Peter Lorre, John McGuire, Margaret Tallichet, Charles Waldron, Elisha Cook jr.
© Warner Bros.
New York: In einem Mittagslokal hat Jane (Margaret Tallichet) an der Theke Platz genommen und muss den freien Barhocker zu ihrer Linken gleich zweifach gegen andere Gäste (Betty Farrington, Donald Kerr) verteidigen. Endlich kommt ihr Verlobter Michael Ward (John McGuire) und setzt sich in sichtbar guter Laune neben sie. Er fragt, wie sie sich ihre zukünftige Küche vorstelle - mit einem Kühlschrank und einem Tisch, an dem sie beide Platz fänden. Erst dann erläutert er ihr, dass er eine Gehaltserhöhung erhalten habe, nun da sein Leitartikel in The New York Star zu dem von ihm als Zeugen gemeldeten Mord am Café-Besitzer Nick Narbajan (Charles Judels) durch den Gelegenheitsarbeiter Joe Briggs (Elisha Cook jr.) vom Großteil der Stadtbevölkerung verschlungen würde. Da Jane noch keine Zeitung las, reicht er ihr sein eigenes Exemplar, und sie ist überrascht, wie jung und unschuldig Briggs auf dem Foto aussieht. Sie vermag sich über Michaels Zeugenschaft und seinen Erfolg mit dem Artikel nicht derart zu freuen, wie der Journalist es sich erhofft hatte. Noch ist Joe Briggs‘ Schuld an dem Verbrechen, bei dem Nick, den Michael seit langem als Betreiber des Cafés kannte, mit aufgeschlitztem Hals über der geöffneten Registrierkasse sein Leben aushauchte, nicht bewiesen… Am nächsten Morgen gratulieren die Kollegen im Presseraum des Gerichtsgebäudes, wo der Prozess gegen Joe Briggs in die nächste Runde geht, Michael zu seinem Durchbruch. Als er selbst als Zeuge vernommen wird, kommt plötzlich Jane in den Saal…
“It’ll be a big day in my life, when I move out here.” Aus mehreren Gründen wird die einst schnell vergessene B-Produktion im Vertrieb von RKO Radio Pictures seit Jahrzehnten als erster, noch vor John Hustons Die Spur des Falken / Der Malteser Falke (USA 1941) und vor H. Bruce Humberstones I Wake Up Screaming / Hot Spot (USA 1941) erschienener Film Noir bewertet. Tatsächlich spricht einiges dafür, fokussiert sich das Werk doch in erster Linie nicht auf die Suche nach einem Täter, den der Zuschauer bereits kennt, sondern auf den zu Unrecht Verdächtigten, welchen das Drehbuch durch die Vorhölle einer scheinbar ausweglosen Situation schickt. Genau das hat Stranger On The Third Floor auch mit I Wake Up Screaming / Hot Spot gemeinsam, darin ebenso wie in Boris Ingsters Produktion Elisha Cook jr. in einer Schlüsselrolle zu sehen ist und dessen Titel auf einen Alptraum verweist, der auch hier zum Besten der Inszenierung gerechnet werden darf. Zudem ist die zentrale Thematik, ein unbescholtener Bürger gerät unversehens in die Mühlen der Justiz und hat kaum Aussicht darauf seine Unschuld zu beweisen, in vielen folgenden Film Noirs wieder und wieder variiert worden. Robert Siodmaks Zeuge gesucht (USA 1944), Wilhelm Thieles The Madonna’s Secret (USA 1946), Jack Bernhards The Hunted (USA 1948), Paul Sloanes The Sun Sets At Dawn (USA 1950), Alfred Hitchcocks Der falsche Mann (USA 1956) oder Gilles Grangiers Tatort Paris (FRA 1959) lassen allesamt einen Mann oder eine Frau unter Mordverdacht geraten. Die Indizien des Falls scheinen jeweils erdrückend und eindeutig, so dass auch ohne eine Zeugenschaft der Tat selbst eine andere Lösung ausgeschlossen scheint. Zugleich ist Boris Ingsters Werk nicht der erste Film, der solches Motiv zugrundelegt. Doch nimmt er mit einem Erzähler aus dem Off, mehreren Rückblenden und mit dem Mut zu einer von Fritz Lang und dem Expressionismus beeinflussten Bildsprache viele der für den Film Noir in den USA der 40er Jahre siginfikanten Stilmittel vorweg. Besonders Nicholas Musuracas Kameraarbeit hebt ihn über die Grenzen seines schmalen Budgets und das oft vorhersehbare Drehbuch empor.
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“It offers a cynical look at the entire legal system and how most people are indifferent to injustice, but comes down particularly hard on those who are part of the system”, schreibt Dennis Schwartz für Ozus’ World Movie Reviews und bringt einen Aspekt des Films zur Sprache, der einen besonders bitteren Nachgeschmack hinterlässt. In den USA, Wiege der Demokratie und damit fundamentaler ethisch-moralischer Werte, die ihrer Rechtsprechung überhaupt zugrunde liegen, interessieren sich die Staatsbeamten kaum für die Wahrheit, sondern einzig und allein dafür, der gut geölten Maschinerie des Strafvollzugs Genüge zu tun und Verurteilte im Sinne der Staatsräson hinter Gitter oder unter die Erde zu bringen. Nicht zuletzt hilft solche Art des Erfolgs ja ihren eigenen Karrieren… Von Musuracas großartiger Bildsprache geprägt, zudem durchweg kompetent gespielt und vom stets zuverlässigen Peter Lorre (M – eine Stadt sucht einen Mörder, GER 1931) aufgewertet, verdient Stranger On The Third Floor die Aufmerksamkeit aller Freunde des Film Noirs, ist das Ende im Anschluss an ein absehbares Finale auch bieder und lahm.
In der US-amerikanischen Warner Archive Collection erschien eine DVD-R (2010) mit dem Film im Originalformat und ungekürzt, bild- und tontechnisch einwandfrei, dazu die original englische Tonspur ohne Untertitel, das Ganze auch ohne Extras. Als Lo sconosciuto del 3' piano gibt es eine italienische DVD-Ausgabe (2010) von Sinister Film, ungekürzt und im Originalformat mit englischem Originalton und italienischer Synchronisation, mit optional italienischen Untertiteln und ebenfalls ohne Extras. Weitere DVD-Ausgaben (jeweils 2011) von identischer Qualität erschienen als Stranger On The Third Floor in England bei Odeon Entertainment in deren Reihe The Hollywood Studio Collection und als El desconocido del tercer piso in Spanien bei Vertice Cine S.L.U. mit zusätzlich der spanischen Tonspur und optional spanischen Untertiteln.