Laurence Fishburne, Jeff Goldblum, Victoria Dillard, Charles Martin Smith, Gregory Sierra
© New Line Productions, Inc.
Cleveland, Ohio, an einem verschneiten Abend in der Vorweihnachtszeit des Jahres 1972: Russell Stevens (Glynn Turman) fährt mit seinem zehnjährigen Sohn Russell Stevens jr. (Cory Curtis) in die Parklücke vor einem Spirituosengeschäft. Er sei drogenabhängig, eröffnet Stevens dem eigenen Kind, und es sei sein Wunsch, dass er seinem Vater in seiner Verkommenheit nicht nachfolge, doch das alte Lamento langweilt das Kind. Der Junge will dennoch nicht, dass sein Vater mit der Pistole in Der Hand aussteigt, doch der hat nur Spott für ihn übrig. Dann überfällt Stevens Senior vor den Augen des Kindes das Geschäft und taucht mit einem Geldbündel triumphierend wieder auf, als der Ladeninhaber (Ron Thompson) den Dieb mit einer Schrotflinte hinterrücks erschießt… Zwanzig Jahre später in Cincinnati: Der weiße Polizeioffizier Carver (Charles Martin Smith) konfrontiert afro-amerikanische Streifenpolizisten mit der Frage: “Do you know the difference between a black man and a nigger?“ Als Russell Stevens jr. (Laurence Fishburne) als einziger eine Antwort gibt, die den Zyniker Carver zufriedenstellt, entschließt sich jener, ihm den Job als Undercover-Agent anzubieten, für die er seine Befragung durchführte. Als John Hull soll Stevens in Los Angeles in ein Drogennetzwerk eingeschleust werden, um die Gangster Felix Barbosa (Gregory Sierra) und Anton Gallegos (Arthur Mendoza) zu Fall zu bringen…
“There's a thin line between catching a criminal and becoming one.“ Die Geschichte dieses Films ist alles andere als neu, auch nicht für ihre Zeit, doch die Autoren Michael Tolkin und Henry Bean haben sie in ihren Wendungen und mit Blick auf die Rollencharaktere wunderbar ausgestaltet und auf den Punkt gebracht. So gelingt es Regisseur Bill Duke, uns auf dem oft besuchten Terrain einen eigenen Weg zu weisen und dank einer knackigen Dramaturgie und kompetenten Darstellern einen Neo Noir der Extraklasse abzuliefern. Ja, es gibt ein paar Klischees, die nicht hätten beinhaltet sein müssen. Wenn Russel Stevens jr. aka John Hull im Hotel Hastings seine erste Bleibe in Los Angeles findet, lernt er dort sofort die alleinerziehende Belinda (Kamala Lopez) kennen, Junkie und Mutter des zehnjährigen Chino, der Stevens/Hull schnell an seine eigene Kindheit in schwierigen Verhältnissen erinnert. Trotz einer guten Leistung von Lopez ist das folgende zu vorhersehbar, und ebenso hapert es mit dem Schlussteil des Films, der schlicht unglaubwürdig wirkt. So leicht lassen sich die alten Hasen einer Bundesbehörde nie und nimmer hinters Licht führen. Alles andere erweist sich als pointiert und teils sogar subtil, was in Anbetracht der neongefluteten Nächte in Downtown Los Angeles, wo sich der Undercover-Cop zu einem der zentralen und skrupellosen Drogendealer mausert, erstmal ein Widerspruch zu sein scheint. Doch ist es nicht die beizeiten harte Gewalt, die dem Thriller Jenseits der weißen Linie seinen Film-Noir-Charakter verleiht, es ist der Verlust eines moralischen Kompasses in allen Institutionen des Rechts, wie es der Staatsapparat in den USA als das einzig gültige und absolute behauptet und die daraus resultierende Krise des Protagonisten, der sich seit Kindesbeinen diesem Recht als dem Inbegriff von Ethik und Moral verschrieben hat.
"Deep Cover (…) goes back to traditions of 1940s film noir (...) Fishburne narrates the story much as Fred MacMurray did in Double Indemnity (1944) and allows the language of the narration to be poetic and colorful”, schrieb Roger Ebert in einer wertschätzenden Besprechung des Films von Bill Duke. Genau 13 Jahre hat Laurence Fishburne von seiner ersten Charakterrolle in Francis Ford Coppolas Apocalypse Now (USA 1979) bis zu dieser Hauptrolle in einem Neo Noir gebraucht. Und ein Mann vor allem der 90er Jahre ist er geblieben, der mit seinem Debüt (und seinem bis dato einzigem Werk) als Autor und Regisseur, dem Thriller Mit aller Härte (USA 2000), nochmals an viele Themen in Jenseits der weißen Linie anschloss. Bemerkenswert sind in Bill Dukes Neo Noir jene Darsteller, über die niemand schreibt und niemand spricht, weil sie es nie zu Starruhm brachten. Gregory Sierra und Charles Martin Smith sind ebenso wie Clarence Williams III in ihren Rollen geradezu perfekt, und sie gehören an dieser Stelle deshalb explizit erwähnt. So ist es die Geschichte im Ganzen und die Sorgfalt in den Details, die Jenseits der weißen Linie, einen heute ignorierten Neo Noir, bis auf die oben angeführten Punkte zu einem (beinahe ganz und gar) exzellenten Werk jener frühen 90er Jahre werden lässt, das dem damaligen Filmschaffen John Dahls, David Lynchs, Quentin Tarantinos oder Joel und Ethan Coens ebenbürtig ist. Empfehlenswert!
Eine polnische und eine englische DVD-Edition (2004), die den Film jeweils ungekürzt im Originalformat mit der original englischen Tonspur beinhalten, sind längst vergriffen. Insofern lohnt sich aktuell die US-DVD (2017, codefree) in der Warner Archive Collection, die den Film ebenfalls in einwandfreier Qualität bietet, optional sogar eine Version im Fernsehformat 4:3 und auch englische Untertitel beinhaltet, dazu den Kinotrailer als Extra.