Stephen D’Ambrose, Michael Boyle, Charles Brin, Jeff Gadbois, Ben James
Los Angeles, Kalifornien: In einer kühlen Nacht im Februar 1946 entfacht der aus Cleveland, Ohio, stammende Gangster Sunny Moe Stein an einem Laternenpfahl ein Streichholz und zündet sich eine Zigarette an. Von hinten tritt ein zweiter Mann im Mantel und mit Fedora auf dem Kopf hinzu, zückt seine Pistole und erschießt Moe Stein mit drei hintereinander abgefeuerten Schüssen. Am nächsten Morgen berichtet die Los Angeles Times über den Vorfall und auch, dass die Police Detectives French (Ron Rogosheske) und Beifus (John Patrick Martin) vom Los Angeles Police Dept. in dem Mordfall die Ermittlungen übernehmen werden… Zur gleichen Zeit müht sich Privatdetektiv Philip Marlowe (Stephen D’Ambrose) im benachbarten Bay City, Los Angeles County, in dem harten Geschäft, das er für sich als Beruf erwählte, über die Runden zu kommen. In seinem Büro sitzt die aus der Kleinstadt Manhattan, Kansas, in die Metropolregion gereiste Orfamay Quest (Elizabeth Teefy), die nach einer Lektion über Fragen der Moral den Detektiv mit der Suche nach ihrem verschwundenen, älteren Bruder Orrin beauftragen möchte. Entgegen der Familientradition wurde Orrin Quest Ingenieur und zog vor einem Jahr nach Bay City, wo er bei der Carl Western Company Arbeit fand. Seine Korrespondenz in die Heimat wurde jedoch zunemend spärlicher und verebbte vor einigen Monaten ganz. Nun nutzt seine Schwester ihre Ferien, um Orrin in Bay City aufzuspüren, wo er in einer schäbigen Pension hauste, dort jedoch nicht mehr auffindbar ist…
Die Besonderheit dieser Produktion liegt auf der Hand, denn es handelt sich bei Philip Marlowe: Private Eye weder um einen Kino- noch um einen Fernsehfilm. Das Ganze ist ein PC-Spiel, welches im Jahr 1996 von der Brooklyn Multimedia, einer Tochter der Byron Preiss Multimedia Company, Inc. auf den Markt gebracht wurde und zwar in Form einer CD-ROM, seinerzeit das reguläre Format für solcherart Spiele für den Heimgebrauch. Die dem Spiel und seinem Handlungsverlauf zugrundeliegende Geschichte stammt, wie dessen Privatdetektiv im Titel nahelegt, aus der Feder Raymond Chandlers. Genaugenommen ist es eine Adaption seines fünften Romans um den populären Private Eye, betitelt The Little Sister (EA 1949, auf Deutsch erstmals 1953 als Die kleine Schwester), der einmal mehr in die Unterwelt von Bay City führt, Chandlers fiktive Bezeichnung für Santa Monica im Los Angeles County. Das Buch wurde bereits im Jahr 1969 für die Kinoleinwand verfilmt und zwar mit James Garner in der Rolle Philip Marlowes. Unter dem Titel Der Dritte im Hinterhalt (USA 1969) kam Paul Bogarts Verfilmung für Metro-Goldwyn-Mayer Studios Inc. auch in der Bundesrepublik Deutschland zur Aufführung. Nun ist ein PC-Spiel eben kein Film, doch wenn man den kompletten Verlauf zusammenfügt, ergibt sich eine durchgehende Handlung von 62 Minuten Spielzeit. Auf der Grundlage von Chandlers Philip-Marlowe-Romans wurde letztere von Barbara Lanza geschrieben; für die grafische Gestaltung und die Animation sorgten Michael Cayado und Marja Davis. Seit dem Beginn der klassischen Ära des Film Noir sind inzwischen 80 Jahre ins Land gegangen, demgegenüber das PC-Spiel Philip Marlowe: Private Eye keine 30 Jahre alt ist. Folglich sollte uns letzteres deutlich näherstehen als jene alten Filme in Schwarzweiß, die so eindeutig einer vergangenen Epoche angehören, richtig?
„Kinder, wie die Zeit vergeht!“ möchte man den Autoren, Produzenten und Grafikern von Philip Marlowe: Private Eye zurufen. Die Staubschicht auf solchem PC-Spiel – “Become the world’s greatest detective.“ hieß es auf der Verpackung - ist derart dicht und festgebacken, dass der einzig legitime Ort, wo solches Machwerk noch eine Berechtigung fände, ein Technikmuseum wäre. Indessen die Sprecherinnen und Sprecher ebenso wie die Dialoge à la Chandler halbwegs unterhalten, sind die stockende und starre Animation und die allzu simple Grafik einfach schrecklich. Jedes handgezeichnete Comicbuch der 70er und 80er Jahre und jeder klassische Zeichentrickfilm sind diesem PC-Spiel überlegen, was im Übrigen auch nicht den für die 90er signifikanten Status quo grafischer Möglichkeiten mit Blick auf eine Nutzung am Heimcomputer repräsentiert. Im Unterschied zu Kinoklassikern der 40er und 50er Jahre letzten Jahrhunderts wirkt Philip Marlowe: Private Eye heute furchtbar altbacken und langweilig. Mir fällt in Anbetracht der vielen Adaptionen der Erzählungen und Romane Raymond Chandlers kein einziger Grund ein, warum man damit seine Zeit verschwenden sollte.
Via Infogrames Multimedia gab es sogar eine deutsche CD-ROM (1997) des Spiels, das seinerzeit für die Betriebssysteme von Microsoft Windows und Apple Macintosh kompatibel war. Neben der englischsprachigen US-Version (1996) gab es auch Lizenzen des PC-Spiels für den spanischsprachigen Raum und für eine Nutzung in Fernost.