Die Gemeinde New Iberia im Süden des Bundesstaats Louisiana liegt unweit von New Orleans inmitten der Sümpfe. Polizisten ziehen die verstümmelte Leiche der 19jährigen Cherry LeBlanc aus dem Wasser. Lieutenant Dave Robicheaux (Tommy Lee Jones) von der örtlichen Polizei ist mit den Ermittlungen betraut. Die Tote war polizeibekannt. Bereits als Teenager wurde sie wegen Prostitution erstmals vor den Richter geführt, doch niemand hat etwas zu erzählen. Clothilde (Adella Gautier), Putzfrau im Nachtclub, wo Cherry LeBlanc oft aufgelesen wurde, weiß zwar nichts von einem Zuhälter, aber doch von einigen zwielichtigen Reichen, die in ihren Limousinen vorfuhren und das Mädchen einluden. Ein Besuch beim Mafiosi Julie „Baby Feet“ Balboni (John Goodman) bringt kaum Erkenntnisse. Jener kennt Dave Robicheaux, seinen Bekannten aus Jugendtagen, allzu gut und lässt seinem Zynismus freien Lauf. Doch Balbonis rechte Hand Cholo Manelli (Julio Cesar Cedillo) macht einige Andeutungen, die den Detective aufhorchen lassen. Auf der Rückfahrt greift Robicheaux den betrunkenen Schauspieler Elrod Sykes auf, der mit seiner Freundin und Kollegin Kelly Drummond (Kelly Macdonald) in einem Ferrari über die Straße schlingert. Robicheaux zerrt Sykes, der in der Nähe einen Film dreht und seinen Status als Prominenter auszuspielen versucht, aus dem Wagen und will ihn zur Polizeistation bringen. Doch auf dem Weg erzählt ihm Sykes, dass er bei Dreharbeiten in den Sümpfen einen Leichnam gesehen habe, der offenbar seit längerem dort liege und eine Kette um den Brustkorb trüge…
Großartiges Erzählkino ohne computerbasierte Spezialeffekte, hektische Schnittfolgen oder eimerweise Kunstblut! Folglich kam Bertrand Taverniers Verfilmung des Romans In The Electric Mist with Confederate Dead von James Lee Burke in den USA gar nicht ins Kino, sondern wurde in einer um 10 Minuten gekürzten Fassung als DVD auf den Markt geworfen, um sang- und klanglos unterzugehen. Seine Weltpremiere hatte er im Februar 2009 auf den Berliner Filmfestspielen ungekürzt - es gab eine Nominierung als Bester Film - und er gewann den Großen Preis auf dem Festival International du Film Policier de Beaune. Während er in Frankreich Erfolg hatte, schätzte ihn in Deutschland jedoch die Kritik weit mehr als das Publikum. Dies mag damit zu tun haben, dass erst der Originalton verdeutlicht, wie die Kriminalhandlung von In The Electric Mist nur Dreingabe eines Dramas ist, darin die Charaktere und ihre komplexen Beziehungen relevant sind. Die im Ausland seit jeher verpönte Unsitte der Synchronisation nimmt dem Film mit der deutschen Tonspur die Hälfte seines Reizes. Einzig auf Englisch sind die Dialoge des Drehbuchs von Jerzy und Mary Olson Kromolowski erstklassig. Mit den einleitenden Worten des Ich-Erzählers, der überm Nebel der Sumpflandschaft im Süden Louisianas anhebt, beginnt ein Film Noir, dessen Zentrum der Detective Dave Robicheaux selbst ist: „In the ancient world, people placed heavy stones on the graves of the dead so their souls would not wander and inflict the living…“
Die Krise des Protagonisten, die der Mord an der Prostituierten Cherry LeBlanc hervorruft, ist keine nur in seinem Beruf begründete – sie wurzelt tief in den Bedingungen des Lebens, denen sein Beruf ihm so nahe bringt. Den millionenschweren Gangster Julie „Baby Feet“ Balboni kennt er seit ihrer Jugend, heute ist jener sein Erzfeind. Mit 17 Jahren sah er, wie zwei Männer einen entflohenen Schwarzen hinterrücks nieder schossen, und nach 40 Jahren kehrt solches Erlebnis nun zu ihm zurück. Das FBI stellt Robicheaux die Agentin Rosie Gomez (Justina Machado) zur Seite, der trunksüchtige Schauspieler Elrod Sykes fühlt sich