Bewertung
***
Originaltitel
Le petit lieutenant
Kategorie
Neo Noir
Land
FRA
Erscheinungsjahr
2005
Darsteller
Nathalie Baye, Jalil Lespert, Roschdy Zem, Antoine Chappey, Jacques Perrin
Regie
Xavier Beauvois
Farbe
Farbe
Laufzeit
110 min
Bildformat
Widescreen
Le Havre: Der junge Lieutenant Antoine Derouère (Jalil Lespert) schließt mit einer Zeremonie seine Zeit bei der Polizeischule ab, nachdem er sich zuvor bereits zum Einsatz bei der Kriminalpolizei in Paris gemeldet hat. Seine Mutter (Annick Le Goff), sein Vater (Jean Lespert) und sein jüngerer Bruder Alex (Yaniss Lespert) gratulieren dem Absolventen in seiner Uniform, von der er selbst nichts hält. Also tritt er seinen Dienst in Paris an, wo er der Abteilung der ebenfalls neuen Kommissarin Caroline "Caro" Vaudieu (Nathalie Baye) zugeteilt wird. Als sie sich bei ihrem Vorgesetzten (Pierre Aussedat) vorstellt, betont sie ausdrücklich, dass sie seit zwei Jahren keinen Alkohol mehr getrunken habe... Ihre Mitarbeiter und die Kollegen Antoines sind ein bunt zusammengewürfelter Haufen, darunter Solo (Roschdy Zem) mit marokkanischen Wurzeln sowie Louis Mallet (Antoine Chappey) und Lieutenant Patrick Belval (Patrick Chauvet). Als sie mitbekommen, dass man mit Antoine sowohl trinken als auch Witze reißen kann, kommen alle gut miteinander aus. Der „kleine Leutnant“, wie ihn Kommisarin Vaudieu an ihrem ersten Tag spontan tituliert, bewohnt ein möbliertes Zimmer bei Mireille (Mireille Franchino), einer freundlichen älteren Dame. Antoines Frau Julie (Bérangère Allaux) ist noch immer Lehrerin in Le Havre und hat nie nach Paris ziehen wollen. Indessen macht Lieutenant Derouère im Alltag eines großstädtischen Polizeireviers erste Erfahrungen, die sowohl laut und ruppig als auch stinklangweilig sein können…
Das Erstaunliche am französchen Neo Noir Eine fatale Entscheidung, der viele Elemente klassischen Film-Noir-Kinos aufgreift und die Vielzahl der Charaktere bemerkenswert präzise skizziert, ist sein Scheitern. In Bestreben, die ermüdende Tristesse und Routine des Polizeialltags in der Metropole Paris zu bebildern, ist der Film ebenso erfolgreich wie zugleich – ermüdend trist. Der Gegenstand seiner Anschauung überträgt sich auf die Mittel der Gestaltung, wird eins mit der semi-dokumentarischen und bleiern einfallslosen Kameraarbeit, diesem Fermsehfilmstil, der „Realismus“ markieren möchte, seine Zuschauer in den ersten 54 Minuten aber zunehmend in die Langeweile führt. So scharf umrissen die Charaktere dem Drehbuch entspringen, so schlicht (und teils zweidimensional) sind sie auch - mit Ausnahme der Kommissarin Vaudieu, die von Nathalie Baye mit meisterhaft sicherem Ausdrucksvermögen zum Leben erweckt wird. Daneben verblassen die anderen Figuren zu beweglichen Ornamenten im Rahmen jenes Spiegels, daraus einzig ihr Portrait leuchtend hervortritt. Für die latent epische Anlage der so einfachen wie langsam voran schleichenden Geschichte ist das zu wenig. Antoine, der „kleine Leutnant“, bleibt ein netter Bursche aus der Provinz, in den die Kommissarin die Erinnerung an ihren verstorbenen Sohn projeziert, doch damit ist seine Rolle allzu begrenzt. Nun mag das Argument kommen, dass andererseits genau diese Begrenztheit als Erfahrung der entkoppelten und quasi „sinnlos“ anmutenden Zusammenhänge im Handlungsverlauf deren Tragik bedingt. Doch darauf kann ein in seiner Geduld strapazierter Zuschauer zuletzt mit einem „Na und?“ kontern und tut es mit gleicher Berechtigung.
Eine fatale Entscheidung ist kein schlechter Film. Wäre er das, müsste man sich nicht so im Detail um die Gründe fürs Vergeuden seines Potentials bemühen. Dieses Potential ist (fast) durchweg sichtbar und wird seitens der Regie doch wenig genutzt. Wie eine Glaswand steht der Vorsatz des „Realismus“ zwischen der Regie und der notwendigen Erorberung des Kunstraums als Fiktion, behindert das Pseudo-Dokumentarische, welches halbgar wirkt, die erfolgreiche Gestaltung durch eine dramatische Setzung. Findet sie schließlich statt, ändert der Film zwar die Gangart, aber es wirkt bestenfalls so, als müsse die Erzählung ganz schnell nachliefern, was der Zuschauer von einem Polizeifilm eben erwartet. Damit holt trotz des erneut sichtbaren Bemühens den Zuschauer die zuvor erspürte Ratlosigkeit wieder ein, der vom Rollenportrait der Kommissarin beeindruckt sein mag und doch nicht weiß, was er damit anfangen soll. Und dieses Dilemma verfolgt einen. Denn dass mir trotz seiner Zwiespältigkeit die Nachbilder im Kopf haften blieben, spricht wiederum für den Film. Dass ich ihn mir nach jenem ersten, als zäh erlebten Schauen noch ein zweites Mal ansehe, bezweifle ich. Gewissermaßen schade!
Erstklassige DVD-Editionen von good movies! (2007) oder auch als Nr. 5 der Série Noire der Cinamethek der Süddeutschen Zeitung (2007) mit dem Film ungekürzt im Originalformat, wahlweise die deutsche oder französische Tonspur, bei letzterer mit nicht ausblendbaren, deutschen Untertiteln.