Stunde der Bewährung

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Eddie Muller


Wenn es Nach wird in Paris


Film Noir Collection Koch Media GmbH


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Bewertung
*****
Originaltitel
Straight Time
Kategorie
Neo Noir
Land
USA
Erscheinungsjahr
1978
Darsteller

Dustin Hoffman, Theresa Russel, Harry Dean Stanton, Gary Busey, M. Emmet Walsh

Regie
Ulu Grosbard
Farbe
Farbe
Laufzeit
109 min
Bildformat
Widescreen

 


 

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© Warner Bros.

Nach sechs Jahren Haftstrafe wegen bewaffneten Raubüberfalls kommt Max Dembo (Dustin Hoffman) wieder auf freien Fuß. Während zwei weitere Entlassene von ihren Angehörigen abgeholt werden, steigt Max auf einen bereitstehenden Pick-Up-Truck und lässt sich davon fahren. Mit dem Überlandbus trifft er am Abend in Los Angeles ein. Eine Weile treibt er ziellos über die belebten Boulevards, isst einen Hot Dog und versucht seinen Bewährungshelfer Earl Frank (M.Emmet Walsh) anzurufen, um mitzuteilen, dass er in L.A. eingetroffen und den morgigen Termin wahrnehmen werde. Doch Frank ist nicht erreichbar und Dembo hinterlässt ihm eine Nachricht, bevor er sich in einem Motel für die Nacht ein Zimmer mietet. Am nächsten Morgen fährt er mit dem Bus zur Behördenstelle, darin Earl Frank ein eigenes Büro hat. Der Beamte äußert sich verstimmt darüber, dass Max Dembo nicht wie vereinbart im Halfway House genächtigt habe. Letzteres gehöre zu seinen Bewährungsauflagen und Earl Frank lässt Max spüren, dass mit ihm nicht gut Kirschenessen sein wird. Dennoch unterbreitet er Dembo das Angebot, bei Nachweis einer Unterkunft und einer Arbeitsstelle bis Ende der Woche auf die Verpflichtung zur Übernachtung in der öffentlichen Einrichtung zu verzichten. Im heruntergekommenen Garland Hotel mietet Max Dembo ein Zimmer für 18 US-Dollar die Woche, obgleich die Managerin (Tina Menard) ihm auf Nachfrage sogar die frische Bettwäsche verweigert. Per Telefon hinterlässt er wieder eine Nachricht für Earl Frank, dann begibt er sich auf den Weg zu einer Arbeitsvermittlung...

 

Was für viele Werke der klassischen Ära des Film Noirs von 1941 bis 1959 gilt, das gilt längst auch für die Neo Noirs der 70er Jahre. Der Zuschauer sieht von Sentimentalität verklärt auf ihre im Zeitgeist verhaftete Oberfläche, erkennt im Ganzen und in Details, wie sehr sich die Welt seither gedreht hat. Umso erstaunlicher ist, in welchem Maß Ulu Grosbards Stunde der Bewährung sich als zeitlos erweist, wenn er so zugespitzt und roh daherkommt, dass uns jegliche Sentimentalität von Anbeginn abhanden geht. Genau darin liegt zuletzt die Stärke dieses Werks, das in vieler Hinsicht aufzutrumpfen weiß. Die Vorlage stammt von Edward Bunker, schon als Jugendlicher ein Krimineller, dessen erster Roman Wilder als ein Tier (EA 1973) in Buchform erschien, als er selbst noch in San Quentin hinter Gittern saß. Dustin Hoffman bekam das Buch von seinem Freund Grosbard geschenkt und beschloss es zu verfilmen. Hoffman trat zu Beginn auch als Produzent und als der Regisseur des Films in Erscheinung, holte aber Ulu Grosbard, um sich ganz auf die Rolle zu konzentrieren. Sein Portrait des notorischen Kriminellen Max Dembo ist schlicht großartig, und das sage ich, obwohl Hoffman keiner meiner favorisierten US-Schauspieler ist. Auch die just 20jährige Theresa Russell wächst in der Rolle von Dembos Freundin Jenny Mercer schier über sich hinaus. Als ebenso machtbesessener wie sadistischer Bewährungshelfer Earl Frank liefert M. Emmet Walsh eine grandiose Darbietung; gleiches gilt für den stets zuverlässigen Harry Dean Stanton und für Kathy Bates. Edward Bunker hat selbst einen Cameo-Auftritt, der Kameramann Owen Roizman (French Connection / Brennpunkt Brooklyn, USA 1971) verewigt das Stadtbild von Los Angeles in jenen Spätsiebzigern wie kein zweiter. Und noch andere Meister ihres Fachs vor und hinter der Kamera ließen Stunde der Bewährung zu einem der großen Neo Noirs seiner Zeit werden.

