David Wayne, Howard Da Silva, Luther Adler, Martin Gabel, Steve Brodie
© Columbia Pictures Corporation
Los Angeles, Kalifornien: Die Tageszeitungen berichten über einen Kindermörder, der in den Weiten der Stadt sein Unwesen treibt. Die Polizei tappt nach wie vor im Dunkeln… In Joe’s Shoe Shine Parlor lässt sich Martin W. Harrow (David Wayne) die Shuhe putzen, als er die kleine Elsie Coster (Robin Fletcher) mit einem Ball spielend allein die Straße überqueren sieht. Harrow hebt den Ball auf und gibt ihn ihr, als er sie fragt, ob sie nach Hause gehe, was Elsie bejaht. Er nimmt das Mädchen bei der Hand und begleitet sie. In ihrer Küche bereitet indessen Mrs. Coster (Karen Morley) für sich selbst und ihre Tochter das Mittagessen vor. Während durch das offene Fenster die Rufe eines Zeitungsverkäufers eindringen, der das neuste Extrablatt anpreist, wird sie etwas nervös, zumal Elsie auch spät dran ist… Harrow und Elsie passieren einen blinden Verkäufer von Luftballons (John Miljan), der jedoch keinen mit dem Aufdruck “Elsie“ zu bieten hat, also kauft ihr Harrow einen mit einem Clown darauf. Während sie weiter schlenderm, spielt Harrow auf Elsies Flöte eine Melodie… Um 10 Minuten nach zwölf wartet Mrs. Coster noch immer auf Elsie, als sie im Treppenhaus Schritte hört und erleichtert nach draußen stürmt. Aber es sind nur ein Junge und ein Mädchen, die zwar mit Elsie befreundet sind, doch heute nicht auf sie gewartet und nicht mit ihr gemeinsam nach Hause gegangen sind. Mrs. Coster blickt in das Treppenhaus hinab, doch hier herrscht gähnende Leere. Von einer Vorahnung gepackt, eilt die sie Stufen hinunter ins Freie…
Ausgerechnet ein Meisterwerk der Filmgeschichte Jahrzehnte später erneut als einen Kinofilm zu präsentieren, ist ein so herausforderndes wie zumeist überflüssiges Unterfangen. Allzuviele der sogenannten Remakes oder Neuverfilmungen blieben in jeder Hinsicht weit unterhalb des Originals, manche scheiterten geradezu desaströs, auch in der Sparte des Film Noirs. Jacques Tourneurs Goldenes Gift (USA 1947) erlebte seine Wiederkehr als Gegen jede Chance (USA 1984) - der bestenfalls banale Abklatsch eines komplexen und pointierten Klassikers. Der namhafte Regisseur Neil Jordan versuchte sich an Jean-Pierre Melvilles Drei Uhr nachts (FRA 1956), aber sein Der Dieb von Monte Carlo (FRA/UK/IRL/CAN 2002) kann dem Original nicht das Wasser reichen. So richtig schlimm erging es Joseph Losey 1951 nicht, als er ohne einen zugkräftigen Star, dafür mit kompetenten Akteuren aus der zweiten Reihe inmitten der Metropole Los Angeles Fritz Langs grandiosen Pre Noir M - Eine Stadt sucht einen Mörder (GER 1931) unter dem gleichen Titel erneut auf Zelluloid bannte. Vor allem zu Beginn folgt er akribisch seiner Vorlage; Einstellung für Einstellung wird das deutsche Original an US-amerikanischen Schauplätzen nachgedreht. Letztere haben es in sich, der Regisseur nutzt u.a. das Bradbury Building oder auch die legendäre Angel’s Flight Railway und bezieht wie seinerzeit Fritz Lang die unübersichtliche Topographie der Großstadt in die Hatz nach dem “Baby Killer“ ein. Der Hauptgrund dafür: die Production Code Administration (PCA) hatte Filmproduzent Seymour Nebenzal das Recht eingeräumt, Fritz Langs Klassikers erneut zu verfilmen. Einen eigenständigen Film über einen Kindermörder war man nicht bereit zu genehmigen. Genau deswegen war der ursprünglich vorgesehene Regisseur Douglas Sirk aus dem Projekt der Neuverfilmung ausgestiegen.
© Columbia Pictures Corporation
Aber die von David Wayne, Howard Da Silva und Luther Adler kompetent dargestellten Rollencharaktere funktionieren als Antagonisten im Gegensatz zum Original kaum, der Funke springt nicht über. So ist Inspektor Carney, verkörpert durch den an zweiter Position genannten Schauspieler Howard Da Silva, viel zu passiv, um relevant oder gar interessant zu wirken. Mit Luther Adlers dem Alkohol und dem Verbrechen in die Hände gefallenen Rechtsanwalt Dan Langley, einem Advocatus Diaboli, wie sich zeigen soll, bringt Losey dann doch eine weitere Figur, deren Lebensweg vorbelastet und mehr als problematisch dem Untergang entgegen trudelt. Im Finale überbieten sich er und Martin W. Harrow mit ihren Plädoyers und neutralisieren sich in der Dramatik quasi gegenseitig. Hier spielt Carney weniger denn je eine Rolle, und trotz der sichtbar sorgfältigen Inszenierung lässt den Zuschauer das Geschehen eigentümlich kalt. “M“ war einer von insgesamt drei Film Noirs, die der US-Amerikaner Joseph Losey im letzten Jahr seines Schaffens in Hollywood ins Kino brachte. Die anderen waren Die Nacht der Wahrheit (USA 1951) und der großartige Dem Satan singt man keine Lieder (USA 1951). Neben Joseph Losey wurde auch Howard Da Silva ein Opfer der vom FBI unter J. Edgar Hoover und dem House Committee of Un-American Activities angestrengengten Kommunistenjagd, nachdem er vom “friendly witness“ Robert Taylor (Der unbekannte Geliebte, USA 1946) als potentieller Regimekritiker genannt worden war. Losey wurde zu einem wichtigen Regisseur Englands, dessen Kinoproduktion er über drei Jahrzehnte hinweg mitprägte, Hoiward Da Silva spielte in den 50er Jahren fast nur im Theater und kehrte erst in Frank Perrys David und Lisa (USA 1962) auf die Leinwand zurück.
Eine französische Blu-ray Disc von Sidonis (2016) ist bild- und tontechnisch die weltweit einzige Ausgabe des Films, ungekürzt und im Originalformat, die den Film in einer hochwertig restaurierten Fassung anbietet. Ausführliche Interviews mit Bernard Tavernier, Francois Guerif, Michael Ciment und Harold Nebenzal sind als deren Extras auf Französisch und ohne Untertitel, zudem sind die nicht ausblendbaren französischen Untertitel zum Film in dieser Edition ein weiteres und dabei völlig überflüssiges Manko. Eine französische DVD (2015) von Films sans Frontières beinhaltet den Film in besserer Qualität als auf den schon zuvor erhältlichen Ausgaben, jedoch deutlich schlechter als auf der Sidonis-BD, ansonsten ungekürzt mit dem original englischen Ton plus optional französischen oder englischen Untertiteln, das Ganze ohne Extras.