Thunderbolt

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Bewertung
****
Originaltitel
Thunderbolt
Kategorie
Pre Noir
Land
USA
Erscheinungsjahr
1929
Darsteller

George Bancroft, Fay Wray, Richard Arlen, Eugenie Besserer, Tully Marshall

Regie
Josef von Sternberg
Farbe
s/w
Laufzeit
85 min
Bildformat
Vollbild

 


 

© Paramount Pictures

Central Park, New York, um kurz vor elf Uhr abends: Eine schwarze Katze stromert um die Bänke mit ihren Liebespaaren, die sich zu später Stunde vor Ort treffen, weil sie für ihre Liaison keinen anderen Platz haben… Unter ihnen sind Bob Moran (Richard Arlen) und Ritzie (Fay Wray), die beim Glockenschlag zur vollen Stunde von einer nahegelegenen Kirchturmuhr hochschrecken und sich nur schwer voneinander trennen können. Bob ist auf dem Weg zum Parkausgang, als sie aus dem Dunkel seinen Namen ruft und ihm nachläuft. Ihre Handschuhe befänden sich in seinem Jackett, ein Geschenk ihres Liebhabers Jim “Thunderbolt“ Lang (George Bancroft), dem von der Polizei unter Leitung ihres Police Inspectors (William L. Thorne) meistgesuchten Verbrechers der Stadt. Bob hilft Ritzie die Handschuhe anzuziehen, und nach einer erneuten Umarmung verabschieden sie sich endlich voneinander. Ritzie verlässt den Park, und der Fahrer eines Taxis öffnet ihr die rückwärtige Tür. Sie will bereits einsteigen, als sie stutzig wird und im nächsten Moment von kräftigen Arme ins Innere gezogen wird. Im Polizeipräsidium erwartet man die junge Frau bereits mit Spannung. Ein Beamter hält ihr zu einem fürs Verhör vorbereiteten Raum sogar die Tür auf, hinter der sich bereits zahlreiche weitere Beamte einfanden. Doch Ritzie lässt sich von dem Aufwand, der um ihretwegen berieben wird, nicht im geringsten beeindrucken. Sie erteilt dem Inspektor, der sie sofort nach dem Verbleib Thunderbolts fragt, stante pede eine Abfuhr…

 

“Listen Doc, you just gotta see that this man lives. Do something. I've got to execute him tonight.” Bis heute gilt Josef von Sternbergs Thunderbolt, der am 10. Juni 1029 in den USA seine Kinopremiere feierte, unter Cineasten als legendär, zählt er doch zu den ersten Tonfilmen, die sowohl Musik als auch Sprache in einer Tonspur vereinten und die über Jahrzehnte hinweg erhalten blieben. Zwischen 1926 und 1929 hatten zwar einige Werke aus Hollywood eine synchronisierte Musikbegleitung und manchmal zumindest teils gesprochene Dialoge, in der Regel aber nicht vollständig. Der Gangsterfilm Thunderbolt ist ein richtiger Tonfilm. Allerdings ist offensichtlich, dass Geräusche und Dialoge im Nachhinein hinzugefügt wurden, was das Ganze für heutige Zuschauer zu einem etwas ungewohnten Erleben macht. Zudem sind die Darsteller in ihrer Mimik und Gestik noch vom expressiv-theatralischen Stil des Stummfilms geprägt, welcher aufgrund des Fehlens sprachlichen Ausdrucks eine andere Körpersprache verlangte. Dennoch gelingt vor allem George Bancroft, der zum wiederholten Mal für Josef von Sternberg in einer Hauptrolle vor der Kamera stand, zu einem eher natürlichen, zurückgenommenen Schauspiel zu finden, was sowohl seiner Figur als auch dem Film gut bekommt. Wie auch von Sternbergs meisterhafte Stummfilme Unterwelt (USA 1927) und Die Docks von New-York (USA 1929) stehen mehrere ambivalente Figuren im Mittelpunkt des Geschehens. Jim “Thunderbolt“ Lang ist ein Gangster auf der Flucht, ein ebenso ruchloser wie wagemutiger und loyaler Kerl, der zu Ritzie in Liebe entbrannt ist. Letztere ist eine junge Frau, die ihren Schritt vom Weg ab bereut und ihn nicht rückgängig machen kann, denn das würde ein Thunderbolt nicht hinnehmen. Folglich muss sie ihre Liebe zu Jugendfreund Bob Moran vor ihm verheimlichen. Treue und Verrat, Ehre unter Ganoven und Feindschaft zwischen den Kontrahenten, Biederkeit und Blödheit seitens der Gesetzeshüter: solches Werk aus Hollywoods Pre-Code-Ära spielt mit Sympathie und Ambivalenz und nimmt dadurch und dank Henry W. Gerrards Kameraarbeit Elemente des Film Noirs vorweg.

