Gary Oldman, Alan Rickman, Joe Mategna, Laura Dern, Marg Helgenberger
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Zwischen 1990 und 1997 erlebte der Film Noir im Retrokleid eine zweite Renaissance. Bereits in den Mittsiebzigern hatten Filme wie Chinatown (USA 1974) oder Fahr zur Hölle, Liebling! (USA 1975) den nostalgischen Blick in die Zeit des Film Noirs bedient. Von Jack Nicholsons Die Spur führt zurück (USA 1990) über Howard Franklins Der Reporter (USA 1992) und Carl Franklins Teufel in Blau (USA 1995) bis zu Curtis Hansons L.A. Confidential (USA 1997) feierte der Retro-Noir komplementär zu den Neo Noirs John Dahls, Quentin Tarantinos oder David Lynchs eine Wiederauferstehung.
Auch die US-Fernsehproduktion Fallen Angels fällt in diese Zeit. In zwei Staffeln, erst 1993 und dann 1995, verfilmten Kinoregisseure in Episoden zwischen 29 und 60 Minuten Spielzeit Kurzgeschichten klassischer Film-Noir-Autoren wie Raymond Chandler, Dashiell Hammett, Cornell Woolrich, David Goodis, Mickey Spillane und Walter Mosley. Privatdetektive, Polizisten und Undercover-Agenten mit Hut und im Zweireiher drückten sich erneut die Klinke in die Hand, um jeweils einer Femme fatale und den Abgründen menschlicher Natur zu begegnen. Unter den Darstellern fanden sich Alan Rickman, Laura Dern, Gary Oldman, Tom Hanks, Danny Glover, Diane Lane, Peter Coyote, Benicio del Toro, Bill Pullman, Cynda Williams. Mit Heather Graham, Miguel Ferrer, Grace Zabriskie, Jack Nance, Mädchen Amick und Regisseur Tim Hunter gab es auffällig viel Personal der TV-Serie Twin Peaks (USA 1990/91). Zu den Regisseuren zählten u.a. Steven Soderbergh, Tom Cruise, Peter Bogdanovich und John Dahl. Einer der ausführenden Produzenten war Sydney Pollack – lauter Hollywoodgrößen also. Nach den sechs Episoden der ersten Staffel folgten 1995 weitere neun. Während die zweite Staffel 2003 in Form einer dreiteiligen DVD-Edition hierzulande und in England als Perfect Crimes auf den Markt kam, gibt es von den sechs Episoden des Jahres 1993 nur US-amerikanische VHS-Videos. Der Titel Perfect Crimes sollte wohl ein Krimipublikum ansprechen, dem sowohl der Los-Angeles-Bezug des Originals unklar als auch Otto Premingers Film Noir Fallen Angel (USA 1945) unbekannt war. Mit Wong Kar-wais Hong-Kong-Film Fallen Angels (HK 1995) hat die Fernsehserie nichts zu tun.
Dead-End For Delia: Wenn Police Detective Pat Kelley (Gary Oldman) von Lieutenant Calender (Dan Hedaya) zum nächtlichen Tatort gerufen wird, liegt unterhalb des von David O’Connor (Vondie Curtis-Hall) geführten Nachtclubs Dreamland die Leiche seiner Ehefrau Delia (Gabrielle Anwar). Letztere lebte von Pat getrennt und arbeitete nach wie vor als Animierdame in jenem Club, wo sich die beiden vor 4 Jahren kennen lernten, seinerzeit im Beisein der seither unglücklich in Pat verliebten Los Weldon (Meg Tilly)…
Wer hier von Anbeginn aufmerksam zuschaut, weiß im Grunde sofort, was die Stunde geschlagen hat. Man bedarf dafür weder der von Regisseur Phil Joanou kunstvoll inszenierten Rückblenden noch Gary Oldmans Over-Acting. Letzterer ist ein guter Darsteller, agiert jedoch ungezügelt an der Grenze zur Selbstparodie. Die Atmosphäre, die Rollencharaktere und die Kameraarbeit von Declan Quinn sind herausragend. Doch das Schauspiel und die klischeehaften “hard boiled“ Dialoge sind nicht erste Garnitur, zumal eben das Ende vorhersehbar daherkommt. Dennoch ist Dead-End for Delia eine der besseren Episoden dieser Serie und als Folge 1 ein solider Auftakt.
