Neo Noir
| France
| 2007
| José Giovanni
| Alain Corneau
| Daniel Auteuil
| Gérald Laroche
| Gilbert Melki
| Jacques Dutronc
| Michel Blanc
| Philippe Nahon
Bewertung
****
Originaltitel
Le deuxième souffle
Kategorie
Neo Noir
Land
FRA
Erscheinungsjahr
2007
Darsteller
Daniel Auteuil, Monica Bellucci, Michel Blanc, Jacques Dutronc, Eric Cantona
Regie
Alain Corneau
Farbe
Farbe + s/w
Laufzeit
149 min
Bildformat
Widescreen
Frankreich um das Jahr 1960: Dem schon betagten Gangster Gustave Minda (Daniel Auteuil), von allen „Gu“ genannt, gelingt mithilfe seines Mithäftlings Bernard (Fabrice Donnio) eines Nachts die halsbrecherische Flucht über die Gefägnismauer. Fast 10 Jahre war Gu inhaftiert, jetzt fliehen die beiden in einem Gütertzug Richtung Paris, doch Bernard springt am Morgen ab und Gu fährt allein weiter… Im Pariser Nachtclub von Gus alter Freundin Simona Giovannetti, genannt Manouche (Monica Belluci), erfährt der Notar der Unterwelt Jacques (Jean-Claude Dauphin) als erster von Gus’ sensationeller Flucht und informiert seine Chefin, die davon tief getroffen ist. Sie, Jacques und Manouches langjähriger Vertrauter Alban (Eric Cantona) beschließen sofort, dass man Gu jetzt helfen müsse. Aber bevor sie etwas unternehmen können, betreten drei Männer (Cyrille Dobbels, Didier Nobletz, Yves Lambrecht) das Lokal, ziehen unter ihren Mänteln Maschinenpistolen hervor und eröffnen auf die Angestellten am Tresen das Feuer. Jacques bricht im Kugelhagel tödlich getroffen zusammen, doch Alban gelingt es, einen der Angreifer schwer zu verwunden, die daraufhin die Flucht ergreifen. In wilder Panik fliehen auch die Gäste, als nach kurzer Zeit auch Kommissar Blot (Michel Blanc) mit einem Kollegen (Michel Vivier) den Tatort inspiziert und im Nu die richtigen Schlüsse zieht. Er weiß genau, dass in diesem Kreis niemand irgendetwas zu wissen scheint und dass früher oder später selbst Gustave Minda auftauchen wird…
Zu Beginn des Jahrtausends brachte Neil Jordan unterm Titel Der Dieb von Monte Carlo (FRA/UK/IRL/CAN 2002) ein Remake von Jean-Piere Melvilles Drei Uhr nachts (FRA 1956), in den Hauptrollen Nick Nolte und Nutsa Kukhianidze. Jordans Neufassung ist kein schlechter Neo Noir, aber längst nicht die Art Kultfilm, die manche darin sehen. Fünf Jahre später verfilmte Alain Corneau José Giovannis erstmals in der Série Noire von Gallimard verlegten Roman Le deuxième souffle (EA 1958), der ebenfalls von Jean-Pierre Melville verfilmt worden war - Der zweite Atem (FRA 1966) - und als Klassiker des französischen Film Noirs seiner Zeit gelten darf. Mit Lino Ventura und Paul Meurisse kongenial besetzt, genießt dieser harte und tragische Film heute als DVD (2008) eine Edition in der renommierten Criterion Collection (USA). Jean-Pierre Melville gilt längst eine Ikone des europäischen Film Noirs (er verstarb 1973) und auch seine anderen Filmdramen genießen einen guten Ruf. Alain Corneau war ab Mitte der Siebziger einer, der mit Werken wie Im tödlichen Kreis (FRA/GER 1976), Serié noire (FRA 1979) und Wahl der Waffen (FRA 1981) antrat, Melvilles Erbe fortzuführen. Neben Bertrand Tavernier war Corneau lange vor Luc Besson oder Mathieu Kassowitz jemand, der fiese, dreckige und kaputte Kriminalfilme drehte, die auch Regisseure wie Dominik Graf (Die Katze, GER 1988) beeinflussten. Mit Le deuxième souffle kehrte der damals 64jährige Corneau zum Film Noir zurück und erntete für dieses “Remake“ prompt die Schelte der Filmkritik und die Nichtachtung durchs Publikum: der Film floppte. Zu Unrecht, wie ich finde, denn Alain Corneaus Le deuxième souffle bleibt zwar einerseits eng an seiner (literarischen) Vorlage, traut sich andererseits durchaus stilistische Wagnisse zu, wie man sie eher einem Quentin Tarantino zuschriebe.
In grellbunten Farben, daraus ein Neongrün, Goldgelb und Feuerrot herausstechen, inszenieren Corneau und sein Kameramann Yves Angelo, der 2008 für seine Arbeit an Le deuxième souffle für den französischen Filmpreis César nominiert wurde, einen Neo Noir, der wie eines der grandiosen Nachtschattengewächse John Altons (Flucht ohne Ausweg, USA 1948) aussieht. Die von extremen Farben getupfte Nacht gibt dem Film seinen Kunstraum, eine Noir-Bühne fürs Ensemble, das sich dieser seiner Welt begegnet und das Schicksal herausfordert. Erst zum Ende schließt sich der Vorhang, indem Alain Corneau diese Welt plötzlich zum Alltag der bürgerlichen Parallelwelt hin öffnet, die nun in den gewöhnlichsten Formen und Farben den Inspektoren der französischen Polizei über die Schultern schaut. Die beizeiten sogar an den Stil von Comicbüchern gemahnende Ästhetik ist jedoch bloß ein Teil jener Rezeptur, die durch eine werkgetrue Adaption der Vorlage José Giovannis und eine wunderbar ausgewähltes Ensemble an Schauspielern ergänzt wird. Daniel Auteuil erinnert mit 57 nicht nur aufgrund seiner Physiognomie an Lino Ventura, er präsentiert sich auch ähnlich versiert. Dazu kommen der herausragende Michel Blanc, der immer zuverlässige Gilbert Melki und ein herrlich lässiger Jacques Dutronc. Sie alle zeigen sich unter tief in die Stirn gezogenen Hutkrempen von jeweils besten Seiten, nicht schlechter als mancher gegerbte Rollencharakter eines Film Noirs der Vierziger und Fünziger. So schlussfolgert Kurt Halfyard allemal berechtigt für Twitch, dass “for those who like the gloriously artificial nature of the genre and the separate universe of the night that noir has always embodied, the opportunity is offered here to dream deeply.”
Erstklassige DVD-Edition (2009) der Optimum Releasing Ltd. (UK) unterm Titel The Second Wind mit dem Film bild- und tontechnisch topp und ungekürzt im Originalformat, dazu der französische Originalton inklusive englischer Untertitel, das Ganze mit dem Kinotrailer als Extra. Für den Film-Noir-Freund durchaus zu empfehlen!