Vincent Lindon, Chiara Mastroianni, Julie Bataille, Michel Subor, Lola Créton
Paris, Frankreich: In einer verregneten Nacht zieht Jacques (Laurent Grévill), der Inhaber und Geschäftsführer der Schuhfabrik Silvestri, sich im dunklen Büro der Fabrikanlage sein Jackett an und blickt aus dem geöffneten Fenster. Einige Zeit später decken Rettungskräfte im Bereich vor dem Gebäude Jacques‘ Leiche mit einem Tuch zu und seine Ehefrau Sandra (Julie Bataille) identifiziert ihren Mann. Indessen irrt Jacques‘ und Sandras Tochter Justine (Lola Créton) völlig nackt in hochhackigen Schuhen durch die verlassenen, regennassen Straßen… Auf dem Polizeipräsidium erhält Sandra am Morgen einen Abschiedsbrief ihres Mannes, der an Marco Silvestri (Vincent Lindon), ihren leiblichen Bruder und ehemals Jacques‘ bester Freund, adressiert ist. Gegenüber der Inspektorin der Polizei (Nicole Dogué) klagt sie die Behörden an, dass diese nach Jacques‘Beschwerde gegen seinen Geschäftspartner Edouard Laporte (Michel Subor) nichts gegen diesen unternommen hätten, sondern untätig blieben. Jacques‘ Tod, äußert Sandra, sei vor allem das Resultat eines Versagens der Behörden. Sie habe nun niemanden mehr, außer ihrem Bruder, der nie vor Ort und ständig in der Ferne sei… Schiffskapitän Marco Silvestri ist auf einem Tanker der Handelsmarine unterwegs und nimmt in der Kajüte ein Frühstück, als er wegen eines Telefonanrufs auf die Brücke gerufen wird. Marco zögert nicht lange. Er packt seine Habseligkeiten und verlässt wider die Tradition und das Seerecht sein Kommando, um seiner Schwester in Paris beizustehen…
Die Autorin und Regisseurin Claire Denise (Beau Travail, FRA 1999) genießt seit den späten 80er Jahren einen Ruf in der französischen Filmproduktion. Auch in ihrem Neo Noir Les Salauds – Drecksakerle, unter anderem von der deutschen Pandora Filmproduktion und ZDF/Arte mitfinanziert, scheut sie nicht vor explizit dunklen und im Kino oft tabuiesierten Themen und drastischen Darstellungen zurück. Zudem arbeitet sie erneut mit einigen der von ihr favorisierten Darsteller, so etwa mit Michel Subor, Alex Descas oder Florence Loiret Caille. Zudem hatte Claire Denis ihr Drama Vendredir soir (FRA 2002) bereits mit Vincent Lindon besetzt, und mit seiner Filmpartnerin Chiara Mastroianni hatte Lindon unmittelbar zuvor in Augustine (FRA 2012) gearbeitet. Die Erzählweise stimmt die Zuschauer von Anbeginn auf eine harsche, komplexe und bizarre Geschichte ein, der man auf den Fersen bleiben und für die man sich ein wenig anstrengen muss. Gesprochen wird nur wenig, Orte und auch die Zeit der Handlungssegmente wechseln oft sprunghaft: Les Salauds – Dreckskerle ist als Puzzle angelegt. Eine solche narrative Struktur ist weder dem französischen Kino noch dem Neo Noir fremd, und im besten Fall hält es die Aufmerksamkeit aufrecht und provoziert sogar Spannung. Man merkt dem Film die Wut auf Skrupellosigkeit und Kälte im Geschäftsbetrieb hinter den hübschen Fassaden des Großbürgertums an, den Hass auf Verlogenheit und Perversionen der ehrenwerten Großbürger, die seit eh und je, so scheint es, jene Elite der Gesellschaft Frankreichs bilden und heranzüchten. Aber auch mit dem Außenseiter Marco Silvestri, der aus seinem Refugium auf offener See zurückkehrt und zumindest einem der Mächtigen den Kampf ansagt, bleibt das Drama in der Darstellung der Charaktere und deren einzelner Biografien zu sehr an der Oberfläche, um seine Zuschauer nachhaltig zu beeindrucken oder sie gar zu einem Nachsinnen anzuregen.
Inwieweit ist Marco Silvestri bereit und willens seine Familie und ihren Niedergang zu rächen, nachdem er mitbekommen hat, dass seine Schwester Sandra und sein einstiger Freund Jacques, dessen Suizid Marcos Rückkehr veranlasste, jahrelang auf der Seite der Täter agierten und nicht jene Opfer waren, wie Sandra es ihn und sich selbst glauben lassen will? Das ist eine interessante Fragestellung, welche durch die erst erotische, später auch romantische Affinität Marcos für Laportes Mätresse Raphaëlle endgültig ins Terrain des Neo Noirs rutscht, indessen die Details zum sexuellen Missbrauch, der seine Nichte Justine betrifft, immer schockierender und demütigender werden. Die Darstellung der sozialen Kälte und das Übermaß an Ignoranz, wenn Polizeibeamte mit den Achseln zucken oder ein Rechtsanwalt (Eric Dupont-Morett) einen Firmenbankrott zum Horrorszenario stilisiert, sind der Regisseurin gelungen. Das lässt sich von den Rollencharakteren (mit Ausnahme der fein porträtierten Raphaëlle) leider nicht sagen, was wiederum kein Fehler ihrer Akteure sondern ein Manko des Drehbuchs ist. Respekt und Achtung kann ich dem Film und seiner Autorin und Regisseurin ganz sicher zollen, aber so richtig berührt oder begeistert hat mich ihr Werk letzten Endes nicht. Interessanterweise ging es mir mit Alexandro Avranas‘ Neo Noir Dark Crimes (UK/POL/USA 2016), dessen Geschichte in Verlauf und Ende auffällige Parallelen aufweist, durchaus ähnlich. Ihre Zuschauer mit einem Achselzucken zurückzulassen war sicher nicht Claire Denis‘ Absicht, aber mehr Resonanz konnte die Geschichte bei mir nicht wecken.
Obwohl der Film als französisch-deutsche Co-Produktion auch hierzulande im Kino lief, gibt es bis heute keine deutsche BD oder DVD davon. Eine englische BD- bzw. auch DVD-Ausgabe (2014) erschien unter dem Titel Bastards via Artificial Eye und bringt den Film ungekürzt im Originalformat mit dem französischen Originalton und mit englischen Untertiteln. Als Extras gibt es den Kinotrailer und ein Talent Casting Featurette.