John Hawkes, Anthony Anderson, Octavia Spencer, Robert Forster, Clifton Collins jr.
In einer Kleinstadt in Utah lebt der alleinstehende Ex-Polizist und Alkoholiker Mike Kendall (John Hawkes) in einem Haus, dessen weißen Lattenzaun er in der letzten Nacht mit seinem 73-74 Chevrolet Nova, getuned, teils umsäbelte. Nachdem er seine Garage von innen öffnete, sieht er sich die Bescherung an, spült einige Tabletten gegen Kopfschmerzen mit Dosenbier runter, legt sich auf die Bank unter sein Squat Rack und beginnt mit dem Gewichtheben. Er erhöht die Belastung und kotzt zwischendurch in einen dafür bereitgestellten Eimer. Später im Haus hat er sich Hemd, Krawatte und einen Anzug angezogen, greift sich einige Unterlagen und telefoniert mit dem Police Department, wo er Officer Spencer verlangt. Der Beamte am Telefon kennt Mike und eröffnet ihm, dass er sich bezüglich seiner Bewerbung keine Hoffnungen machen solle. Es bräuchte ein Wunder, damit man ihn wieder in den Staatsdienst aufnähme… Mike Kendall steigt in seinen mattschwarzen Muscle Car und brettert mit quietschenden Reifen davon, indessen ihm eine Nachbarin nachruft: “Fuck you, Kendall!“ Er bewirbt sich bei einer Bäuerin (Page Petrucka) um einen Job auf ihrer Ranch, aber im Pferdestall wird klar, dass er zu Tieren keinen Bezug hat. Er bewirbt sich bei einem Autohändler (Joey Miyashima), doch als der ihn fragt, warum er kein Cop mehr sei, bleibt Kendall stumm. Ein Personalreferent (Terence Goodman) will wissen, wo auf einer Skala von 0 bis 10 er seinen Erfolg im Leben einordne. Kendall antwortet ohne zu zögern: „Two…“
“Sometimes you’re just such a shit heel, you know?” Es ist seine ex-Freundin, Bardame Tina (Michelle Lang), die es Mike Kendall an den Kopf wirft, aber es hätte auch jede andere Figur in diesem Neo Noir sagen können. Mike fällt nach einem halben Jahr ein, dass er Tina gerne wiederhätte, und sie ist fassungslos… Schon lange sah ich keinen Verlierer vom Schlag Mike Kendalls, der unterm Einfluss von Alkohol im Dienst einst am Tod eines Kollegen eine Mitschuld auf sich lud, daraufhin suspendiert wurde und sich seither dem Exzess hingibt. Sogar seinen Schwager Teddy Banks (Anthony Anderson), Ehemann seiner Stiefschwester Kelly (Octavia Spencer), mit der zusammen der adoptierte Vollwaise Mike Kendall einst aufwuchs, belügt er ohne mit der Wimper zu zucken. Als er eines Morgens die brutal zusammengeschlagene und lebensgefährlich verletzte Kristy Nevile (Stefania Barr) am Straßenrand findet und in die Notaufnahme bringt, beschließt Kendall auf eigene Faust Ermittlungen aufzunehmen und absolviert sogar das Examen für eine Lizenz als Privatdetektiv, nachdem er sich unter falschem Namen per Visitenkarte bereits als solcher ausgegeben hatte… Nein, so richtig frisch und einzigartig ist der von den Brüdern Eshom und Ian Elms geschriebene und inszenierte Film nicht. Er erinnert an so manches seit den 80er Jahren mit bärbeißigem Zynismus im (US-amerikanischen) Neo-Noir-Kino verortete, unabhängig produzierte Werk. Von Ethan und Joel Coens Blood Simple – Eine mörderische Nacht (USA 1984) über Abel Ferraras Bad Lieutenant (USA 1992) und Jason Freelands Browns Requiem (USA 1998) bis hin zu Ivan Sens Goldstone (AUS 2016) reichen die Assoziationen. Dennoch vermag der großartige John Hawkes seiner Figur einen asozial-romantischen und von gesellschaftlichen Banden abgelösten Charakter zu verleihen. Hawkes, der schon in Dennis Haucks Too Late (USA 2016) einen ‘down-on-his-luck‘ Private Eye gespielt hatte, ist für Mike Kendall die perfekte Besetzung. Dank seiner engagierten Leistung in der Hauptrolle wird der Film für Connaisseure des Neo Noirs zunehmend zu einem Genuss.
"Franchise" has become a bit of a dirty word in cinema (…) But Small Town Crime is so engrossing in its optimistic darkness that it screams for the further pulpy adventures of Mike Kendall”, scheibt Richard Whittaker in seiner Besprechung des Films für The Austin Chronicle. Allzu viele positive Kritiken konnte Small Town Crime unterm Strich nicht verbuchen, was mich in Anbetracht der (in den USA vergebenen) Kritikerlorbeeren für Filme à la Benny und Josh Safdies Good Time (USA 2017) oder Paul Feigs Nur ein kleiner Gefallen (CAN/USA 2018) enorm wundert. Doch Whittakers Hinweis darauf, dass John Hawkes‘ Ausgestaltung der Figur Mike Kendall eine wunderbare Blaupause für eine Serie um diesen Private Investigator hätte sein können, wird international von all denen so bewertet, die den Film mochten. Für ein leider klischeehaftes Finale hätte es meinerseits beinahe einen Stern Abzug gegeben. Genau dessen Inszenierung war mir dann jene eine 08/15-Wendung zu viel. Hier dreht sich der Ton ins Hysterische, und das wäre überhaupt nicht vonnöten gewesen.
Einzig in den USA und in Kanada gibt es von Small Town Crime via Lionsgate jeweils eine BD- und eine DVD-Edition (2018, Regionalcode 1), ungekürzt und im Originalformat mit der original englischen Tonspur, optional spanische Untertitel, dazu diverse Audiokommentare, die Featurettes “Devising a Small-Town Crime“ und "Crime and Character“, sowie entfallene und geschnittene Szenen als Extras. Empfehlenswert!