Film Noir
| USA
| 1947
| Anatole Litvak
| Charles McGraw
| Elisha Cook jr.
| Henry Fonda
| Vincent Price
| Will Wright
| Ann Dvorak
| Barbara Bel Geddes
Bewertung
***
Originaltitel
The Long Night
Kategorie
Film Noir
Land
USA
Erscheinungsjahr
1947
Darsteller
Henry Fonda, Barbara Bel Geddes, Vincent Price, Ann Dvorak, Howard Freeman
Regie
Anatole Litvak
Farbe
s/w
Laufzeit
96 min
Bildformat
Vollbild
Der aufgrund einer Kriegsverletzung erblindete Frank Dunlap (Elisha Cook jr.) kehrt eines Nachmittags in das Apartmenthaus zurück, wo er im dritten Stock eine Wohnung hat. Auf dem Treppenabsatz im Erdgeschoss hört er einen Schuss, indessen im Dachgeschoss ein Herr in Hut und Mantel (Vincent Price) aus einer Wohnungstür torkelnd die Treppe hinunter fällt. Dunlap stößt auf den regunslos liegenden Körper und ruft nach Mr. Tully (Will Wright), dem Hausmeister… Kurz darauf versammelt sich vor dem Haus eine aufgeregte Menge; die Leute spekulieren über den Vorfall, und bald fährt auch Sheriff Ned Meade (Howard Freeman) vor, der sich vom Streifenpolizisten Stevens (Charles McGraw) über den Stand der Dinge informieren lässt. Der einzige im Haus befindliche Mieter im Dachgeschoss ist Joe Adams (Henry Fonda), doch als die Polizei ihn zum Verlassen seiner Wohnung auffordert, schießt er mehrmals durch die Tür. Die Beamten riegeln das Haus ab und beginnenmit der Belagerung des Hauses. Indessen erinnert sich Joe Adams, wie alles begann, nachdem er aus dem Krieg in seine Heimatstadt zurückgekehrt war. Mit seinem Freund Bill Pulanski (David Clarke) arbeitete er auf einer Schicht in der ortsansässigen Metallindustrie, als sich das Blumenmädchen Jo Ann (Barbara Bel Geddes) mit einem Gebinde für die Gechäftsleitung auf dem Werksgeklände verirrte und Joe Adams um Hilfe bat…
Die lange Nacht ist Hollywoods Remake eines Klassikers des Poetischen Realismus in Frankreich, nämlich Marcel Carnés Der Tag bricht an (FRA 1939). Carnés 18 Jahre älteterer Film mit Jean Gabin, Arletty, Jules Berry und Jacqueline Laurent in den Rollen von Henry Fonda, Ann Dvorak, Vincent Price und Barbara Bel Geddes ist (fast) ein Meisterwerk. Anatole Litvaks US-Version - im Jahr 1947 ein Riesenflop für das Studio RKO - ist so ziemlich das Gegenteil und zwar aufgrund der Zensur durch den rigiden Hays Code, der die für die Dramatik der Geschichte relevanten sexuellen Spannungen zwischen den vier Charakteren (und die bei Carné prominente Sozialkritik) komplett verbannt. Die Naivität Jo Anns, die mit “Maximilian the Great“ (Vincent Price) eine Affäre hat, ist lächerlich und enervierend. Ann Dvoraks Charlene ist im Vergleich zu Arlettys Clara, die sie äußerlich imitiert, eine Anhäufung von Klischees und hat nichts von der schillernden Persönlichkeit, die Clara in Der Tag bricht an zu einer zentralen Figur werden lässt. Henry Fonda spielt gegen die Widersprüche seiner Rolle an und verliert. Während Gabins François ein facettenreicher, komplexer Charakter ist, erscheint Fondas Joe unglaubwürdig. Mit aller Gewalt zwängt Hollywood den in Joe und Jo umbenanten François und Françoise sein Gut-Böse-Kostüm über, die sie zum lieben Mädchen und zum anständigen Arbeiter stilisieren, was sie in Carnés Original nicht sind. Demgegenüber ist Prices Maximilian ein Bösewicht ohne Tragik und ein weiterer Schauspieler auf verlorenem Posten. Es ist der Hays Code und John Wexleys Drehbuch, das Jacques Viots Erzählung in die Form von “Good Clean Fun“ zu pressen sucht, was Die lange Nacht ruiniert.
Noch hinter der Kamera beweisen die Leute, was in ihnen steckt. Anatole Litvaks Regie ist dynamisch und Kameramann Sol Polito (Chicago – Engel mit schmutzigen Gesichtern, 1939) zeigt, wie ein Film Noir aussehen muss. Die sich über die gesamte Dauer hinstreckenden Eindrücke der Dachstube von Joe Adams sind wie in Carnés Original wunderbar inszeniert und wirken nie bühnenhaft starr. Auch die Dramaturgie der Rückblenden folgt dem Original, ebenso wie die Kulissen in auffälliger Weise an die tristen Stadtbilder Frankreichs im Jahr des Kriegsausbruchs erinnern. Implizit gibt es vieles, was gelingt und durch die groteske Widersprüchlichkeit der Handlung sodann vor die Wand gefahren wird. Wie Joe Adams’ Beziehung zu Charlene als spartanisch kaschiert werden soll, indessen die Inszenierung Marcel Carnés Film folgt, ist einfach dämlich. Die Dramatik zwischen Joe und Jo, die das Finale auszeichnet, ist komplett “over the top“, und das Ende des Films ist nicht nur das Gegenteil desjenigen von Der Tag bricht an sondern eine Travestie gegenüber der Geschichte. Es macht dem Zuschauer deutlich, warum er mit diesen Rollencharakteren schon seit über 90 Minuten nicht viel anfangen kann. Barbara Bel Geddes wirkte bis 1950 noch in einigen Film Noirs mit, bevor sie (ab 1978) als Miss Ellie Ewing in der TV-Serie Dallas ihre Karriere endgültig versenkte. Anatole Litvak drehte direkt im Anschluss den um Längen besseren Film Noir Du lebst noch 105 Minuten (1948) und alsdann sein Meisterwerk Die Schlangengrube (1948).
Recht gute DVD-Edition der englischen Orbit Media Ltd. (2005), die den Film in einer bildtechnisch soliden Fassung beinhaltet, ungekürzt im Originalformat und ohne Extras, allerdings mit einer leisen und teils schwer verständlichen Tonspur.