I’ll Be Waiting: Es ist ein Uhr morgens und der Nachtportier (Peter Scolari) räumt in der Halle des Windermere Hotels die Reste zusammen, indessen er den Hoteldetektiv Tony Reseck (Bruno Kirby) in seinem Sessel kurz grüßt. Jener sieht die seit 5 Tagen im Hotel lebende Ms. Eve Cressy (Marg Helgenberger) in einen Salon gehen. Reseck folgt ihr, die junge Frau lauscht dem Jazz aus dem Radio, es entspinnt sich ein Gespräch. Er erzählt, wie eine Frau, die das Hotel eine Woche nicht verlassen hatte, eines Nachts vom Balkon ihres Zimmers in den Tod sprang…
”You can make a lot of mistakes in one lifetime, Tony, some of them twice.“ Die Verfilmung der gleichnamigen Kurzgeschichte Raymond Chandlers zeigt in Form und Inhalt die Qualität, die sein Autor zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung (1939) erreicht hatte. Auch die TV-Episode mit Bruno Kirby, Marg Helgenberger und Dan Hedaya in Hauptrollen ist ein Genuss. Tom Hanks spielt nicht nur mit, er führt auch Regie, kurz darauf wurde er mit Philadelphia (USA 1994) und Forrest Gump (USA 1994) zum Weltstar. I’ll Be Waiting ist durch und durch Film Noir und erinnert nicht zuletzt an das Talent des 2006 mit 57 Jahren verstorbenen Bruno Kirby (Donnie Brasco, USA 1997). 30 Minuten, so zeigt diese Episode, reichen aus, wenn die Vorlage die nötige Substanz hat.
The Quiet Room: Police Detective Carl Streeter (Joe Mantegna) ist Witwer und lebt als Vater allein mit seiner Tochter Jeannie (Vinessa Shaw), einem Teenager. Er bemühtr sich, sie behütet heranwachsen zu lassen. Ohne ihr Wissen unterhält er eine Affäre mit der Polizeibeamtin Sally Creighton (Bonnie Bedelia). Letztere befragt bevorzugt minderjährige Prostituierte und ist in ihren Methoden, die zum Namen des Freiers führen, alles andere als zimperlich. Sobald die Verdächtigen feststehen, erhalten sie Besuch von Detective Streeter, der ihnen einen Vorschlag zur Güte unterbreitet…
Warum ist Steven Soderbergh von den Beteiligten derjenige, der sich am ehesten als Spielfilm-Regisseur über Jahrzehnte hinweg eine Reptutation erwarb? Nun, The Quiet Room macht schnell deutlich, was Dramaturgie, Inszenierung und Schauspielerführung und einem erstklassigen Regisseur abverlangen. Hier ist wirklich alles erstklassig und fügt sich in 29 Minuten zu einer der besten Episoden der TV-.Seriie Fallen Angels überhaupt. Joe Mantegna, Bonnie Bedelia und Vinessa Shaw sind erstklassig und bringen ihre Charaktere in minimaler Spielzeit auf den Punkt. Die Geschichte ist abgründig, die Handlung durchdacht und das Ende bitter und… bitterböse.
Murder, Obliquely: Als Jean Medill (Robin Bartlett) und ihr Ehemann Paul Bartlett (Patrick Masset) den Lebemann Dwight Billings (Alan Rickman) in dessen neuem Anwesen besuchen, haben sie ihre Freundin Annie Ainsley (Laura Dern) im Schlepptau. Die verliebt sich auf der Stelle in den galanten Gastgeber, dummerweise einseitig und damit zum Unglück verdammt. Dwight ist mit Bezug auf Frauen nicht so stil- und geschmackssicher wie in sonstigen Belangen und führt seinerseits eine unglückliche Beziehung mit der Femme fatale Bernette Stone (Diane Lane)…
Alan Rickman war ein wunderbarer Schauspieler, aber nicht hier. Eine solch spannungsarme halbe Stunde, wo Menschen in einem halbdunklen Salon Zigaretten rauchen, belanglose Sätze hauchen und Grimassen schneiden, habe ich selten gesehen. Das Ganze soll voller Mysterium und versteckter Bedeutung sein, ist jedoch schlicht albern. Alan Rickman hat sowohl mit Diane Lane als auch mit Laura Dern nicht die mindeste Chemie, Alfonso Cuaróns Inszenierung erreicht kaum den Standard einer TV-Serie und ist geradezu laienhaft. Die Charaktere vom Reißbrett sind unterhalb jeglichen Niveaus und die vermeintlich abgeklärte Stimme der Erzählerin klingt de facto gelangweilt. Von Anfang bis zum Ende so klischeehaft dämlich, dass es kaum zu ertragen ist - eine Film-Noir-Farce, sofern man dem einen Namen geben möchte.
Es gibt derzeit noch keine BD- oder DVD-Edition der ersten Staffel von Fallen Angels, demgegenüber einige der seinerzeit von Hollywoodgrößen gedrehten Kurzfilme durchaus sehenswert sind. Einige Online-Portale bieten von den VHS-Videokassetten (1993) kopierte, digitale Fassungen, die jedoch von bescheidener Qualität sind.