zu ihm hingezogen, was seine Frau Bootsie (Mary Steenburgen) nicht versteht und nicht gutheißt, und die Bewohner des Landstrichs, die ihn alle kennen, haben beschlossen, zu dem Mord an der weißen Hure besser nichts zu sagen. Rassismus, Korruption und Bigotterie sind in der Region tief verwurzelt und manch dunkles Geheimnis ruht in ihrer Vergangenheit, an deren Erweckung niemand Interesse hat. Betrand Taverniers Neo Noir ist ein Meisterstück jenes Filmschaffens, das sich gegen die Flut normierter Actionthriller und Comicverfilmungen stemmt. Tommy Lee Jones bringt mit subtilem Schauspiel seine Figur zum Leben und wird dabei von exzellenten Nebendarstellern unterstützt - mit John Goodman und Mary Steenburgen als herausragend, zudem die Musiker Buddy Guy und Levon Helm (ex-The Band) als General John Bell Hood. Und ist es ein Zufall, dass wir in einer kleinen Rolle John Sayles sehen, dessen wunderbare Regie bei
Lone Star (USA 1996) nicht weit von diesem Film entfernt lag? Auch Werner Herzogs Neo Noir
Bad Lieutenant – Cop ohne Gewissen (2009) spielt in und um New Orleans und ist wie Taverniers Film das Werk eines europäischen Regie-Nomaden, der das Independent-Kino der USA jüngst bereicherte. Unbedingt ansehen!
Erstklassige Blu-ray bzw. DVD der Koch Media GmbH, die den ungekürzten Director’s Cut mit 112 Minuten Spielzeit im Originalformat beinhaltet, deutsche und englische Tonspur inklusive optional deutscher Untertitel, dazu ein 32minütiges Making Of plus 17 Minuten geschnittene Szenen und den Kinotrailer als Extras.
Als bluesbegeisterter Sammler und Buddy Guy-Fan hab ich mir die deutsche DVD von Koch Media vor zwei Tagen zugelegt und gestern Abend angesehen.
Schöne (Landschafts-)Bilder, gute Musik. Doch irgendwie weder Fisch noch Fleisch. Zu viele Dinge werden vermischt und nur an der Oberfläche abgehandelt: Rassenhass & Diskriminierung, Heimsuchung durch Kindheitserlebnisse und 'Geister' der Vergangenheit, korrupte Großgangster und Strippenzieher im Hintergrund, Jagd auf einen Serienkiller... aufgelockert durch zwei, drei Rambo-Einlagen von Tommy Lee Jones.
Die Auflösung des Falles ist wenig originell, auch sonst ist vieles vorhersehbar (beim Fotoshooting mit dem General und seiner Gruppe witterte ich sofort als Filmende eine Parallele zum Schlussbild in Kubricks 'The Shining').
Ein Mainstream-Werk wie 'Mississippi Burning' bietet mehr Spannung und auch mehr Pointen (beim Vergleich der Drehbücher und der Original-Dialoge); große Themen wie Sinnsuche, Heimatverbundenheit, Gefangenheit in der Vergangenheit, Zeitreisen, ländliche Idylle versus Abenteuer in der Großstadt, etc. werden mit sparsameren Mitteln und ungleich poetischer und kraftvoller in 'Red Dirt' von Tag Purvis geschildert (der in dem fiktiven Provinznest Pine Apple, Mississippi, spielt und anno 2000 erschien).
Und was die schiere Kraft der Bilder, schaurig-schöne Friedhofsatmosphäre und die Macht und das Eindringen von Toten in die Welt der Lebenden angeht, so kommt bis heute nix an 'Die Eiserne Rose' von Jean Rollin aus dem Jahre 1973 heran.
Ein weiteres Detail am Rande: Dass in 'Electric Mist' ausgerechnet ein Südstaaten-Offizier, der im historischen Rückblick ja erwiesenermaßen für die Beibehaltung der Sklaverei und die Beschneidung von Bürgerrechten schwarzer Minderheiten im großen Stil kämpfte, nun posthum dem zuständigen Ermittler als Berater in Moral- & Ethikfragen zur Seite steht, scheint bislang auch noch keinem Filmkritiker aufgefallen zu sein. Oder waren es womöglich gerade jene Verfehlungen im Sezessionskrieg, die den General und seine Gruppe bis heute nicht zur Ruhe kommen lassen und sie dazu verdammen, als Geister ruhelos umherzuziehen ?