Film Noir
| UK
| 1948
| David MacDonald
| Bonar Colleano
| Dennis Harkin
| Dennis Price
| Garry Marsh
| Herbert Lom
| Hugh McDermott
| Diana Dors
| Jane Hylton
| Jean Kent
| Zena Marshall
Bewertung
****
Originaltitel
Good-Time Girl
Kategorie
Film Noir
Land
UK
Erscheinungsjahr
1948
Darsteller
Jean Kent, Dennis Price, Herbert Lom, Peter Glenville, Griffith Jones
Regie
David MacDonald
Farbe
s/w
Laufzeit
87 min
Bildformat
Vollbild
London: Im Gerichtsgebäude erinnert sich die Jugendrichterin Ms. Thorpe (Flora Robson) bei Belehrung von Lyla Lawrence (Diana Dors) an das Schicksal von Gwen Rawlings (Jean Kent). Als diese 16jährige Angestellte einer Pfandleihe einst versuchte, eine Brosche, die sie sich für eine Nacht im Tanzclub geliehen hatte, an ihren Platz zurück zu legen, wurde sie von ihrem Chef Mr. Pottinger (Elwyn Brook-Jones) dabei erwischt, der sie des Diebstahls bezichtigte. Er machte ihr ein anzügliches Angebot, wofür ihm Gwen eine Ohrfeige verpasste und entlassen wurde. Nachdem er Gwen bei ihrem arbeitslosen, trunksüchtigen Vater (George Carney) angeschwärzt hatte, erhielt sie von ihm eine Tracht Prügel und lief gegen den Wunsch ihrer Mutter (Beatrice Varley) auf und davon. Bei der ältlichen Mrs. Chalk (Amy Veness) mietete Gwen Rawlings sich ein Zimmer im obersten Stock einer Mietskaserne und lernte sogleich Jimmy Rosso (Peter Glenville) kennen. Zwar mochte sie die freche Art nicht, mit der sich Rosso an sie heran pirschte, aber er - dort selbst ein Kellner - besorgte ihr eine Anstellung als Garderobenmädchen im Blue Angel Club von Max Vine (Herbert Lom). Bald waren viele der Angestellten von der hübschen Minderjährigen angetan, allen voran ein Musiker der Hausband namens Michael “Red“ Farrell (Dennis Price), der sich trotz ihrer Kratzbürstigkeit um Gwen kümmerte. Doch Jimmy Rosso passte nicht, dass es Gwen ihm gegenüber an Dankbarkeit fehlen ließ. Eines Nachts beobachtete er Gwen und Red beim Verlassen des Clubs und zog seine Schlüsse daraus. Unangemeldet dringt Jimmy Rosso später in ihr Zimmer ein…
Ein exzellentes Sozialdrama von überraschender Dynamik und Härte, das uns reihenweise Elemente des Film Noirs beschert, wie er auch in England in jenen Nachkriegsjahren zur Blüte kam: Rückblendenstruktur und das hart kontrastreiche Schwarzweiß eines Films, der zu großen Teilen nachts spielt, sowie durchweg illoyale, biestige und teils monströse Charaktere, die wie Wölfe aufeinander losgehen, seien sie nun Männer oder Frauen. Tanz in den Abgrund entwickelt ein wahrhaft düsteres und bitterböses Gesellschaftsbild, das in seinem Zentrum den unaufhaltsamen und ungebremsten Niedergang Gwen Rawlings’ abbildet, deren Verwandlung zu einer verbitterten, zynischen und manipulativen Femme fatale in nur 87 Minuten faszinierend zu beobachten ist. Die damals bereits 27jährige Jean Kent spielt eine 16jährige, aber wenngleich der Zuschauer ihr das höhere Alter ansehen kann, - “Hey! This paper’s got a nerve. It says I am between 25 and 30.“ - so trägt vor allem ihre engagierte und reife darstellerische Leistung einen Film, darin auch die übrigen Charaktere auf bemerkenswerte Weise stimmig porträtiert sind. Der junge Herbert Lom (Die Ratte von Soho, UK 1950) ist schlicht großartig als Nachtclubbesitzer Maxie und der Theaterregisseur Peter Glenville (Becket, UK/USA 1964) ist ebenfalls brillant in einem seiner nur sporadischen Filmauftritte.
„Boy, are we hot.“ – „Red hot!“ –“Well, it’s no sense in sticking our necks out.” Die knappen, harten und gern zynischen Dialoge als Reflexe auf die gesellschaftliche Geometrie von Gewinnen und Verlieren: alles wird dem Gedanken raschen Zugriffs und raschen Verschwindens unterworfen. Teenager Gwen Rawlings driftet von einer Lebensstation zur nächsten. Nirgendwo findet sie nur Zufriedenheit, geschweige denn Glück oder ein Zuhause, so dass sie weiter hetzt, getrieben von der eigenen, zuletzt motivlosen Gier und längst skrupellos. In mancher Hinsicht ist dieser britische Film Noir der Spätvierziger bereits explizit am sozialen Kontext dran. Er reflektiert ihn, was besonders in der Schlusssequenz zum Ausdruck gebracht wird, die den Zuschauer zu Mrs. Thorpe und Lyla Lawrence zurückführt. Hier erscheint der Bogen oberflächlich konservativ, doch lässt der Gesichtsausdruck Flora Robsons in der finalen Einstellung kaum Zuversicht erahnen. Tanz in den Abgrund zählt heute zur Legion nahezu unbekannter und kaum greifbarer englischer Film-Noir-Titel der Vierziger und Fünfziger, die auf ihre Wiederentdeckung warten. Solches Archiv hätte viel zu bieten und es wäre wünschenswert, wenn sich öffentliche oder auch kommerzielle Organisationen endlich der Sichtung und Restauration des Materials zuwendeten. Im Gegensatz zu dem erst 2012 verstorbenen Filmstar Herbert Lom, von Geburt Tscheche, hatte Dennis Price in den 50er Jahren (nicht zuletzt aufgrund seiner Alkoholabhängigkeit) eine lediglich kurzlebige Karriere. Jean Kent trat 1950 in Anthony Asquiths Film Noir The Woman in Question (UK 1950) auf, bevor auch ihr Stern ab Mitte des Jahrzehnts zu sinken begann.
Der Film Noir Tanz in den Abgrund ist heute in der Public Domain und sah noch nie eine Veröffentlichung auf DVD oder gar BD. Mitunter wird er online als DVD-R angeboten; die Quelle ist zumeist das alte VHS-Video aus der British Classics Collection, seit langem vergriffen.