Jackie Chan, Naoto Takenata, Daniel Wu, Jinglei Xu, Masaya Katô
Die Bucht von Wakasa an der japanischen Westküste: Ein auf der Strandpromenade mit dem Fahrrad auf Streife befindlicher Polizeibeamter traut seinen Augen nicht. Auf einer Sandbank sieht er die Überreste eines rostigen, gestrandeten Frachtschiffs und am Ufer eine Hundertschaft von Überlebenden, die sich langsam aufrichten. Als ihnen der Beamte entgegentritt, wird er von zwei der illegalen chinesischen Emigranten überwältigt, ein Schuss löst sich aus seiner Dienstwaffe, aber schon stürzen sie alle über ihn hinweg und rennen landeinwärts. Unter ihnen ist auch Tietou (Jackie Chang), der im Garten eines Hauses eine Jacke und Schuhe stielt und mit dem Zug weiter nach Tokio fährt… Erschöpft und hungrig ist er auf dem Weg zum Treffpunkt im Stadtviertel Shinjuku, als er im dortigen Rotlichtviertel des Nachts in eine Razzia der Polizei gerät und sich in dem provisorischen Unterschlupf eines Obdachlosen versteckt. Dort schläft er ein und träumt von seiner Heimat im Nordosten Chinas, wo er einst im tiefen Winter mit seinem Traktor über einen Fluss setzte, nachdem er den kleinen Bruder seiner Verlobten Xiu Xiu (Jinglei Xu) als “Schwager!“ angeredet und gefragt hatte, ob die Eisdecke ihn trüge. Aber das erwies sich als ein Trugschluss; der Kleine und seine Freunde hatten ihn veräppelt, und der Traktor versank zur Hälfte im Eis. Als er später mit dem Kleinen in einer Scheune eintraf, fand er dort Dorfbewohner, unter ihnen auch Xiu Xiu, in einer Debatte darüber, wie sie es anstellen könnten, nach Japan auszuwandern…
Episches Gangsterkino in der Tradition der Werke von Martin Scorsese und Francis Ford Coppola, nur eben in Tokio angesiedelt, wo der territoriale Grabenkrieg zwischen chinesischen Einwanderern und der japanischen Yakuza gleichermaßen Stoff für Geschichten bietet, das möchte Stadt der Gewalt gern sein. Neben einer Riege hervorragender Darsteller aus China, Hongkong, Japan und Taiwan werden in einer ausgedehnten Exposition, die fast 40 Minuten in Anspruch nimmt, dem Zuschauer sowohl die Rollencharaktere vorgestellt, als auch philosophische und psychologisch motivierte Fragestellungen eingestreut. Was macht Menschen so maßlos? Ab welchem Punkt in der eigenen Entwicklung will man immer mehr und noch mehr? Die einstigen Liebenden Tietou und Xiu Xiu, die beide in China und dort in einer kargen, ländlichen Region heranwuchsen, müssen sich in Tokio zu guter Letzt der Frage stellen, was aus ihnen wurde und welchen Preis sie dafür haben bezahlen müssen. Trotz all ihrer Versuche, im jeweiligen Lebensumfeld Normalität zu simulieren oder gar Legalität zu etablieren, müssen sie sich eingestehen, dass ihr Dasein in einer Sphäre des Verbrechens und der Gewalt angesiedelt ist und dass sie selbst darin mehr als nur eine Statistenrolle innehaben. All das ist in Stadt der Gewalt pointiert dargestellt und es markiert die Relevanz des Films, der explizit mehr als actionlastige Unterhaltung sein will, zumal “Action“ gerade im ersten Drittel kaum stattfindet. Doch verliert sich der knapp zweistündige Film in der Vielfalt seiner Facetten und Details. Wenn Titou seine Xiu Xiu, inzwischen als Yuko Eguchi die Ehefrau eines Yakuza-Oberen, endlich wiedersieht, hat sie mit Ayako (Ryôka Ihara) bereits eine drei- oder vierjährige Tochter. Auch andere Zeitspannen werden im Film durch sprunghafte Schnitte überspielt, und die eingangs so geruhsame Exposition wird ad absurdum geführt.
“Shinjuku Incident" is an ambitious film which would have been well advised to shift its focus on just one of its themes“, schreibt Manfred Selzer für AsianMovieWeb (AMW) und trifft exakt den Punkt. In der zweiten Hälfte verliert der Film seine Charaktere zunehmend aus dem Blick, und die Transformation von Titou, Traktorfahrer und Liebender, der plötzlich zum Auftragsmörder der Yakuza mutiert und sofort wieder den rechtschaffenen und loyalen Anführer mimt, der die Geschäftsaktivitäten seiner chinesischen Landsleute nunmehr in ein legitimes Kleingewerbe überführen will, ist allzu weit hergeholt. Und Jackie Chan, der bis dato als durchtrainierter Kung-Fu-Kämpfer über die Leinwand tänzelte, versucht sich im Alter von 53 Jahren als ein ernsthafter Schauspieler, was allemal ehrenwert ist und keineswegs missglückt, aber sein Rollencharakter ist allzu komplex und Chans Repertoire an Ausdrucksmitteln nicht facettenreich genug. Die zweite Hälfte ist mir persönlich zu sehr Yakuza-Thriller von der Stange; auch die anrührende Schlusssequenz und der als Kommissar Kitano exzellente Naoto Takenata können das Werk für mich nicht retten. Alles in allem ist das kein schlechter Neo Noir, den ich als Freund des Hongkong-Kinos nicht bedaure gesehen zu haben. Dennoch bleibt Stadt der Gewalt am Ende hinter dem eigenen Anspruch sichtbar zurück.
Es gibt eine jeweils exzellente deutsche BD- und eine 2-DVD-Ausgabe (2010) der New KSM mit dem Film ungekürzt (nur in der FSK-18-Version) und im Originalformat, dazu den chinesischen Originalton mit deutschen Untertiteln, welcher der holprigen und sie Stimmen verfälschenden, deutschen Synchronisation unbedingt vorzuziehen ist. Auf der Bonusdisc der 2-DVD finden sich umfangreiche Extras von nahezu 4 Stunden (!) Laufzeit, nämlich ein Making Of, diverse Interviews, geschnittene Szenen ein Behind The Scenes und eine Bildergalerie.