Film Noir
| USA
| 1948
| Jacques Tourneur
| Lucien Ballard
| Charles McGraw
| Fritz Kortner
| James Nolan
| Paul Lukas
| Paul Stewart
| Robert Dalban
| Robert Ryan
| Merle Oberon
Bewertung
***
Originaltitel
Berlin Express
Kategorie
Film Noir
Land
USA
Erscheinungsjahr
1948
Darsteller
Merle Oberon, Robert Ryan, Charles Korvin, Paul Lukas, Robert Coote
Regie
Jacques Tourneur
Farbe
s/w
Laufzeit
87 min
Bildformat
Vollbild
© Warner Bros.
Paris: Im Rahmen einer geheimen Konferenz gibt der deutsche Widerstandskämpfer Dr. Heinrich Bernhardt (Paul Lukas) vor einem Komitee der Siegermächte des Zweiten Weltkriegs einen Bericht ab und soll nun mit dem Zug weiter nach Frankfurt am Main und von dort nach Berlin reisen. Zuvor fängt der französische Geheimdienst noch die Nachricht einer Brieftaube ab – von einem Ort namens Sulzbach um 21:45 Uhr ist darin die Rede, doch Genaues bekommt man nicht heraus. An Bord des Zuges befinden sich an diesem Tag auch der US-amerikanische Agrarexperte Robert Lindley (Robert Ryan), der englische Lehrer Sterling (Robert Coote), ein Franzose namens Perrot (Charles Korvin), der russische Leutnant Maxim Kiroshilov (Roman Toporow) und ein Deutscher namens Hans Schmidt (Peter von Zerneck). In Begleitung eines älteren Herrn befindet sich zudem die attraktive Lucienne (Merle Oberon) mit in diesem Zug, die sich jedoch gegenüber den Komplimenten der reisenden Männer gleich in mehreren Sprachen reserviert gibt. Auf Geheiß des Militärs, das Dr. Bernhardt incognito in den Zug bringt, muss Lindley sich mit Monsieur Perrot ein Schlafabteil teilen, und auch zu essen gibt es angeblich nichts mehr. Als man die französisch-deutsche Grenze passiert, wird Lindley in Anbetracht der in Friedenszeiten mit ihm im Zug reisenden Deutschen etwas mulmig. Im grenznahen Sulzbach muss der Zug halten, weil einem Fuhrwerk auf dem Bahnübergang das Rad gebrochen ist…
Warum ist Dr. Bernhardt für die politische Zukunft Deutschlands überhaupt wichtig? Was enthält der Report des Jahre nach Kriegsende aus Frankreich nach Deutschland reisenden Widerständlers, was für die Siegermächte so relevant wäre, dass es über die Zukunft des Landes entscheidet? Welche Funktion hat seine hübsche Begleiterin Lucienne – Sekretärin, Geliebte, Agentin? Warum sind die US-Amerikaner so erpicht, ihn gesund nach Berlin zu bringen, und warum fliegen sie ihn nicht dorthin? Fragen über Fragen in einem Film, der vorgibt, eine Geheimdienstgeschichte aus den Wirren der Nachkriegsjahre zu erzählen und im Kern inhaltsleer ist. Hier rennen US-Soldaten und Mitglieder einer Untergrundorganisation – unbelehrbare Nationalsozialisten oder deutsche Kommunisten? – mit Waffen in der Hand durchs Bild, argumentieren gegeneinander, doch ohne etwas zu sagen. Der Erzähler (Paul Stewart) entwirft ein Bild der schwierigen Verhältnisse, zeichnet Schicksalsportraits und stellt die Frage nach der politischen Zukunft auf dem europäischen Festland. Aber dass die zentrale Person eine charismatische Marionette bleibt, macht den Film zuletzt unbefriedigend. Denn mehr und mehr legt er seinen propagandistischen Zweck bloß. Dass nämlich ein US-Amerikaner, ein Sowjetrusse, ein Engländer und eine Französin hier Detektiv spielen, soll zu Beginn des Kalten Krieges als Signal einer gemeinsamen Bewältigung der Europafrage dienen. Das ist eine vertretbare Botschaft, macht aber noch keinen guten Film.
Konträr zu den inhaltlichen Schwächen, die so offensichtlich sind, dass man versucht ist zu lachen, zeigt Berlin Express eine Menge an Atmosphäre und schauspielerische Qualitäten. Nicht nur die Tatsache, dass er an Originalschauplätzen in Paris, Frankfurt am Main und in Berlin gedreht wurde, macht ihn zu einem teils atemberaubenden Dokument der Filmgeschichte. Auch Lucien Ballards Kameraarbeit, die sich zur Hochphase des Film Noirs eines explizit expressionistischen Schwarzweiß‘ bedient, eine klare Hommage an Fritz Lang und die Zeit der Ufa-Stummfilme (Robert Siodmaks Bruder Curt schrieb die Erzählung, die dem Drehbuch als Vorlage diente), lassen den Zuschauer schmerzhaft spüren, was für ein erstklassiges Werk hieraus hätte werden können. Dazu Robert Ryan und Charles McGraw als Film-Noir-Akteure und die Charakterdarsteller Paul Lukas (Whispering City / Crime City, CAN 1947) und Robert Coote, die allesamt nichts zu wünschen übrig lassen. Zuletzt die Regie Jacques Tourneurs, der just für RKO mit Goldenes Gift (USA 1947) einen der Klassiker des Film Noirs gedreht hatte. Dennoch enttäuscht der Film; nicht ansatzweise kann er Carol Reeds Der dritte Mann (UK 1949), der ähnliches Terrain beackert, das Wasser reichen. Berlin Express ist nur teils ein Film Noir, vor allem nach Ankunft in Frankfurt in stilistischer Hinsicht, ein wenig auch inhaltlich – Robert Lindley fängt Feuer für die undurchsichtige Lucienne. Das Paar Dr. Berhardt und Lucienne wurde Victor Laszlo (Paul Henreid) und Ilsa Lund (Ingrid Bergmann) in Michael Curtiz‘ Casablanca (USA 1942) nachmodelliert. Berlin Express hatte seinerseits Einfluss auf den ebenfalls von RKO produzierten und nahezu vollständig in einem Zug spielenden Um Haaresbreite (USA 1952) mit Charles McGraw in einer seltenen Hauptrolle.
Erstklassige DVD-Ausgaben dieses Films von RKO gibt es in Europa von Odeon Entertainment (UK) und von der Edition Montparnasse (FRA), d.h. jeweils original englische Tonspur ohne Untertitel, bildtechnisch topp restauriert und ungekürzte Spielzeit. Achtung! Die deutsche Altsynchronisation (1954) z.B. der VHS-Videokassette hat den Film entpolitisiert und verfälscht - wie so oft in jenen Tagen des Kalten Krieges.