Elf Uhr nachts

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Eddie Muller


Wenn es Nach wird in Paris


Film Noir Collection Koch Media GmbH


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Bewertung
***
Originaltitel
Pierrot le fou
Kategorie
Post Noir
Land
FRA/ITA
Erscheinungsjahr
1965
Darsteller

Jean-Paul Belmondo, Anna Karina, Graziella Galvani, Dirk Sanders, Roger Dutoit

Regie
Jean-Luc Godard
Farbe
Farbe
Laufzeit
105 min
Bildformat
Widescreen
 

 

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Paris: Der gekündigte Fernsehredakteur Ferdinand Griffon (Jean-Paul Belmondo) sitzt in der Badewanne und liest seiner Tochter eine kunsthistorische Abhandlung vor, als seine Frau (Graziella Galvani) hereinkommt und ihn zur Eile mahnt. Das Ehepaar muss zu einer Abendeinladung und der mit Madame Griffon befreundete Frank (Georges Staquet) und seine Paola (Krista Nell) werden sie gleich abholen. Bei der Feier wird auch der reiche Schwiegervater zugegen sein, mit dem Ferdinand wegen eines Jobs bei Standard Oil reden sollte, wie seine Frau findet. Ferdinand will nicht mitkommen, fügt sich dann jedoch, indessen Marianne Renoir (Anna Karina), eine Nichte Franks, mit der wiederum Ferdinand einst eine Liaison hatte und die er einige Jahre nicht gesehen hat, als die Babysitterin des heutigen Abends eintrifft. Man begrüßt sich kurz, schon sind sie auf dem Stehempfang in luxuriöser Kulisse, wo sich die Leute paarweise oder allein gehörig langweilen und sich in Banalitäten über Autos oder Parfüm ergehen oder offen ihre Begierde und Dekadenz zum Ausdruck bringen. Ferdinand trifft den US-amerikanischen Filmemacher Samuel Fuller, der vor Ort in Frankreich Baudelaires Die Blumen des Bösen verfilmen möchte und der ihm etwas über das Wesen des Filmschaffens mitteilt. Aber schon bald hat Ferdinand genug von alledem und begibt sich nach Hause, wo er im Korridor die über einem Kinderbuch eingeschlafene Marianne vorfindet. Da die Metro längst nicht mehr verkehrt, bietet er ihr an, sie in seinem Wagen nach Hause zurückzufahren…
 
Postmodernism (…) implies a degree of contempt for whatever nostalgia we may feel for the certainties of the past, suggesting that these were always illusions, which have now become impossible to sustain.”  So schreibt Robin Buss in seinem Buch French Film Noir (2001), das auf der Titelseite ein Filmfoto aus Elf Uhr nachts zeigt, über dieses Werk Godards, ohne die Behauptung von den Illusionen, die sich angeblich nicht aufrecht erhalten lassen, in irgendeiner Weise zu hinterfragen oder zu belegen. Dabei illustriert das Zitat perfekt den Zeitgeist der Mittsechziger, darin sich Jean-Luc Godard mit Elf Uhr nachts weniger als Genie, wie gern behauptet, sondern eher als typischer Vertreter zeigt. Wer den Kontext der Literatur und der Philosophie jener Jahre nur einigermaßen ermessen kann, wird sich auch vom Feuerwerk der Zitate, die Godard aus Schriften zur bildenden Kunst und aus literarischen Werken einstreut, kaum blenden lassen. Nein, es ist beileibe nicht alles schlecht hier. Viele solcher Zitate lassen zentrale Fragen des Kulturverständnisses und der menschlichen Wahrnehmung im Licht von Philosophie und Psychologie klar hervortreten. Aber natürlich muss Autor und Regisseur Godard deutlich werden lassen, wozu ich ihn und sein filmisches Werk benötige, um mich den Fragen zu nähern und ihnen genau dadurch mehr abzugewinnen, als es mir durchs alleinige Lesen der Schriften möglich wäre. Und hier krankt solches auf Tabubruch und Bürgerschreck abzielende Opus, das im Treibsand seines Zeitgeists feststeckt und sogar in Anbetracht der extrem neokonservativen Ausrichtung heutigen Filmschaffens wenig Relevanz und kaum richtungweisende Originalität offenbart. Im Gegenteil! Elf Uhr nachts ist in einer Weise gealtert, das man ihm solches Alter in jeder Minute ansieht und beim Zuschauen ständig an "die Sechziger“ denken muss.
 
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© Studiocanal GmbH

 
Natürlich darf man einen Film kreieren, der sich aufs "Leben" und nicht auf eine Erzählung fokussieren soll, wie Godard im Film das eigene Streben mitunter benennt. Aber irgendwann muss solches Leben als der zentrale Antrieb dem Zuschauer nahe rücken oder er wird sich innerlich zurücklehnen. So ging es mir. Ferdinand Griffon und Marianne Renoir sind trotz ihrer Bonnie-und-Clyde-Attitüden blasse Zöglinge jener bürgerlichen Welt, die sie selbst so ablehnen, und illustrieren mit ihrer planlosen Flucht, wie sehr sie an sich selbst, der inneren Leere und dem triebhaften Egoismus, die ihre Lebenswege auch zuvor bestimmten, scheitern müssen. Nun mag das von Godard so beabsichtigt sein, doch viel Anteilnahme wird dabei nicht geweckt und auch Spannung kommt kaum auf. Das Duo verliert sich in einer Serie von Manierismen und Plattitüden, zu denen sich Jean-Paul Belmondo und Anna Karina mächtig aufgelegt zeigen, was man allerdings nicht mit schauspielerischer Finesse verwechseln sollte. Gerade bei Belmondo hat man das Gefühl, dass er nicht recht weiß, wohin mit sich, also grimassiert er und zeigt einiges an Over-Acting. Die lose Adaption des Romans Obsession (EA 1962) aus der Feder von Lionel White hat nur am Rande mit dem Film Noir zu tun, deutlich weniger als Godards noch mehr im Erzählen verhaftete und klar bessere Werke Die Außenseiterbande (FRA 1964) und Lemmy Caution gegen Alpha 60 (FRA/ITA 1965). Alles in allem beweist der von vielen Filmkritikern über den grünen Klee gelobte Film einiges an Potential, das er jedoch 10 Minuten nach dem Start zunehmend aus den Augen verliert.
 
Elf Uhr nachts ist bei Arthaus / Studiocanal in einer bild- und tontechnisch exzellenten BD- oder auch DVD-Ausgabe (2010) mit dem Film ungekürzt im Originalformat erschienen. Dazu gibt es Tonspuren auf Deutsch Französisch oder Englisch, die Untertitel wahlweise auf Deutsch Englisch, Spanisch, Portugiesisch, Holländisch, Schwedisch, Norwegisch oder Finnisch, eine Einführung zum Film von Colin McCabe, einen Audiokommentar von Jean-Bernard Pouy und diverse Bildergalerien als Extras. Vorbildlich!
 

Post Noir | 1965 | France | Jean-Luc Godard | Lionel White | Raoul Coutard | Dominique Zardi | Jean-Paul Belmondo | Jean-Pierre Léaud | Samuel Fuller | Anna Karina

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