Olga Zubarry, Roberto Escalada, Nathán Pinzón, Nelly Panizza, Ángel Laborde
© Verlag für Filmschriften Christian Unucka
Buenos Aires, Argentinien: Ein Psychologe testet den in einem Mordprozess angeklagten Tedorto Ulber (Nathán Pinzón), von allen stets “El professor“ genannt, mit dem Rorschachtest. Der Mann ist aber nicht in der Lage auch nur eine einzige Form zu deuten und antwortet monoton mit einem „Ich weiß nicht.“ Sein Verteidiger (Alberto Barcel) in dem Strafprozess hält sein Plädoyer und argumentiert vor dem Richter und den Geschworenen damit, dass der Kindsmörder Ulber seine Taten in geistiger Umnachtung verübte. Er beantragt deshalb die Einlieferung in die geschlossene Psychiatrie. Staatsanwalt Dr. Bernar (Roberto Escalada) stimmt der Diagnose zwar zu, hält jedoch dagegen, dass Ulber mit einer perfiden Umsicht vorgegangen sei und die Spuren seiner Morde en detail vertuschte… Vor einiger Zeit trat im Nachtclub des stadtbekannten ehemaligen Drogenhändlers Gastón (Pascual Pelliciota) die Sängerin Rita alias Amalia Keitel (Olga Zubarry) auf, die dort seit 2 ½ Jahren ein Engagement innehatte. Ein vollbesetzter Saal lauschte dem Liebeslied, nach dessen Ende Rita sich kurz zu Gastón an die Bar gesellte und einen Drink nahm. Als sich ihr ein aufdringlicher Mann näherte, wusste sie sich seiner blitzschnell zu entledigen, sehr zum Vergnügen einiger Gäste. Der Weg zu den in einem Tiefgeschoss gelegenen Umkleide war lang, als Rita an einem der dort gelegenen Fenster einen Schatten wahrnahm und sich letzterem näherte. Was sie unerwartet sah, ließ sie einen gellenden Schrei ausstoßen, der selbst noch im Tanzsaal zu hören war…
In diesem argentinischen Remake von Fritz Langs M – eine Stadt sucht einen Mörder (GER 1931) wird niemand erwürgt. Der deutsche bzw. österreichische Verleihtitel war und ist irreführend. Möglicherweise war er gewählt worden, weil die Tatwaffe des Kindsmörders Teodoro Ulber aka “El professor“ nochmals grausamere und blutige Assoziationen ausgelöst und potentielle Kinobesucher abgeschreckt hätte. Mit einem skalpellartigen Messer bewaffnet raubt der zutiefst gestörte Rollencharakter seinen wehrlosen Opfern das Leben, ist der Film in der Darstellung dessen auch an keiner Stelle explizit und damit schockierend. Die Gewalttaten selbst bleiben, wie in vielen Werken jener Zeit, nahezu unsichtbar. Nur in einer einzigen Szene, darin sich Ulber mit einem Cognacglas willentlich selbst eine Handverletzung zufügt, tritt das Blut auch vor das Auge der Kamera. Was an Román Viñoly Barretos Werk jedoch am meisten beeindruckt, ist die eigenständige Neuinterpretation seiner Quelle durch ihn selbst und seinen Co-Autor Albert Etchebehere in deren Adaption des Originaldrehbuchs Fritz Langs. Hatte Joseph Losey mit seinem zwei Jahre zuvor gedrehten US-Remake M (USA 1951) explizit auf eine werkstreue Neuverfilmung gesetzt und das deutsche Original Szene für Szene nachgedreht, vermag sich Barreto selbstbewusst aus dem langen Schatten des Meisterstücks zu befreien. Zwar erinnert die Physiognomie des Darstellers Nathán Pinzón an diejenige von Peter Lorre in Langs Original, doch scheut der Argentinier Baretto nicht davor zurück, mit Olga Zubarry in der Rolle der Nachtclubsängerin Rita alias Amalia Keitel, zugleich Mutter einer fünfjährigen Tochter, eine neue Figur ins Zentrum des Dramas zu rücken.
“El Vampiro Negro is as technically accomplished as anything produced by Hollywood in its time, and, within its genre, boasts a rare artistry“, schreibt Todd Stadtman für Die, Danger, Die, Die, Kill! nnd bringt mit dieser Schlussfolgerung auch den Stellenwert solchen Film Noirs auf den Punkt, der heute als Obskurität gilt und erst im Januar 2020 in einer vollends restaurierten Fassung auf dem Filmfestival NOIR CITY in San Francisco wieder zur Aufführung kam. Die Kameraarbeit von Anibal González Paz (Rosaura a las 10, ARG 1958) sowie das Schauspiel von Olga Zubarry, Roberto Escalada und Nathán Pinzón, dem Trio im Zentrum der Handlung, und auch die Adaption und Inszenierung durch Román Viñoly Barreto sind herausragend. Weil letzterer die Sängerin Rita und ihre Tochter an die Stelle der Berliner Unterwelt aus Langs Film setzt, die bei der Suche nach dem Mörder in Form einer organisierten Schattenwelt in Buenos Aires keine Rolle spielt, wirken Ansätze und Reste einer solchen Darstellung im letzten Viertel etwas deplatziert. Dennoch ist das Werk Joseph Loseys Version klar überlegen und zeigt einmal mehr, wie sehr der Film Noir in jenen Jahren neben Mexiko auch in Argentinien seine Blüten trieb. Obwohl er sowohl in Österreich als auch in der Bundesrepublik Deutschland zur Aufführung kam, ist er dem Gedächtnis der hiesigen Kulturgeschichte inzwischen entglitten. Für eine Wiederentdeckung des ebenso eigentümlichen wie düsteren Werks ist es nach meiner Einschätzung höchste Zeit.
Nach seiner Restauration durch die Film Noir Foundation, San Francisco, in Kopperation mit dem UCLA Film & Television Archive und mit Unterstützung durch den Hollywood Foreign Press Association's Charitable Trust liegt der Film in einer vollständigen sowie bild- und tontechnisch hochwertigen Fassung vor, die inzwischen via Flicker Alley (USA) auf einer exquisiten Blu-ray disc und DVD (2022) in einer einzigen Edition veröffentlicht wurde. Bild- und tontechnisch einwandfrei, ungekürzt und im Originalformat, mit der original spanischen Tonspur und mit englischen und spanischen Untertiteln, als Extras ein Audiokommentar des argentinischen Filmhistorikers Fernando Martin Peña, dazu als The Three Faces of M (2022) eine Dokumentation über alle drei Verfilmungen des Stoffs seit derjenigen Fritz Langs im Jahr 1931, obendrein ein Booklet mit Szenenfotos und einem Filmessay von Sara Imogen Smith sowie auch eine Einführung zum Werk und seiner Restauration durch Eddie Muller, Gründer und Präsident der Film Noir Foundation.