Bewertung
***
Originaltitel
Decoy
Kategorie
Film Noir
Land
USA
Erscheinungsjahr
1946
Darsteller
Jean Gillie, Edward Norris, Sheldon Leonard, Robert Armstrong, Herbert Rudley
Regie
Jack Bernhard
Farbe
s/w
Laufzeit
76 min
Bildformat
Vollbild
Über dem dreckigen Waschbecken im Hinterzimmer einer Tankstelle wäscht sich Dr. Craig (Herbert Rudley) seine Hände, bevor er aus der Tür auf eine staubige Landstraße wankt. Per Anhalter fährt er die 75 Meilen nach San Francisco, betritt ein Apartmenthaus und lässt sich vom Liftboy (Donald Kerr) sechs Stockwerke nach oben fahren. Er klopft an die Tür der Nummer 6D, wo ihm eine Haushälterin (Virginia Farmer) freudig öffnet und ihn begrüßt. Indessen fährt auch Sergeant Joseph Portugal (Sheldon Leonard) die sechs Stockwerke empor. Kaum ist er angekommen, hört er einen Schuss. Er gibt dem Liftboy den Auftrag, die Polizei und einen Krankenwagen zu rufen, und betritt das Apartment 6D. Hier bricht der tödlich verwundete Dr. Craig soeben zusammen. Margot Shelby (Jean Gillie) liegt, von dem Schuss getroffen, auf dem Boden. Joseph Portugal träft sie aufs Sofa, wo sie ihn eindringlich um eine Truhe bittet, die aufgebrochen wurde. Sodann erzählt sie Jo Jo, wie Margot Shelby den Polizisten nennt, endlich ihre Geschichte… Margots Freund Frankie Olins (Robert Armstrong) hatte einen Geldtransporter überfallen und dabei 400.000 US-Dollar erbeutet. Doch wurde er gefasst und des Mordes am Fahrer angeklagt und bald darauf zum Tode verurteilt. Weder die Polizei noch Margot wussten, wo Olins die erbeutete Summe versteckt hatte. Dem war vor allem daran gelegen, seine Haut zu retten, wofür er sich von seinem Kumpel Jim Vincent (Edward Norris) das nötige Geld vorstrecken lassen musste. Er ahnte nicht, dass der inzwischen selbst mit Margot liiert und beide darauf aus waren, an Olins’ Beutegeld zu kommen…
“Don't let the face of yours go to your head.” Sheldon Leonard hat als Sergeant Jo Jo die besten Sätze und ist in jeder Szene der Tough Guy, der über die Verwicklungen solcher Geschichte schließlich die Kontrolle gewinnt. Leider ist die Geschichte selbst enorm stereotyp, insofern sie die Versatzstücke ihrer Vorbilder wie Spielkarten aus dem Ärmel zieht, was weder originell wirkt noch von den beteiligten Darstellern auf ein akzeptables Niveau gehoben wird. Bereits 1946, so hat man den Eindruck, weiß der Regisseur Jack Bernhard nach den Film-Noir-Erfolgen von Regisseuren wie Billy Wilder mit Frau ohne Gewissen (1944) oder Edward Dmytryk mit Murder, My Sweet (1944) deren Themen und Struktur mit Hilfe einer Geschichte von Produzent und Drehbuchautor Stanley Rubin zu einem eigenen Werk zu verwursten. Das ist nicht völlig misslungen, aber an vielen Stellen im Grenzbereich der Selbstparodie. Sheldon Leonard ist gut, aber ein Dick Powell oder Humphrey Bogart ist er nicht. Die erste Begegnung von Jean Gillie mit der Sprechstundenhilfe (Marjorie Woodworth) von Dr. Craig ist so hölzern, dass es an Schülertheater erinnert. Hier und an anderen Stellen scheitert der Film an seiner Zugehörigkeit zur B-Kategorie und an der Vorhersehbarkeit von Formeln, deren er sich bei weitem zu lieblos bedient. Was Edgar J. Ulmer mit Umleitung (USA 1945) gelang, nämlich einen billigen B-Film zu einem originellen Film-Noir-Vehikel aufzuwerten, gelingt Jack Bernhard mit Blonder Lockvogel nicht.
Heutige Film-Noir-Freunde schätzen den Film aufgrund jener von Jean Gillie überaus schonungslos und glaubwürdig umgesetzten Femme fatale Margot Shelby. Diese reicht ans sublime Spiel von Barbara Stanwyck, Claire Trevor oder Gloria Grahame jedoch nicht heran. So kommt Tony D’Ambra für filmsnoir.net zu dem nüchternen Schluss: ”An overblown plot, average acting, and pedestrian direction add up to another camp oddity (…), despite a fair effort by Jean Gillie as the maniacal femme-criminale.” Viele andere Filmkritiker neigen bei ihren Ausgrabungen weit zurückliegender B-Filme mitunter zu Fehleinschätzungen. Das Feld waschechter Film-Noir-Klassiker ist ein überschaubares. Hier muss man sich keinen Illusionen hingeben. Befeuert wurde der Kultstatus von Blonder Lockvogel frühzeitig durch den Tod Jean Gillies, zu Zeiten des Drehs die Ehefrau des Regisseurs Jack Bernhard. Sie verstarb im Februar 1949, erst 33 Jahre alt, in ihrer englischen Heimat an einer Lungenentzündung, nachdem sie 1947 noch an der Seite Gregory Pecks in Zoltan Kordas Affäre Macomber (USA 1947) nach Ernest Hemingway mitgewirkt hatte. Im Anschluss an die Scheidung von Bernhard hatte sie eine Fortsetzung ihrer Theater- und Filmkarriere in England geplant. Alles in allem ist Blonder Lockvogel für den Film-Noir-Freund zwar leidlich genießbar, aber definitiv kein Muss.
Der Film erschien 2007 in den USA in der mit 10 Filmen bestückten 5-DVD-Box Film Noir Classic Collection Vol. 4 (Regionalcode 1) von Warner Bros. - bildtechnisch topp, ungekürzt im Orioginalformat, mit englischer Tonspur und optional französischen oder englischen Untertiteln.