Jowita Budnik, Sebastian Fabijański, Mariusz Bonaszewski, Michał Żurawski, Łukasz Simlat
Es 7:00 Uhr am Morgen, als der Wecker klingelt und die hochschwangere Inspektorin der Kriminalpolizei Iza Dereń (Jowita Budnik) in die Badewanne steigt. In der am See Jeziorak gelegenen polnischen Kleinstadt Iławiec, so die Radionachrichten, werden seit 48 Stunden zwei Polizeibeamte vermisst. Auch Inspektorin Dereń beteiligt sich mit mehreren Kollegen an der Suche, die sie in die ufernahen Wälder führt. Als die vier Beamten einen Unterstand, aus dem von einer Feuerstelle Rauch aufsteigt, untersuchen wollen, wird von einem Gewehrschützen mit Vogelschrot auf sie gefeuert und der Polizist Rosiak (Grzegorz Stosz) am Bein verletzt. Aber der Kerl im Hinterhalt kann ihnen in die angrenzenden Sümpfe entkommen. Per Funk gibt Iza Dereń die Anweisung, am Westufer des Sees Boote patroullieren zu lassen… Später in ihrem Büro sucht sie ihr Vorgesetzter, Kommandeur Wolski (Mariusz Bonaszewski), auf und erkundigt sich nach ihrem Befinden. Er möchte seiner Inspektorin gern eine Ruhepause gönnen, aber Iza lehnt das entschieden ab. Wolski stimmt zu, teilt ihr aber mit, dass er ihr einen Kollegen an die Seite stellen werde. Als kurz darauf ein Angler am Ufer des Sees sein Kanu aus dem Schilf holt, das er seit ein paar Wochen nicht mehr benutzte, findet er darin die Leiche der aus der Ukraine stammenden Prostituierten Tatiana Usijewa (Anna Mrozowska), die jedoch nicht im See ertrank, sondern erdrosselt wurde…
Michał Otłowskis dramaturgisch eigenwilliges und zugleich engagiertes, dunkles Drama um zwei in der Provinz angesiedelte Ermittlungen der örtlichen Kriminalpolizei, die bald in ein und denselben Kriminalfall münden, erinnert mit seiner weiblichen Polizistin Iza Dereń an Joel und Ethan Coens Fargo – Blutiger Schnee (USA/UK 1996) und an die erste Staffel von Søren Sveistrups TV-Serie Kommissarin Lund (DNK/NOR/SWE/GER 2007). Jeziorak ist ein düsterer Film um eine desillusionierte Polizeibeamtin, die beruflich und privat an ihre Grenzen geführt wird, von Jowita Budnik brillant porträtiert. Überhaupt sind die Darsteller dergestalt weit entfernt vom Mainstream vergleichbarer Kinoproduktionen und allesamt exzellent gewählt, so dass es durch die Bank eine Freude ist. Dies lässt die Zuschauer auch über einige etwas klischeehafte Wendungen des Dramas hinwegsehen – voreilige Verhaftung und Konflikt mit Anwalt eines Verdächtigen, die Inspektorin bekommt ihren Fall von überregionaler Behörde entzogen, etc. pp. Derlei kennt man aus jedem zweiten Thriller oder aus Fernsehserien in der Nachbarschaft zu dieser Art Neo Noir und es lässt die Filmhandlung für den Cineasten vorhersehbar werden. Dennoch hält Michał Otłowski, alleiniger Autor und Regisseur des Films, seine Geschichte in der Spur und bringt deren komplexe Anlage in angemessener Weise auf den Punkt. Letzteres heißt in solch einem Werk, dass es im Grunde nicht um die Suche nach einem Mörder geht und schon frühzeitig klar wird, dass es wohl kaum einen Gewinner oder eine Gewinnerin geben wird.
Das Erbe der Vergangenheit lastet schwer auf den Schultern der Nachkommen. Das ist nicht allein für den polnischen Thriller des 21. Jahrhunderts eine typische Verwurzelung in der Tradition des klassischen Film Noirs. Vielmehr trifft es auf viele Erzählungen außerhalb der schnelllebigen, urbanen Gesellschaften zu. Auf dem Land ist die Gemeinschaft überschaubar; man kennt einander mit Namen und womöglich sogar mit Geburtsjahr. Worauf es aber ankommt ist letztlich, was man nicht kennt und was man nicht weiß… In Kjell Sundvalls Jägarna (SWE 1996) oder auch in Baltasar Kormákurs Jar City (ISL/GER/DNK 2006) sind es gleichermaßen Geheimnisse der Vergangenheit, die ihre langen Schatten ins Hier und Heute werfen und die Protagonisten keine Ruhe finden lassen. Jeziorak ist nicht perfekt und doch ein Film, der vielen auch in Deutschland erfolgreichen Produktionen aus der Sparte des Neo Noirs mindestens ebenbürtig und einigen klar überlegen ist. Dennoch lief das Werk außerhalb Polens nicht im Kino und hat auch als BD oder DVD in Europa oder darüberhinaus kaum Verbreitung gefunden. Das ist bedauerlich, ist Jeziorak in Form und Inhalt doch ein Beispiel dafür, in welchem Maß der polnische Thriller im 21. Jahrhundert zugelegt und nicht selten ein internationales Niveau erreicht hat. Empfehlenswert!
Eine polnische DVD (2014) von Phoenix Film Sp. im ansprechenden Digipack mit einem eingeklebtem Booklet, das Produktionsnotizen und einen Kommentar (auf Polnisch) Michał Otłowskis sowie Standfotos enthält, beinhaltet den Film ungekürzt im Originalformat mit dem polnischen Originalton und mit englischen Untertiteln., das Ganze allerdings ohne weitere Extras.