Bewertung
**
Originaltitel
Saam cha kou
Kategorie
Neo Noir
Land
HK
Erscheinungsjahr
2005
Darsteller
Aaron Kwok, Daniel Wu, Ekin Cheng, Angelica Lee, Jing Ning
Regie
Benny Chan
Farbe
Farbe
Laufzeit
101 min
Bildformat
Widescreen
Hongkong: Eine junge Frau (Suet-Fei Chiu) steigt des Nachts im strömenden Regen aus einem Linienbus und geht die Straße entlang. Als sie an einem Supermarkt vorüberkommt, wird sie von So Fu On (Samuel Pang) beobachtet, der ihr sogleich folgt. Die Frau telefoniert, bemerkt ihren Verfolger jedoch und beginnt zu laufen, was So Fu On nun ebenfalls tut. Aber sie hat Glück, denn an der nächsten Ecke wartet ihre Freundin, deren Ehemann ebenfalls in der Nähe ist. Der Verfolger bleibt zurück, wird unerwartet von hinten ergriffen und mit einer Drahtschlinge erdrosselt… Zwei Monate später: In einer aus Kanada kommenden Linienmaschine sitzen der Polizeibeamte Suen Yiu Yan (Aaron Kwok) und sein Gefangener Hung Chi Man (Patrick Chow), der wegen Geldwäsche verhaftet wurde und im Prozess gegen Yiu Tin Chung (Gallen Law) als Kronzeuge dienen soll. Als der mit Handschellen an Suen gekettete Hung auf die Toilette geht, begleitet ihn der Polizist und sieht eine junge Frau (Angelica Lee), von der er nicht die Augen wenden kann und die ihn anlächelt. Als der schwergewichtige Hung und sein Begleiter an ihren Platz gehen, sieht ihm die gleiche Frau (Phoebe Fung) erstaunt nach. Am Flughafen in Hongkong warten Suens Kollegen mit mehreren Fahrzeugen, um Hung Chi Man aufs Polizeirevier zu eskortieren. Aber hoch über ihnen hat sich auf einem der umliegenden Gebäude ein Attentäter (Daniel Wu) postiert. Als sich die Kolonne in Bewegung setzt, bringt jener den Kronzeugen mit zwei gezielten Schüssen um. Zugleich kollidieren die Fahrzeuge und Polizisten taumeln orientierungslos über die nächtliche Fahrbahn…
”With its visual style and obsessive lead character, Divergence comes close to creating a contemporary Hong Kong film noir,” schreibt Andy Willis in dem von Chi-Yun Shin und Mark Gallagher editierten Buch East Asian Film Noir (2015). Allerdings! Und der Film erweist sich auch mit Blick auf eine verschachtelte Erzählstruktur voller Rückblenden, die die Rollencharaktere in deren Vergangenheit zueinander in eine komplexe Beziehung setzen, als mehr vom Film Noir definiert als viele sonstige Hongkong-Thriller, denen dieses Prädikat zuerkannt wird. Anthony Pungs Kameraarbeit ist bestechend, die Geschichte im Lauf der ersten 70 Minuten verblüffend inszeniert und Benny Chan weiß als Regisseur, wie man der Dramaturgie Beine macht. Eine Verfolgungsjagd, die auf dem Fischmarkt endet, ist grandios inszeniert, der vom Verschwinden seiner Freundin (Angelica Lee) heimgesuchte Polizist Suen Yiu Yan wird von Aaron Kwok überzeugend verkörpert. Auch Daniel Wu liefert als Killer Koo eine seiner gewohnt guten Leistungen ab, zudem erweist sich die Wahl der Schauplätze in der Metropole Hongkong einmal mehr als vorbildlich für ein Thrillerkino solcher Art. Hier kann nicht mehr viel schiefgehen, denkt sich der Zuschauer nach den ersten 70 Minuten, und liegt damit leider falsch.
“Divergence is as well-produced as any Hollywood thriller, but its screenplay is generally uninvolving and, at the end, predictable yet infuriatingly absurd and unsatisfying”, schreibt Stuart Galbraith IV für DVD Talk. Ich würde hier sogar weiter gehen. Das Finale zerstört diesen Film vollständig. Mit der Zusammenführung bzw. Auflösung der Handlungsstränge und aller Rätsel seiner Geschichte offenbart sich die bis ins Extrem gesteigerte Konstruktion als völlig hohl und geradewegs lächerlich. So einen Stuss hat selten mal ein Film ernsthaft seinen Zuschauern zugemutet, randvoll mit Koinzidenzen, die in der Summe ein Maß der Unglaubwürdigkeit ergeben, dass man beim Abspann bestenfalls den Kopf schütteln kann. In Divergence erweisen sich im Rückblick auf die technisch ausgefeilte Erzählstrategie weder die Psychologie einzelner Charaktere – allen voran die des Rechtsanwalts To Hou Su (Ekin Cheng) – noch die pragmatisch ihren diversen Geschäftspraktiken geschuldeten Handlungen als logisch oder nur gerechtfertigt. Schon zu Beginn des Films wollen Einzelheiten nicht einleuchten. Am Flughafen zeigen die Anzeigetafeln, dass es Abend ist, auch das Attentat findet bei Dunkelheit statt, doch sofort darauf ist es Tag und der Kronzeuge ist „heute um 15:20 Uhr“ erschossen worden. Der Attentäter feuert auf die Autokolonne, die mit hohem Tempo weiterfährt, in ein Heckfenster, das für ihn undurchsichtig ist, und er trifft genau sein Ziel … Wirr ist auch das im Anschluss ans (völlig überblasene und pathetische) Finale angeklebte Ende, das einen Auftragsmord nahelegt, der zuvor anderweitig zugeordnet worden war, ob nun richtig oder falsch!? Die letzte halbe Stunde von Divergence hätte um Längen besser ausfallen können - und müssen. Der Film hatte in mehrfacher Hinsicht das Potential dafür, verspielt es aber vollständig und hinterlässt den Zuschauer enttäuscht und genervt.
Sehr gute DVD-Edition der Koch Media GmbH (2006) mit dem Film ungekürzt im Originalformat, Tonspuren auf Kantonesisch oder Deutsch, optional deutsche Untertitel. Schon der englische Titel ergibt mit Blick auf die Filmhandlung kaum Sinn, der deutsche DVD-Titel (der Film lief hierzulande nicht im Kino) ist Hongkong Crime Scene und scheint lediglich auf einen Thriller in und aus Hongkong verweisen zu sollen. Ein Making of, der Kinotrailer und eine Fotogalerie runden die Edition als deren Extras.