 

© Paramount Pictures

"Josef von Sternberg's Thunderbolt is often described as a Pre-Code proto-noir - similar to the director's 1927 Underworld also with George Bancroft. He was nominated for the Academy Award for Best Actor in 1929”, schreibt Gary Tooze für DVD Beaver, und ich finde mich darin wieder, weil ich solche Beschreibung als zutreffend ansehe. Eines teilt von Sternbergs erster Tonfilm, der seinerzeit mit Rücksicht auf nicht mit Tontechnik ausgestatte Kinosäle auch in einer Stummfilmfassung zu sehen war, mit seinem eigenen Unterwelt (USA 1927). In beiden Werken verliert ein Krimineller die Freundin an einen Nebenbuhler. In beiden Werken muss er sich zuletzt zwischen Rachedurst oder einer heroischen Tat zugunsten der Liebenden entscheiden. Thunderbolt brilliert mit einer Szene im Black Cat Club, darin Tänzerin und Sängerin Theresa Harris (Goldenes Gift, USA 1947) den Jazz-Klassiker Daddy, Won’t You Please Come Home zum Besten gibt. Besonders daran ist, dass neben ihr auch alle anderen Angestellten des Clubs Afro-Amerikaner sind - für die Zeit der Entstehung des Films ein Novum, und Theresa Harris trat auch in Josef Sternbergs Marokko (USA 1931) wieder auf. Aber trotz der für seine Zeit mutigen und teils außergewöhnlichen Elemente in Handlung und Stil ist Thunderbolt in letzter Konsequenz nicht das Meisterwerk, das es hätte werden können. Zugleich bleibt das ein Film, der wegweisend war und mit der Doppelbödigkeit seiner Rollencharaktere dem Gangsterfilm der zweiten Hälfte der 30er Jahre eindeutig überlegen ist. 

 

In den USA gibt es den Film via Kino Lorber in der Reihe KL Studio Classics in einer rundum restaurierten Fassung als Blu-ray disc und als DVD (2021), ungekürzt im Originalformat und in Anbetracht des Alters bild- und tontechnisch sehr gut, das Ganze mit englischen Untertiteln und mit Audiokommentar des Filmkritikers Nick Pinkerton. Eine britische BD (2023) der Powerhouse Films in der Reihe Indicator beinhaltet die gleiche hochwertig restaurierte Fassung, punktet aber mit mehr Extras, u.a. mit einem Audio-Interview mit Fay Wray aus dem Jahr 1990, einer Erörterung (2023) des Werks durch Autor Tony Rayns, einem Videoessay des Filmhistorikers Tag Gallagher (2023) und einer Bildergalerie mit Werbematerial, dazu ein Booklet mit Essay von Pamela Hutchinson, früheren und aktuellen Kritiken sowie ausführlichen Produktionsnotizen.

 


 

Pre Noir | 1929 | USA | Josef von Sternberg | Ernie Adams | George Bancroft | George Irving | Theresa Harris

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