 

So war es Michael Mann, der während der Vorbereitungen der Produktion mit Romanautor Edward Bunker am Drehbuch arbeitete. Der damals 34jährige hatte vor allem als Autor fürs Fernsehen gearbeitet und kaum Regieerfahrung, doch wer sein Debüt, den Neo Noir Der Einzelgänger (USA 1981), gesehen hat, erkennt in Stunde der Bewährung sowohl Manns Handschrift als auch die Wurzeln späterer Erfolge. Der Belgier Ulu Grosbard (Fesseln der Macht, USA 1981) hat zeitlebens nur 7 Spielfilme realisiert. Er war kein Angestellter der Filmindustrie sondern ein Mann des Theaters, und womöglich liegt hierin ein Grund für die Frische dieser Produktion. Der ex-Häftling, der in der Gesellschaft einen Neuanfang versucht und von Anbeginn zum Scheitern verurteilt ist, war auch im klassischen Film Noir ein verbreiteter Rollencharakter. Henry Fonda verkörperte ihn in Gehetzt / Du lebst nur einmal (USA 1936), Steve Cochran in Verfolgt (USA 1951) und Sterling Hayden in Die Rechnung ging nicht auf / Killing (USA 1956). Die Liste ließe sich problemlos fortsetzen und dennoch ist Stunde der Bewährung ein Film, der dem Altbewährten neue Facetten abringt und mit seinem Portrait Max Dembos formal und inhaltlich aus den Mustern der Filmproduktion in Hollywood ausschert. Ulu Grosbards Film war kein Publikumserfolg - nicht in Zeiten von Lucas’ Krieg der Sterne (USA 1977) und Spielbergs Unheimliche Begegnung der dritten Art (USA 1977), Wendemarken im US-Filmschaffen und jeweils Sargnägel für die unterm Einfluss der Nouvelle Vague gelungene Emanzipation namens “New Hollywood“. Als Neo Noir der 70er Jahre gehört Stunde der Bewährung für mich zum Besten, was jene Jahre an stets relevantem Kino zu bieten haben.

 

Sehr gute DVD-Edition (2007) von Warner Home Video mit dem Film ungekürzt im Originalformat, den englischen Originalton und optional auch eine deutsche oder spanische Synchronisation, optional Untertitel auf Deutsch, Englisch, Spanisch, Portugiesisch, Finnisch, Dänisch, Norwegisch, Schwedisch und Polnisch, eine Dokumentation über den Autoren der Romanvorlage und Mit-Autoren des Drehbuchs Edward Bunker sowie Audiokommentare von Dustin Hoffman und Ulu Grosbard als Extras. Die deutsche DVD ist vergriffen und teuer; als Straight Time oder unter anderssprachigen Titeln ist der Film in mehreren internationalen DVD-Ausgaben erhältlich, die immer auch die englische Tonspur und meist auch englische Untertitel beinhalten.

 


Neo Noir | 1978 | USA | Ulu Grosbard | Harry Dean Stanton | M. Emmet Walsh | Theresa Russell

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