Kurt Russell, Ving Rhames, Scott Speedman, Michael Michelle, Brendan Gleeson
© United Artists Corporation
Los Angeles, Kalifornien, am 3. März 1991, kurz nach Mitternacht: Mit überhöhter Geschwindigkeit flieht der afroamerikanische Kleinkriminelle Rodney King mit seinen Freunden Bryant Allen und Freddie Helms auf einem Freeway vor mehreren Polizeistreifen des LAPD und kann schließlich gestoppt werden. Er wird von vier Polizeibeamten brutal zusammengeschlagen, die nicht ahnen, dass sie von einem Anwohner gefilmt werden… Über ein Jahr später, 29. April 1992, früh am Morgen: Detective Sergeant Eldon Perry (Kurt Russell) sieht in einem heruntergekommenen Motelzimmer die TV-Nachrichten, die soeben das Urteil gegen jene vier weißen Polizisten anküdigen, die im Ventura County, wohin der Prozess auf Antrag der Verteidigung verlegt wurde, für Gewalthandlungen gegen Rodney King vor Gericht stehen. Perry ist nervös, tigert in Boxer-Shorts durchs enge Zimmer. Er blickt aus dem Fenster, schenkt sich Whiskey in einen Pappbecher, bevor er schließlich ein Arsenal von Schusswaffen aufs ungemachte Bett wirft und eine Pump Gun durchlädt… Fünf Tage zuvor: Die Gangster Gary Sidwell (Dash Mihok) und Darryl Orchard (Kurupt) fahren bei einem Lebensmittelgeschäft namens Jack O’Hearts vor, dessen Besitzer der chinesische US-Amerikaner Henry Kim (Dana Lee) ist. Sie streiten im Wagen kurz über den Prozessausgang im Fall Rodney Kings. Dann streifen sie ihre Masken über und stürmen in den Laden. Gary Sidwell erschießt die Frau hinter dem Verkaufstresen mit einer schallgedämpften Pistole, Darryl Orchard folgt ihm…
“They don't get more grim than "Dark Blue," a police thriller about (…) a soulless world in which human life is just animated meat”, schreibt Mick LaSalle für den San Francisco Chronicle, und diese Zusammenfassung trifft es für mich wie keine zweite. Zwei Aspekte sind für das Verstehen des Films von Relevanz. Zum ersten basiert der Film auf einer Vorlage James Ellroys, welche The Plague Season betitelt war und sich ursprünglich mit den Rassenunruhen des Jahres 1965 befasste, die im Stadtteil Watts im südlichen Los Angeles ausbrachen. Ellroys Drehbuch wurde von David Ayer (Training Day, USA 2001) umgeschrieben, so dass es nun im Jahr 1992 spielt, indessen James Ellroy den fertigen Film ebenso wie Oren Movermans großartigen Neo Noir Rampart – Cop außer Kontrolle (USA 2011) öffentlich hasst, da dieser von Eitelkeit gekennzeichnete Mann – bei allem Respekt für sein literarisches Œuvre – offenbar niemanden neben sich ertragen kann. Zum zweiten zeigt sich Kurt Russell überraschend versiert und kompetent, was zumindest ich ihm kaum zugetraut hätte, der ich kein Fan dieses Schauspielers bin. Als Detective Sergeant Eldon Perry serviert Russell eine vielseitige, von dem über Generationen weitergereichten Rassismus bis hin zu tiefen Zweifeln und Gewissensbissen geprägte, überaus glaubwürdige Figur. Eldon Perrys Skrupellosigkeit im Beruf, sein Verhältnis zum Juniorpartner Bobby Keough (Scott Speedman), den er hart zu schleifen beabsichtigt, die gebrochene Liebe zur Ehefrau Sally (Lolita Davidovich) und zu guter Letzt die bedingungslose Loyalität zum Chief of Police Jack Van Meter (Brendan Gleeson), einst Kollege von Perrys eigenem Vater – all das gärt in ihm und wandelt sich zu Gift und Galle. Sein Vorgesetzter Jack Van Meter ist ein Mobster in Uniform, der seine Handlanger in seinem Auftrag morden lässt und auf die Weise auch die Beseitigung von Mitwissern anordnet. Dessen Gegenspieler ist sein afroamerikanischer Stellvertreter Arthur Holland (Ving Rhames), der sehr wohl weiß, dass Van Meter korrupt und skrupellos ist und der ihm in der Dämmerung der Rodney-King-Unruhen im Los Angeles des Jahres 1992 den Krieg erklärt.
“Your job is not to think. It is to follow orders, to execute plans and to be a good soldier.” Als Perry in seinem Innersten begreift, wie Van Meter wirklich zu ihm und seinesgleichen steht, ist es zu spät – zu spät für ihn selbst, zu spät für Keough und zu spät für seine Ehe und seine Familienehre. Det. Sergeant Eldon Perry fügt sich in eine Tradition von Film-Noir-Charakteren im Polizeidienst: Detective Paul Sheridan (Fred MacMurray) in Schachmatt (USA 1954), Lieutenant Barney Nolan (Edmond O’Brien) in Freibrief für Mord (USA 1954) oder Captain Hank Quinlan (Orson Welles) in Im Zeichen des Bösen (USA 1958) sind ihm vorausgegangen, und seit den 70er Jahren ist der korrupte oder gar mörderische Cop eine fast klischeehafte Figur des US-amerikanischen Neo Noirs. In letzter Konsequenz ist Ron Sheltons Dark Blue kein extrem origineller oder gar großartiger Film, der jedoch mit einem knackigen Drehbuch und einer stringenten Dramaturgie aufwartet und trotz Schwächen im Finale Liebhaber des zeitgenössischen Neo Noirs nicht enttäuschen wird. Jenes Finale ist einerseits konsequent, andererseits von überflüssigem Pathos gezeichnet, was für mich den Film ein wenig abwertete.
In Deutschland gibt es eine jeweils sehr gute BD- (2015) und DVD-Ausgabe (2004) der Tobis Film GmbH mit dem Werk ungekürzt im Originalformat, bild- und tontechnisch einwandfrei, dazu den original englischen Ton und eine deutsche Synchronisation, das Ganze sogar mit optional deutschen oder englischen Untertiteln, dazu den deutschen und internationalen Kinotrailer, diverse Interviews und ein Making Of als Extras.