Clive Brook, Evelyn Brent, George Bancroft, Fred Kohler, Helen Lynch
“A great city in the dead of night… streets lonely, moon-flooded… buildings empty as the cliff-dwellings of a forgotten age“, lautet die Einleitung zu Paramount Pictures’ Stummfilm Unterwelt. Der lief seinerzeit auch in den Lichtspieltheatern der Weimarer Republik und darf mit Fug und Recht als einer der wegweisendsten Krimnalfilme seiner Zeit gesehen werden. Seit 1908 lebte Josef von Sternbergs aus Österreich stammende Familie in New York. Der Sohn begann seine Karriere als Regisseur in Hollywood im Jahr 1925 und legte mit Unterwelt sein drittes Werk vor, für das er voll verantwortlich war, und es bescherte ihm den Durchbruch. Zuvor war der schnell als despotisch berüchtigte Regisseur aus mehreren Projekten rausgeflogen. Das vielschichtige Drama Unterwelt zeigte im Verbund mit einer Riege exzellenter Darsteller und der Kameraarbeit Bert Glennons, was wirklich in ihm steckte. Bemerkenswert im Unterschied zu schon bald folgenden Werken wie z.B. Lewis Milestones The Racket (USA 1928) ist die Tatsache, dass die Erzählung aus der Feder Ben Hechts der Polizei und sonstigen Institutionen des Rechts nur eine untergeordnete Rolle einräumt. Unterwelt spielt gemäß seinem Titel in der Gegenwelt der bürgerlichen Sphäre, in den faszinierenden Lebensräumen der Gangster und ihrer Frauen und Handlanger. Der Zuschauer sieht, wie es nach archaischen Prinzipien zugeht, so dass der jeweils Stärkere sich mit allen zu Gebot stehenden Mitteln amaßt, die offensichtlich Schwächeren zu begherrschen. Das erzeugt nicht nur Rivaslität, Intrige und Betrug, sondern nötigt auch dazu, sich andernorts der Loyalität zu versichern. Zugleich ist die Gegenwelt in von Sternbergs Film ein Ort, darin auch moralische Prinzipien unerwartet zu ihrem Recht finden und in ihrem Humus gar das Gewächs der Toleranz gedeihen kann.
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© Paramount Pictures Corporation
“The first full-fledged gangster movie and still an effective mood piece, this 1927 milestone was directed by the master of delirious melodrama, Josef von Sternberg”, fasst David Kehr in seiner Besprechung für den Chicago Reader zusammen. Das ist mit Blick auf die Gangsterdramen des Tonfilms, die ab 1931 im US-amerikanischen Kino eine prominente Rolle einnmehmen sollte, mit Sicherheit richtig. Mit The Public Enemy (USA 1931) und Der kleine Cäsar (USA 1931) sorgten in dem Jahr zwei Werke für Furore und setzten ein starkes Signal für die weitere Entwicklung des Kriminalfilms. Vier Jahre zuvor bewegte sich Josef von Sternberg aber im Fahrwasser des deutschen Expressionismus’, der in herausragenden Krimaldramen wie Fritz Langs Dr. Mabuse - Der Spieler (GER 1922) oder Karl Grunes Die Straße (GER 1923) seinen Niederschlag gefunden hatte. Nach dem Erfolg von Unterwelt wurden George Bancroft, Evelyn Brent und Fred Kohler sogleich für einen nächsten Kriminalfilm der Paramonut Pictures verpflichtet und drehten mit Josef von Sternberg als Regisseur Polizei / Razzia (USA 1928), im Original The Drag Net. Dieses Werk gilt wie so viele Stummfilme bis heute als verschollen, obgleich es seinerzeit mit Erfolg weltweit zur Aufführung kam. George Bancroft drehte noch im gleichen Jahr mit von Sternberg den für den Film Noir ebenfalls eingflussreichen Die Docks von New-York (USA 1928). Ben Hecht (u.a. Drehbuchautor von Der Todeskuss, USA 1947) sollte später auch im Film Noir eine Rolle spielen, Bert Glennon (Ohne Erbarmen, USA 1948) blieb bis Mitte der 60er Jahre als Kameramann aktiv, und Sternberg, in den 30er Jahren für seine Arbeiten mit Marlene Dietrich berühmt, steuerte mit Macao (USA 1952) noch einen klassischen Film Noir bei, der seine bis dahin auf Grund gelaufene Karriere nahezu beendete.
Im August 2010 brachte die Criterion Collection, USA, die 3-DVD-Box Three Silent Classics by Josef von Sternberg auf denMarkt, darin Unterwelt als frühester Film enthalten ist, zudem Das letzte Kommando (1928) und Die Docks von New-York (1928). Die bildtechnische Restauration ist großartig, die musikalische Untermalung durch Robert Israel ungemein gelungen, die Filme liegen im Originalformat und (soweit möglich) ungekürzt vor, dazu gibt es wertvolle Extras auf den DVDs selbst und ein 68seitiges Booklet mit filmhistorischen Essays. In Europa erschien die gleiche Zusammenstellung beim spanischen Herrsteller Solto Voce ebenfalls als 3-DVD-Box (2012), die um ein vielfaches billiger und technisch qualitativ gleichwertig ist. Sie enthält ein immerhin 23seitiges Booklet im schön aufgemachten Digipack, bietet die original englischen Schrifttafeln sowie wahlweise spanische oder französische Untertitel, jedoch keine Extras auf den DVDs selbst. Unterwelt ist auf beiden Editionen in einer 81minütigen Fassung enthalten, demgegenüber Online-Quellen die Spielzeit mit 87 Minuten (“Director’s Cut“) oder sogar 105 Minuten angeben.