Cleo Moore, John Agar, Frank DeKova, Dallas Boyd, Steffi Sidney
© Universal-International Pictures Inc.
In einer südeuropäischen Hafenstadt am Mittelmeer bei Nacht: Die Gelegenheitsarbeiterin und Prostituierte Dora Garbin (Cleo Moore) steht am Quai und blickt ins dunkle Wasser. In aller Ruhe streift sie ihren Trenchcoat ab, entsteigt den Schuhen und springt nur im Kleid in die Tiefe. Doch ein Matrose hört den Aufschlag ihres Körpers, und er springt hinterher, rettet die junge Frau vor dem Ertrinken. Als Dora wieder zu sich kommt, ist sie jedoch nicht sonderlich dankbar dafür, noch am Leben zu sein. Sie macht dem Retter Vorwürfe, der sich eingemischt habe. Der Matrose rät ihr, es gleich noch einmal zu versuchen. Er werde sich bestimmt nicht nach ihr umdrehen; dann geht er davon. Aber der Moment der Courage ist verflogen. Dora zieht Schuhe und Mantel an und kehrt in die Stadt zurück. Unter den Arkaden eines belebten Boulevards bietet eine Wahrsagerin ihre Dienste an. Doch Dora Garbin erklärt ihr, dass sie schon genug über sich wisse und ihrer nicht bedürfe. Aber die Frau greift sich ihre Hand, sieht eine lange Lebenslinie, wie sie Dora mitteilt, auch werde sie einen jungen Mann kennenlernen und sich verlieben… In dem Moment bricht sie ab und begleitet interessierte Kundschaft in ihre Kammer. Etwas weiter ruft ein Zeitungsverkäufer eine Extraausgabe aus, die über den dreifachen Mörder Joe Carlos (John Agar) berichtet, der im Morgengrauen hingerichtet würde. Eine junge Frau (Jan Englund) und ihre Freundin kaufen das Blatt, lesen und kommentieren den Leitartikel, indessen Dora in der Nähe steht und ihnen wider Willen zuhört…
“Do you want to cry when they put the noose around my neck? Yeah, maybe if I say I’m sorry they’ll let me go home, huh?” Eine potentielle Selbstmörderin begegnet einem wegen dreifachen Mordes zum Tode verurteilten Straftäter. Die beiden erkennen einander als Verlierer in einem Leben, das ihnen jeweils kaum eine Chance bot und sie von Anbeginn geknechtet und misshandelt hat. Das allein klingt für einen US-amerikanischen B-Film der 50er Jahre schon ungewöhnlich. Tatsächlich ist das Ausmaß der Tristesse und Hoffnungslosigkeit, die das Schicksal der beiden prägt, bemerkenswert. Kaum schaffte es die Produktion die US-amerikanische Zensur zu umschiffen, der die amoralische Liebesgeschichte aufstieß. Dennoch hatte Hugo Haas‘ Film Noir im November 1955 seine US-Premiere. Wer glaubt, dass es dem Autor und Regisseur um einen pointierten Kommentar zur Lebenswirklichkeit jener von Klassenunterschieden geprägten USA ging, liegt nur partiell richtig. Mit Fantasieuniformen, französisch und spanisch klingenden Nachnamen, einer Fremdwährung und einer Trutzburg als Gefängnis sowie mediterranen Arkaden im Stadtzentrum spielt die Handlung eindeutig nicht in den USA. Auch sonst ist vieles fantastisch oder geradewegs grotesk. Allein die Frage auf den Filmplakaten jener Zeit bringt es auf den Punkt: “What strange law answered his last request… to bring this beautiful lady to his cell?“ Der Akzent liegt dabei auf “strange“, denn es ist sicher kein US-amerikanisches Gesetz. Es ist im übrigen auch strange im Sinne von bizarr, abseitig und irrwitzig. In dem Maß wie seine zentralen Rollencharaktere, Dora Garbin und Joe Carlos, lediglich Verlierer eines Lebens im hier und heute sind, ist ihre gemeinsame Geschichte in der Nacht vor Joes Hinrichtung ein Märchen. Nichts daran scheint glaubwürdig oder auf Lebensbedingungen einer Industrienation des 20. Jahrhunderts übertragbar. Hugo Haas legt es auch darauf nicht an. Sein Fokus ist ein komplett anderer. Denn indessen die Figuren einander ihre Lebensgeschichten mitteilen, erscheinen letztere den Zuschauern als jeweils eine Tragödie. Der Film gerät zu einem Fanal für mehr Humanität in einer Lebenswelt im Würgegriff von Geiz und Gier und Hass.
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© Universal-International Pictures Inc.
“Hold Back Tomorrow is an innocuous and somewhat contrived drama about two lost souls finding comfort and solace in each other”, schreibt der tschechische Filmwissenschaftler Milan Hain in seinem Essay Hugo Haas – Forgotten Émigré, der 2012 in einer Ausgabe von Noir City erschien, E-Magazin der Film Noir Foundation, San Francisco. Tatsächlich liegen in der zutiefst aufrichtigen Intention seines Schöpfers auch die Schwächen des Werks begründet, dessen künstlerische Ausdrucksmittel nicht ausreichen, um es zu einem hochwertigen Klassiker seiner Zeit geraten zu lassen, B-Produktion hin oder her. Die Aura der Traurigkeit und Doras berührende Liebe für die Dichtkunst, all das wird uns so schutzlos preisgegeben, wie auch Dora Garbin selbst über den Punkt der Verletzbarkeit hinweg gekommen scheint – ihr Leben als gescheitert und sinnlos akzeptiert. Doch wenn Joe Carlos den Gefängnisdirektor (Dallas Boyd) und die Wache (Mel Welles) anbrüllt, dass sie ihm gefälligst seine Wünsche erfüllen, weil es das Gesetz ihnen ja vorschreibe, sind vor allem deren Gesten der Unterwerfung schier lächerlich. John Agars Overacting ist teils enervierend, und auch Haas selbst trägt einfach zu dick auf, erschlägt das Publikum mit seiner “Message“. Noch die finale Sequenz gerät zu pathetisch und damit übertrieben. Das ist bedauerlich, denn Hold Back Tomorrow ist einer jener Filme, die man aufgrund ihrer im Kern besten Absichten unbedingt wertschätzen möchte. Zu guter Letzt lassen es die Patzer und Schwächen des Drehbuchs, der Regie und auch der schauspielerischen Qualitäten aber nicht zu. Schade!
Hold Back Tomorrow ist Teil der 3-BD-Box Film Noir: The Dark Side Of Cinema XII (2023) in einer via Kino Lorber (USA) bild- und tontechnisch hochwertigen 2K-Restauration, ungekürzt im Originalformat mit englischem Ton inklusive optional englischer Untertitel. Die anderen Filme in der Box sind William Castles Tödlicher Sog (USA 1949) und Crane Wilburs Outside The Wall (USA 1950), für die jeweils Audiokommentare von Jason Ney, Tim Tierney und Alan K. Rode vorliegen, indessen für Hold Back Tomorrow immerhin der Kinotrailer beinhaltet ist.