Geheimnis der Orplid (GER 1950) jeweils das Drehbuch verfasst oder als Co-Autor daran mitgearbeitet. Dennoch wirkt seine Regiearbeit Sündige Grenze in seiner Art noch heute wie ein (wunderbarer) Einzelfall. Ein Schwachpunkt ist für mich Dieter Borsche als Soziologe der Universität zu Köln, der sich das Vertrauen der Einheimischen zu erschleichen hofft, dabei jedoch so distanziert wirkt, dass es zu Lasten seiner Glaubwürdigkeit geht. Auf jeden Fall ist der Film aber zu empfehlen; er sticht aus dem Schaffen seiner Epoche nach meinem Dafürhalten klar heraus.
Eine mit dem Originalplakat schön aufgemachte deutsche DVD-Ausgabe (2011) der Universum Film GmbH beinhaltet den Film ungekürzt und im Originalformat, bild und tontechnisch einigermaßen (obgleich nicht brillant) restauriert und inklusive des deutschen Originaltons, allerdings ohne die auf dem DVD-Cover versprochenen deutschen Untertitel und ebenso ohne Extras.