George Peppard, Raymond Burr, Gayle Hunnicutt, Brock Peters, Wilfried Hyde-White
© Universal Pictures
New York: Der steinreiche Unternehmer William Orbison (Raymond Burr) sitzt in seinem Büro und überprüft einige von seiner Sekretärin Mrs. Winnick (Mary Gregory) aufgesetzte Geschäftsbriefe. Via Gegensprechanlage beklagt er sich darüber dass der Zeilenabstand zu groß sei, man also Papier und damit Geld verschwende. Als Mrs. Betty Orbison (Coleen Gray) ins Vorzimmer eintritt, teilt Mrs. Winnick das ihrem Chef mit. Jener gibt zu verstehen, dass seine Frau weder ihren monatlichen Freibetrag erhalte noch dass er sie zu sehen wünsche. Mrs. Winnick solle das seiner Gattin, die mithören kann, ausrichten und sie hinauswefen. Betty geht, und William Orbison teilt seiner Sekretärin mit, dass er ungestört bleiben wolle. Die Signalleuchten des direkt zu seinem Büro im Penthouse führenden Aufzugs kündigen Besuch an. Als die Person eintritt, lässt Orbison sie Platz nehmen und kommt sofort zur Sache. Für 100.000 US-Dollar möchte er einen wasserdichten Mord inszeniert sehen… Spät am Abend: Privatdetektiv Peter Joseph Detweiler (George Peppard), allerorten P.J. genannt, verbringt im Topper Motel ein Stelldichein mit der hübschen Mrs. Thorson (Kay Farrington), als deren Ehemann (Ken Lynch) mit zwei Gehilfen (Brad Logan, King Moody) zur Tür hereinstürzt. Die Liebenden, nur halb bekleidet, können sich nicht zur Wehr setzen, so schnell werden Fotos geschossen und schließlich P.J. aus der Tür auf den Parkplatz hinausgedrängt. Hier erhält er einige Faustschläge und die zwischen ihm und Mr. Thorson vereinbarte Summe von 200 US-Dollar, die jener aufgrund der Gewalt gegen den Detektiv großzügig um 50 Dollar erhöht…
“A knock-out in the Humphrey Bogart mould”, schrieb Ian Christie im Londoner Daily Express anlässlich der Premiere des Films. “This sturdy, hardboiled potboiler is (…) quite gripping in its B-movie film noir way”, resümiert Derek Winnert über 50 Jahre später, der den Film unterm Titel der Wiederveröffentlichung in England listet: New Face In Hell. Tatsächlich ist die Verbindung zum England der Sechziger von Belang. Mit Point Blank – Keiner darf überleben (USA 1967) setzte der britische Regisseur John Boorman den Startschuss für den US-amerikanischen Neo Noir. Auch Der Gnadenlose ist ein Film aus den USA, der mit John Guillermin (Der Marder von London, UK 1960) einen britischen Regisseur verplichtete. Im Folgejahr wurde Bullitt (USA 1698) der erste Hollywoodfilm des Engländers Peter Yates. In Guillermins Werk gibt es einen Seitenhieb gegen die im Kolonialismus verhaftete Haltung gegenüber im Commonwealth verbliebenen Inseln der Karibik, deren Wirtschaft zur Gänze in Abhängigkeit von Industrienationen steht. Tycoon William Orbison reist mit seiner Sippschaft auf das fiktive Tropeneiland Saint Crispin, um mithilfe bestochener Staatsdiener vor Ort jemanden in einem unbeschrifteten Grab verschwinden zu lassen. Mit von der Partie ist auch P.J. als Leibwächter von Orbisons Geliebter Maureen Preble in der Verköperung durch Gayle Hunnicutt. Ebenso wie der mitwirkende Veteran britischen Film Noirs, Wilfried Hyde-White, war auch die 24-jährige Engländerin. Weitere aus dem klassischen Film Noir bekannte Nebendarsteller sind Coleen Gray (Der Scharlatan, USA 1947), Bert Freed (Der Hass ist blind, USA 1950) und John Qualen (Out Of The Fog, USA 1941). Mit seinem Ensemble, exquisiten Schauplätzen im New York der 60-er Jahre und einer überraschend expliziten Darstellung von Gewalt, die bei Aufführung im Fernsehen zu starken Kürzungen führte, erweist sich das Werk als stets solider Thriller seiner Zeit. Letzteres auch, weil Film-Noir-Schurke Raymond Burr als William Orbison mit sadistischer Attidüde seinen psychopathischen Gangster Rick Coyle aus Anthony Manns Flucht ohne Ausweg (USA 1948) rekreiert.
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“They want his wife to get it all. She’s a credit card. They are like a family union, only nobody works.” Bissige Dialoge in der Tradition der Raymond-Chandler-Adaptionen und ein George Peppard als abgebrannter Privatdetektiv, der sich solcher Tradition bewusst ist. Paul Newman, James Garner, Craig Stevens, Frank Sinatra und eben Peppard waren die Private Eyes des Neo Noirs der späten 60-er Jahre. Letzterer hatte nur eine kurzlebige Karriere als Hauptdarsteller in Hollywood, die Mitte der 70-er Jahre endete, als er so wie Garner großteils fürs Fernsehen zu arbeiten begann. Gern würde ich Der Gnadenlose auch dank seiner überzeugenden Darstellung vier Sterne geben, aber die Fimhandlung selbst ist diesseits ihrer sarkastischen Dialoge einfach zu abstrus und unglaubwürdig, um das zu rechtfertigen. Das Finale ist allemal konsequent, die Schluzsssequenz fast schon großartig, wenn Barkeeper Charlie (Herb Edelman) einem Anrufer, der nach P.J. Detweiler verlangt, wissen lässt: “He doesn’t live here anymore.“ Es ist der letzte Satz in einem durchwachsenen Neo Noir, der trotz seiner Schwächen für Freunde des Filmstils und für solche der 60-er Jahre keinesfalls reizlos ist.
Eine in den USA via Kino Lorber unterm Originaltitel P.J. veröffentlichte Edition (2020) bringt den Film als wahlweise eine BD oder DVD, bild- und tontechnisch exzellent restauriert im Originalformat und mit der original englischen Tonspur und optional englischen Untertiteln, dazu den US-amerikanischen Kinotrailer als Extra. In Deutschland gibt es bei Plaion Pictures unter dem Titel P.J. - der Gnadenlose ebenfalls eine jeweils hochwertige BD- und DVD-Edition (2022) des für lange Zeit obskuren Werks und zwar auch im Originalformat und in voller Länge. Neben der deutschen Kinosynchronisation ist ebenso der Originalton verfügbar; die Ausgabe beinhaltet außer dem Wendecover keine Extras.