Ann Todd, Eric Portman, Maxwell Reed, Edward Rigby, Bill Owen
London: Im Gefängnis trifft der Henker Mr. Mendover (Eric Portman) ein und geht mit dem Vorsteher (Milton Rosmer) zu den Zellen, um den des Mordes angeklagten Gefangenen Olaf Theissen (Maxwell Reed) pünktlich zu dessen bevorstehender Exekution abzuholen. Doch als Mendover, der zuvor diesen Akt als seinen letzten im Gewerbe angekündigt hat, Olaf gegenübersteht und der ihn überrascht ansieht, bricht er zusammen, lässt sich ins Büro zurückführen und erzählt seine Geschichte. Sein Name sei nämlich gar nicht Mendover sondern Edward Tribe… Vor neun Monaten kam er, der Kriegsveteran Tribe, in den Genuss einer Erbschaft, als nämlich der ihm zeitlebens verhasste Vater verstarb und er sich deshalb bei dessen Nachlassverwalter, dem Rechtsanwalt Mr. Bigley (Eliot Makeham) einzufinden hatte. Bigley setzte Tribe davon in Kenntnis, dass er mangels eines Testaments des Vaters Fährunternehmen mit 15 Lastkähnen auf der Themse erbe. Tatsächlich dachte Tribe, der seine Kindheit und Jugend auf so einem Lastkahn zugebracht hatte, an den Verkauf des Ganzen, doch um seine Identität einwandfrei zu belegen, musste er, den man seit Jugendjahren nicht gesehen hatte, von einem Bekannten seines Vatzers identifiziert werden. Er konnte Bigley gegenüber nämlich weder eine Privatadresse noch die Anstellung in einem Beruf angeben. Dies geschah durch den alten Seebären Bill Shackle (Edward Rigby), der Eddie schon als Jungen gekannt hatte und mit dem Tribe sodann im Pub noch etwas trinken ging...
Ein ungemein dichter Film, der von den grandiosen Leistungen Ann Todds und Eric Portmans getragen wird und der zu den besten englischen Film Noirs seiner Zeit gerechnet werden darf. Die Geschichte ist simpel und rasch erzählt, doch die Wandlung der Charaktere nach ihrem ersten Treffen im Pub, wo Ann Todd - via Bus auf dem Weg zu ihrer Arbeit in einer Tanzhalle in Gravesend - aus dem Regen kommend auf den Friseur Mendover trifft, der wie so oft bei der Tresenkraft Doris (Jane Hylton) sein Nachtmahl verspeist, ist schier grandios und bis in kleinste Einzelheiten überzeugend. Obwohl so manches an den Rollencharakteren nicht explizit erklärt und erläutert wird, - Warum ist der Friseur Mr. Mendover im Nebenberuf Henker? Wieso hat sich Edward Tribe für ein Leben unter falscher Identität als Mendover entschieden? - stellen sich diese Fragen für den Zuschauer im Grunde nicht. Dem sind die Motivation und die Art, wie diese Figuren in ihre Schicksalswege eigewachsen sind, zu keiner Zeit rätselhaft. Sowohl Eddie Tribe als auch Francis alias “Frankie“ (Ann Todd) sind von einer wechselhaften, oft schwierigen Kindheit und Jugend geprägt und versuchen auf ihre Art, den Kopf über Wasser zu halten. Dabei erweisen sich ihre Lebensentwürfe als einsam, dauerhafte Freundschaften fanden nie einen Platz darin. Und so finden sie als Charaktere, die einander im anderen wiedererkennen, zusammen und heiraten. Im Folgenden ist es Eddie Tribe, der sich redlich bemüht, all die Wirren seiner Vergangenheit in seine neue Existenz zu überführen und dabei seine so geliebte, junge Ehefrau leider aus dem Blick verliert.
“An intriguing addition to the cycle of late-1940s British film noir, Daybreak lacks the reputation of Brighton Rock (d. John Boulting, 1948), but is equally menacing and utterly compelling”, fasst Dylan Cave für BFI Screen Online zusammen, und es ist tatsächlich exakt, wie dieses praktisch völlig vergessene Werk im Kanon des europäischen Film Noirs einzuordnen ist. Im Jahr 1946 stand die englische Schauspielerin Ann Todd nach dem Erfolg des Melodrams Der letzte Schleier (UK 1945) an der Schwelle zum Ruhm. Also suchte das Studio nach einem Anschlussfilm, der ihr zu letzterem verhelfen sollte und verpflichtete für Aus dem Tagebuch eines Henkers den gleichen Regisseur, das gleiche Autorenteam, den gleichen Kameramann, den gleichen Produzenten. Doch zwei Jahre lag der Film Noir Aus dem Tagebuch eines Henkers wegen Problemen mit der Zensurbehörde auf Eis, bevor er im Mai 1948 endlich ins Kino kam. Zu dem Zeitpunkt hatte Ann Todd in Alfred Hitchcocks Der Fall Paradin (USA 1947) bereits die undankbare Rolle der etwas faden, biederen Ehefrau im Schatten der schillernden Maddalena Anna Paradin in der Verkörperung durch Alida Valli übernommen, und auch der Film Noir So Evil My Love (USA/UK 1948) hatte ihr nicht zum letzten Durchbruch verholfen. Heute gehört Aus dem Tagebuch eines Henkers - ein irreführend reißerischer Titel ohne Zugriff auf die zentrale Handlung - zu jenen Filmen, die es unbedingt wiederzuentdecken, zu restaurarieren und neu zu bewerten gälte.
Heute ein Film der Public Domain findet er sich unterm Originaltitel Daybreak in mittelprächtiger Bildqualität in mehreren Portalen des Internets zum kostenlosen Ansehen oder zum Download, also mit der englischen Tonspur ohne Untertitel. Auf DVD erschien er via Onyx Media International zusammen mit Der perfekte Mörder (UK 1947), die Qualität ist in Bild und Ton exakt die gleiche, Extras gibt es ebenso keine und der inzwischen hohe Sammlerpreis ist daher ungerechtfertigt.