Neo Noir
| International
| 1998
| Alex Proyas
| Colin Friels
| David Wenham
| Kiefer Sutherland
| William Hurt
| Jennifer Connelly
| Melissa George
Bewertung
**
Originaltitel
Dark City
Kategorie
Neo Noir
Land
AUS/USA
Erscheinungsjahr
1998
Darsteller
Rufus Sewell, Kiefer Sutherland, Jennifer Connelly, Richard O’Brien, Ian Richardson
Regie
Alex Proyas
Farbe
Farbe
Laufzeit
111 min
Bildformat
Widescreen
© New Line Cinema
Es ist Nacht in der Großstadt, ein Mann (Kiefer Sutherland) in Mantel und Hut hinkt über eine Brücke, hält inne und zieht seine goldene Uhr aus der Westentasche. Er lässt den Deckel aufschnappen und sieht zu, wie der Zeiger die Sekunden bis zu vollen Stunde, Mitternacht, weiterläuft… In einem schäbigen alten Hotel, das verwinkelt zwischen höheren Gebäuden steht, erwacht ein anderer Mann (Rufus Sewell) in der Badewanne. Er schreckt hoch, geht über die giftgrünen Fliesen bis zum Spiegel über dem Waschbecken und sieht, dass aus einer kleinen Stirnwunde Blut läuft. Auf einem Stuhl findet er säuberlich gestapelt passende Kleidung, doch als er das Bad verlässt, ist er stets barfüßig, rutscht aus und ein Glassbottich mit einem Goldfisch zerschellt auf dem Boden. Der Mann bringt den Fisch in die volle Badewanne, zieht sich seine Schuhe an und entnimmt dem Schrank einen Mantel und einen Koffer mit den Initialen “K.H.“ unterm Griff. Er findet Kleidungsstücke darin und eine Postkarte mit “Greetings from Shell Beach“ auf der Frontseite, die eine Erinnerung auslöst. Das Telefon klingelt und der Mann von der Brücke, ein Doktor, erklärt dem im Hotel, dass jener sein Gedächtnis verloren habe und man nach ihm auf der Suche sei, weshalb er schleunigst verschwinden müsse. Da entdeckt der Hotelbewohner die Leiche einer jungen Frau im Zimmer. Ein blutiges Messer fällt vom Tisch, als er erschrocken rückwärts geht, um diesen Ort schleunigst zu verlassen. Er hetzt über den Korridor Richtung Treppe, als der Aufzug ankommt…
“The plot is weak, and the self- conscious script tries too hard to be knowing and sexually suggestive,” schreibt Peter Stack im San Francisco Chronicle. “A mishmash of iconography lifted from better movies,” schlussfolgert Lisa Alspector für den Chicago Reader. An dieser Stadt im Dunkeln von Autor, Regisseur, Produzent Alex Proyas, eine klassische Science-Fiction-Story, wie ihr Ende beweist, ist tatsächlich nichts originell, auch die optische Umsetzung nicht. Mit Fritz Langs Metropolis (GER 1926), Ridley Scotts Der Blade Runner (USA/HK/UK 1982) und Terry Gilliams Brazil (UK 1985) sind zumindest drei Filme eindeutige Quellen für das optische Dekor im Ganzen. Hinzu kommen die jeweils für die Details zitierten Aspekte, etwa das Aussehen der “Strangers“, das an F.W. Murnaus Nosferatu, eine Symphonie des Grauens (GER 1922) denken lässt oder die Eröffnungssequenz, deren Bildsprache an David Lynch und vor allem an dessen Twin Peaks (USA 1990/91) erinnert. Der in Polen gebürtige Kameramann Dariusz Wolski (Fluch der Karibik, USA 2003) erweist sich als Meister seines Fachs. Er verleiht Dark City den Look und die Atmosphäre, welche zu Beginn bestechend wirken. Aber schon bald stört die extrem hektische Schnittfolge auch in Szenen, darin das nicht vonnöten gewesen wäre. Wenn John Murdoch und Emma (Jennifer Connelly) erstmalig aufeinander treffen und miteinander reden, folgt während des Gesprächs ein unmotivierter Schnitt auf den nächsten und das nervt gehörig. Mit 1,8 Sekunden pro Sequenz hat Dark City eine der schnellsten durchschnittlichen Schnittfolgen (= average shot lengths) der Filmhistorie. Aber die rein äußerliche Dynamik dient einzig und allein, die innere Leere der Geschichte zu bemänteln, deren Finale und Schluss sie endgültig deklassieren.
“When was the last time you remember doing something during the day?” Wie Android Roy Batty (Rutger Hauer) in Der Blade Runner oder die Cyborgs in Ghost In A Shell (JPN 1995), direkte Vorlage für den US-Blockbuster Matrix (USA 1999), entzieht sich John Murdoch der Kontrolle jener “Strangers“ und wird als potentielle Gefahr von ihnen gejagt. Sein Handicap ist seine (partielle) Amnesie; seine Stärke sind Fähigkeiten, die ihn zum Rivalen der “Strangers“ werden lassen. Der Film Noir wird zweifach in diese futuristische Konzeption gemischt. Zum ersten ist John Murdoch ein Mann auf der Suche nach seiner Identität und muss unsicher sein, ob er selbst kein Mörder ist – John Farrows The Big Clock (USA 1948) lässt grüßen, zumal die „große Uhr“ auch andernorts eine Rolle spielt. Zum zweiten ist das Design der Dark City und deren Ausleuchtung fast gänzlich der Welt des Film Noirs geschuldet. Mit Gebäuden aus der Zeit des Art Decos wirkt sie neben den Anklängen an Metropolis tatsächlich wie ein Los Angeles der 1940er, das wie ein Tumor stets in die Höhe und in die Zukunft wuchert. William Hurt ist ein guter Schauspieler und spielt als Inspektor Frank Bumstead einen klassischen Film-Noir-Charakter. Kiefer Sutherlands Dr. Daniel P. Schreber ist nicht nur eine Karikatur des Mad Scientists aus dem Film der Fünfziger Jahre, sondern auch miserabel gespielt. Jennifer Connelly zeigt als Sängerin in einem Nachtclub, dass sie nicht singt, sondern den Gesang bloß imitiert. Und Rufus Sewell ist als John Murdoch so ziemlich ein Nichts von Rollencharakter. Doch erst das überblasene und schlecht inszenierte Finale lässt den Film aus dem Mittelmaß nach unten stürzen. Die letzten 15 Minuten von Dark City sind dermaßen banal, dass es kaum zu fassen ist. Warum der US-Filmkritiker Roger Ebert solches Trash-Machwerk zum besten Film des Jahres 1998 ausrief, wird mir ewig ein Rätsel bleiben.
Die deutschen BD- und DVD-Editionen (2012) von Warner Home Video beinhalten die um 11 Minuten kürzere Kinofassung inklusive eines Einstiegsmonologs, der Teile der Handlung bereits vorwegnimmt. In England und in den USA erschien bereits 2008 via New Line Home Entertainment, Inc. je eine BD- bzw. DVD-Ausgabe mit dem 111 Minuten dauernden Director’s Cut. Nur diese Ausgaben sind zu empfehlen - bildtechnisch topp im Originalformat bringen sie neben der englischen Tonspur optional Untertitel auf Englisch und Spanisch, dazu Audiokommentare von Roger Ebert, Alex Proyas u.a. sowie ein Making of, die Dokumentation Architecture of Dreams, eine Bildergalerie und den Kinotrailer als Extras.