Friedrich Mücke, Gudrun Landgrebe, Antje Traue, Jonah Rausch, Arved Birnbaum
© Studiocanal GmbH
Im Nebel eines kühlen Herbststages erwacht mitten in einem Weinberg im Ahrtal ein junger Mann (Friedrich Mücke) mit einer Platzwunde an der Stirn. Als er die Augen öffnet, sieht er über sich die am Kopf blutende Leiche einer festlich gekleideten, jungen Frau (Sinha Melina Gierke) in den Reben hängen. Der Mann rappelt sich auf und läuft den steilen Hang hinab, als er auf einen etwa 14jährigen Jungen (Jonah Rausch) stößt, den er anspricht. Jener starrt ihn bloß erschrocken an und rennt seinerseits davon... In dem an der Ahr gelegenen Ort Kaltenzell liegt der Gasthof des amtierenden Bürgermeisters Zepter (Arved Birnbaum) und seiner Ehefrau Hanna (Antje Traue). Nur widerwillig bedient die Kellnerin Lisa (Emilia von Heiseler) den Punk Kirk (Max Mauff), indessen der verschuldete Winzer Gerd Finck (Ronald Kukulies) und die reiche Regina Donatius (Victoria Trauttmansdorf) über einem Glas Wein wegen des Verkaufs eines Finckschen Weinbergs verhandeln. Doch der Eintritt des blutenden Fremden sprengt die Runde der Gäste. Jener antwortet auf die Frage Zepters, wer und was er denn sei, er hieße Johannes Fuchs und sei in der Gegend wandern. Mehr wisse er nicht, offenbar habe er das Gedächtnis verloren. Oben im Weinberg aber läge eine tote Frau… Zuerst glauben ihm die Leute nicht, doch schließlich folgen Zepter, Finck und auch Regina Donatius Johannes Fuchs den Berg hinauf. Die Leiche ist spurlos verschwunden und auf weitere Fragen Zepters hat Johannes Fuchs keine Antwort mehr parat...
Licht und Schatten! Nach Vorbildern der US-amerikanischen TV-Serienproduktion der letzten 25 Jahre und mit einer durch den skandinavischen “Nordic Noir“ seit der Jahrtausendwende entwickelten Bildästhetik gestaltete die deutsche Produktionsgesellschaft TNT ihre Serie Weinberg im Grenzbereich zwischen Neo Noir und Mystery. Wer hier an Twin Peaks (USA 1990-91) denkt, liegt richtig, denn die von David Lynch entwickelte Handschrift in Sachen Ensemble, Dramaturgie und auch Handlungsverlauf findet sich im Minutentakt gespiegelt. Nun ist David Lynch selbst (so wie Martin Scorsese) ein ausgesprochen eklektizistischer Filmschaffender, der sich in langen Studien durch die Filmhistorie fraß und seinerseits eine Fülle von Zitaten und Referenzen zeigt. Wie im klassischen Film Noir befindet sich Johannes Fuchs als “Detektiv“ auf der Suche nach sich selbst und nach der eigenen Vergangenheit; der serbische Film Noir (SRB/USA 2006) beginnt fast genau wie Weinberg. Doch all das kommt der Serie mehr zugute, als dass es ihr schadet. Trotz ihres Wiedererkennungswerts arten die Einflüsse nie zum Plagiat aus. Bildkompositionen und Schauplätze, viele Rollencharaktere und ihre Schauspieler, zudem so einige der im Drehbuch angelegten Ideen und Verwicklungen zeigen in der Summe eine deutlich andere Klasse als die durch jahrzehntlangen Stillstand rund geschliffene Massenproduktion der einschlägigen öffentlich-rechtlichen und auch der privaten deutschen Fernsehanstalten. Womöglich saßen die beteiligten kreativen Köpfe einst beim Genuss von Kommissarin Lund (DNK/NOR/SWE/GER 2007-2012) oder der ersten Staffel von True Detective (USA 2014) zusammen und fragten sich: „Warum geht so etwas nicht auch hierzulande?“ Ihr Versuch, mit Weinberg ein hochwertiges Pendant zu bieten, ist mit großem Aufwand und mit Liebe zum Detail umgesetzt und leidet doch an einer Reihe von Kinderkrankheiten, die den Gesamteindruck trüben. Das ist bedauerlich, da im Einzelnen vieles herausragend ist, die Qualität im Ganzen jedoch schwankt.
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Der Geschmacksverstärker Musik soll im Dienst einer rätselhaft mysteriösen Grundstimmung ständig einen Eindruck unspezifischer Bedrohung schaffen. Und ständig meint… ständig. Dunkel dräuende Streicher oder basstiefe Elektronik alarmieren die Sinne des Zuschauers, der sich auf Dauer nicht anders zu behelfen weiß als abzustumpfen. Zu den repetitiv überstrapazierten Stilelementen zählt zudem die bedeutungsschwangere Mimik nahezu aller Mitwirkender und zwar auch in belanglosen Alltagssituationen, was nicht nur ermüdend sondern unglaubwürdig wirkt. Vor allem die Polizeibeamten Hauptkommissar Beckmann (Oliver Marlo) und sein Kollege Brehme (Martin Kiefer) sorgen als stereotype Fernsehbullen dafür, dass ihr Treiben oft sinnlos und in (fast) jeder Situation unangemessen scheint. Die Polizisten haben ihren Mordfall nicht im Griff und tun alles, damit es so bleibt. In einer Mystery-Serie, dachten sich Autoren und Regisseure anscheinend, müssen alle “mysteriös“ sein oder so scheinen, aber das nimmt der Serie viel von ihrem Reiz. Hier können auch besser ausgestaltete Nebenfiguren wie die Psychotherapeutin Dr. Wieland (Gudrun Landgrebe) oder der von Jonah Rausch exzellent gespielte Adrian Donatius das Ruder nicht mehr herumreißen. Oliver Armknecht stellt in seiner Besprechung für film-rezensionen.de fest, dass „die Figuren alle so tun, als würde hinter jedem Halbsatz ein großes Rätsel warten.“ Dieser Manierismus der Serie führt im Finale und am Ende zu Enttäuschung und Ernüchterung. So erlebt der Zuschauer Weinberg als Berg- und Talfahrt. Auf jede stimmige Sequenz folgt bald ein Tiefpunkt. Trotzdem sollten deutsche Produzenten hier mal hingucken und sich vergewissern: Ja, es ginge etwas. Auch in Deutschland ließe sich im Fernsehformat manches anders und vor allem deutlich besser machen.
Bild- und tontechnisch erstklassige 2BD- und 2DVD-Editionen (2016) der Studiocanal GmbH mit der TV-Serie ungekürzt im Originalformat inklusive der deutschen Tonspur ohne Untertitel (warum eigentlich ohne?) und mit dem Fernsehtrailer und einem Making Of des allemal gelungenen Vorspanns (!) als den mageren Extras.