Film Noir
| USA
| 1952
| Roy Ward Baker
| Lucien Ballard
| Don Beddoe
| Elisha Cook jr.
| Jim Backus
| Richard Widmark
| Anne Bancroft
| Marilyn Monroe
Bewertung
****
Originaltitel
Don’t Bother To Knock
Kategorie
Film Noir
Land
USA
Erscheinungsjahr
1952
Darsteller
Richard Widmark, Marilyn Monroe, Anne Bancroft, Donna Corcoran, Elisha Cook jr.
Regie
Roy Ward Baker
Farbe
s/w
Laufzeit
73 min
Bildformat
Vollbild
© Twentieth Century Fox Film Corporation
New York: Im noblen Hotel The McKinley ist an diesem warmen Abend allerhand los. Nur die Jazzsängerin Lyn Lesley (Ann Bancroft), die in der Hotelbar mit ihrem Programm unterhält, hockt deprimiert auf einem Barhocker. Hier erzählt sie auf Nachfrage dem Barkeeper Joe (Willis Bouchet) vom Grund ihrer Schwermut, den jener längst erraten hat. Ein Mann namens Jed Towers (Richard Widmark) steckt dahinter, ein ungewöhnlicher Mann, wie sie sagt, den sie vor sechs Monaten in dieser Stadt kennen lernte, der aber leider nicht hier ist. Dann ertönen die Klänge der Hausband, Lyn greift ihr Mikrofon und singt “How About You?“ für die Gäste in der Bar… Im achten Stock liegt Jed rauchend auf dem Bett und lauscht Lyns Gesang, der über die Lautsprecheranlage im Hotel zu hören ist. Längst ist der Pilot einer privaten Airline aus Chicago kommend im Hotel eingetroffen. Auf dem Nachtisch liegt ein Brief Lyns, darin sie die Beziehung zu ihm ausdrücklich beendet. Jed nimmt und zerreißt ihn und lässt die Fetzen aus dem Fenster seines Zimmers auf die Straße wehen… Zeitgleich erreicht die junge Nell Forbes (Marilyn Monroe) die Lobby, wo sie von ihrem Onkel Eddie Forbes (Elisha Cook jr.) in Empfang genommen wird, der seit 15 Jahren im The McKinley Fahrstuhlführer ist. Nell ist erst seit kurzem in der Großstadt und hat heute dank Eddie ihren ersten Job. Für das Ehepaar Ruth (Lurene Tuttle) und Peter Jones (Jim Backus) soll die schüchterne Schöne als Babysitter deren Tochter Bunny (Donna Corcoran) hüten. Aber so schüchtern Nell ist, so nervös erscheint Onkel Eddie. Der weiß nämlich um einiges mehr über seine Nichte, als er dem Ehepaar Jones mitzuteilen gewillt ist…
Zweierlei lässt sich über diesen Film auf Anhieb sagen: Der britische Regisseur Roy Ward Baker (Jim Ackland unter Mordverdacht / Zwielicht, UK 1947) liefert eine engagierte Verfilmung des 1951 erschienenen Romans Mischief aus der Feder Charlotte Armstrongs, deren Thriller Der Unverdächtige bereits 1947 von Regisseur Michael Curtiz zum Film-Noir-Klassiker gekürt wurde. Dabei steht ihm der exzellente Kameramann Lucien Ballard zur Seite, der die vollends im Hotel angesiedelte Geschichte eines einzigen Abends mit den auffällig kontraststarken Bildern eines Film Noirs inszeniert. Für Marilyn Monroe, die erstmals die weibliche Hauptrolle bekleidete und auf den Filmplakaten hinter Richard Widmark an zweiter Stelle erschien, bedeutete der Film den Durchbruch. Zugleich ist er mit Blick auf ihr Gesamtwerk ungewöhnlich, denn der Rollencharakter Nell Forbes ist nicht bloß eine "ernste Rolle“, wie Filmkritiker nicht müde werden festzustellen. Nell Forbes ist eine hochgradig gestörte junge Frau, deren Psychopathologie durch eine Verkettung von Umständen in ungeahnter Weise erneut zum Tragen kommt. Sukzessive reiht die Geschichte die auslösenden Elemente dessen aneinander und baut eine Spannung auf, die durch jene die Fehleinschätzung fördernde, äußere Attraktivität Nells – sie bedient sich bei Ruth Jones’ Parfüm, Schmuck und Kleidungsstücken – noch erhöht wird. Wann werden die Erwachsenen, denen Bunny Jones schon bald eine böse Ahnung voraus hat, endlich hinter Nells Geheimnis kommen? So dürfte sich mancher Zuschauer noch heute fragen.
Marilyn Monroe zeigt, dass sie eine Schauspielerin war - nicht sensationell, aber durchaus kompetent. Mancher Kritiker stellt zu Recht fest, dass die Nell Forbes bis zu ihrer letzten Rolle in John Hustons Misfits - Nicht gesellschaftsfähig (USA 1961) Marilyn Monroes vielschichtigste und beste bleiben sollte. Aber ihr Schauspiel an der Seite von exquisiten Darstellern wie Richard Widmark und einem überragenden Elisha Cook jr., der jede seiner Szenen zur Perfektion bringt, macht aus Versuchung auf 809 längst keinen Klassiker. Nach einem über drei Viertel der Strecke sorgfältig betriebenen Aufbau des Dramas kommt das Finale zu abrupt und standardisiert daher. Mit dem hastigen Schlussakt, der die Beziehung Jed Towers’ und Lyn Lesleys ruckzuck (und unglaubwürdig) wiederbelebt, wird es fast zu einer Enttäuschung. Insofern der Film auf typische Klischees zu verzichten weiß, was Darstellung und Einschätzung einer psychischen Erkrankung betrifft, geht es am Ende viel zu harmlos und rührselig zu. Das ist schade, denn bis dahin weiß Versuchung auf 809 zuzupacken und die verschiedenen Erzählstränge im Rahmen des Hotelbetriebs geschickt miteinander zu verknüpfen. Im folgenden Jahr sollte Marilyn Monroe unter Henry Hathaway in dessen farbigem Film Noir Niagara (USA 1953) auftreten und die meisten Attribute ihrer späteren Rolle(n) als ewige Blonde Bombshell bereits vorwegnehmen.
Sehr gute DVD der Twentieth Century Home Entertainment (2003) mit dem Film ungekürzt im Originalformat, bildtechnisch topp restauriert, inklusive der englischen und einer (2000 anstelle der verlorenen Originalsynchronisation eingesprochenen) deutschen Tonspur, dazu wahlweise 10 verschiedene Untertitel, den Kinotrailer und Bildergalerien als Extras. Lediglich die äußere Gestaltung der Marilyn Monroe Diamond Collection unter Verzicht aufs originale Kinoplakat ist zeitgemäß lieblos-beliebig.