Erika Remberg, Peter van Eyck, Peter Mosbacher, Maria Holst, Inge Egger
© Verlag für Filmschriften Christian Unucka
Es ist später Abend in Frankfurt am Main und Else Bary (Kai Fischer) ruft den vermeintlichen Privatdetektiv Klaus Petzold (Peter Mosbacher) an und teilt ihm mit, dass er in einer halben Stunde ins Zimmer 37 der Pension Asta kommen solle. Petzolds rechte Hand Albert Zanecki (Alf Marholm) packt Kamera und Blitzlicht in eine Aktentasche, und im Nu sind beide aus dem Haus und fahren zum Treffpunkt. Im Korridor schnappt Petzold sich die Kamera, öffnet mit einem Ruck die Tür und fotografiert den ertappten Ehemann in den Armen der nur halb bekleideten Else. Im Büro wird der Film flugs entwickelt, und Petzold holt das Foto aus dem Wasserbad und legt es auf seinen Schreibtisch. Bereits am kommenden Tag erscheint die Ehefrau (Helga Warnecke) des Gehörnten und will sich vergewissern, dass für die anstehende Scheidung alle Beweise vorliegen, die ihren Mann des Ehebruchs beschuldigen und nach Rechtslage damit sie als Betrogene erscheinen lassen. Dafür und nur dafür ist Detektiv Petzold ein Spezialist, für Scheidungsangelegenheiten, bei denen sein Lockvogel Else sich im Auftrag einer scheidungswilligen Frau an deren Gatten heranmacht und ihn in eine kompromitierende Lage bringt. Heute ist Else, die offziell als Sekretärin der Detektei angestellt ist, aber noch nicht im Büro, und daher hat Petzold nur das Foto, nicht aber die eidesstattliche Erklärung Elses, die für die Klägerin vor Gericht ebenso unerlässlich ist. Letztere will ihm daher sein Honorar nicht zahlen, aber damit versteht Petzold keinen Spaß…
Warum hatte (und hat) der bundesdeutsche Nachkriegsfilm, eben jener bis in die Mitte der 60er Jahre, über Jahrzehnte hinweg einen so miserablen Ruf? Wer darauf eine Antwort sucht, muss sich einfach Lockvogel der Nacht anschauen und wird verstehen, was bei vielen Kritikern damals und heute schlicht ein Kopfschütteln auslöst. Dieses Machwerk ist auf so vielen Ebenen missglückt und offenbart im Hinblick auf die Beteiligten vor und hinter der Kamera ein Maß an Inkompetenz, dass man nur staunen kann. Mein erstes Staunen galt Peter van Eyck, der im US-amerikanischen Exil mit Julien Duvivier, Billy Wilder und Douglas Sirk gearbeitet hatte und während der 50er europaweit in Filmen Henri Decoins, Helmut Käutners oder Henri-Georges Clouzots zu sehen war. Warum gibt sich ein Darsteller seines Kalibers für einen solchen Mumpitz her? Übrigens spielt er lediglich eine Nebenrolle, demgegenüber „Lockvogel“ Ingeborg Werner (Erika Remberg) und der skruppellose Privatdetektiv Klaus Petzold im Zentrum der Handlung stehen. Mein nächstes Staunen galt der Inszenierung und der sprunghaften Erzählweise dieser Adaption des angeblichen Tatsachenberichts Lockvogel Ingeborg vom Journalisten Heinz Karolus, der in der Wochenzeitung Das grüne Blatt (EA 1958) erschienen war. Damit bewegt sich die Produktion im Fahrwasser der Biografie der ermordeten Edelprostituierten Rosemarie Nitribitt, die von Rolf Thiele – u.a. mit Peter van Eyck – als Das Mädchen Rosemarie (GER 1958) verfilmt worden war und mit Rudolf Jugerts Die Wahrheit über Rosemarie (GER 1959) eine Neuauflage erfuhr. In Lockvogel der Nacht hüpft Wilm ten Haaf von einer Episode der Handlung zur nächsten, ohne sich um Plausibilität oder Logik die geringsten Gedanken zu machen. Was eben ein Plan war, ist in der nächsten Szene zur Hälfte umgesetzt: Darsteller und Darstellerinnen agieren wie Holzpuppen. So etwas wie Persönlichkeit und Psychologie gibt es im Grunde nicht. Wichtige Handlungsträger, z.B. das Ehepaar Karl (Peter van Eyck) und Lea Amsel (Marial Holst), verschwinden plötzlich, andere treten an ihre Stelle.
„Ich hab‘ jetzt die Nase voll. Ich versuch‘ aus Dir ‘ne Dame zu machen, aber Du bist und bleibst eine Schlampe.“ Inge Egger und Peter Mosbacher hatten einst in Robert A. Stemmles Sündige Grenze (GER 1951) zu glänzen vermocht. Die Österreicherin Maria Holst wusste in Erich Engels‘ Mordprozess Dr. Jordan (GER 1949) zu überzeugen. Es tut einem fast weh zuzusehen, wie sie sich durch dieses stümperhaft zusammengeschusterte Flickwerk mühen. Karl Schröders Kameraarbeit zeigt keinerlei eigene Handschrift. Peter Thomas‘ Musik ist das zeittypische Big-Band-Gedudel deutscher Rundfunkorchester. Auch Dramaturgie ist praktisch keine vorhanden. Und das Ende ist kein Ende sondern ein Schluss, als seien den Produzenten das Geld oder Karl Schröder das Filmmaterial ausgegangen. Maria Holst beendete ihre Filmkarriere noch im gleichen Jahr im Alter von 43 Jahren, Inge Egger ihre im Jahr darauf mit 37. Regisseur Wilm ten Haaf drehte fortan ausschließlich für das deutsche Fernsehen. Auch für Drehbuchautor Walter F. Fischelscher bedeutete Lockvogel der Nacht das Ende seiner Karriere, sei es aus Altersgründern (damals 62) oder in Anbetracht der Qualität seines Skripts. Dieses Erzeugnis der Cinelux Filmproduktion erinnert einzig daran, dass bei bundesdeutschen Kinoproduktionen seinerzeit Werke à la Gerd Oswalds Am Tag als der Regen kam (GER 1959) oder Helmut Käutners Schwarzer Kies (GER 1961) die Ausnahmen blieben.
Es gibt eine bild- und tontechnisch exzellent restaurierte Fassung des Films auf einer deutschen DVD (2018) der Pidax film media Ltd. mit dem Werk ungekürzt im Originalformat. Sie enthält die original deutsche Tonspur ohne Untertitel. Außer dem Wendecover bietet die Pidax-Edition, so wie immer im Fall eines Kinoklassikers, der u.a. in der BRD aufgeführt wurde, den Faksimile-Nachdruck der Illustrierten Film-Bühne mit Text und Szenenfotos des Programmheftes sowie eine Bildergalerie mit Werbematerial.