Bewertung
****
Originaltitel
La peau douce
Kategorie
Post Noir
Land
FRA
Erscheinungsjahr
1964
Darsteller
Jean Desailly, Françoise Dorléac, Nelly Benedetti, Daniel Ceccaldi, Laurence Baddie
Regie
François Truffaut
Farbe
s/w
Laufzeit
113 min
Bildformat
Widescreen
Paris: Der wohlhabende Literaturkritiker und Herausgeber eines Journals, Pierre Lachenay (Jean Desaily), ist gehörig in Eile, als er aus dem Büro nach Hause kommt. In gerade mal 40 Minuten startet vom Flughafen in Orly eine Passagiermaschine, die den berühmten Mann nach Lissabon bringen soll, wo er gemäß seinem gleichnamigen Buch einen Vortrag über Balzac und das Geld halten wird. Kaum sieht Pierre noch eine Chance, die Maschine zu erreichen, aber seine Frau Franca (Nelly Benedetti) beschwichtigt ihn und der Hausfreund Clément (Daniel Ceccaldi), der mit seiner Frau Odile (Paule Emanuele) zu Besuch ist, bietet sich sofort an, ihn mit dem Auto dorthin zu bringen. Auch Lachenays Tochter Sabine (Sabine Haudepin) möchte mitfahren. So rasen sie zu dritt über die Autobahn nach Orly, als ein Motorradpolizist auf das zu schnell fahrende Auto aufmerksam wird und sie verfolgt. Doch Pierre springt aus dem Wagen, erreicht den Abfertigungsschalter und wird gerade noch rechtzeitig übers Rollfeld an Bord der Maschine gelotst. Während des Fluges wird Lachenay kurz auf die Flugbegleiterin Nicole (Françoise Dorléac) aufmerksam, die ihrerseits mit ihm Blickkontakt sucht, als sie erfährt, wer er ist. Beim Verlassen des Flugzeugs in Lissabon will es der Zufall, dass die Journalisten Lachenay mit ihr zusammen ablichten, bevor sie sich auf getrennten Wegen ins gleiche Hotel verfügen. Erst als Pierre Lachenay in Begleitung des Veranstalters vor Ort (Carnero) sein Hotel wieder verlässt, sieht er Nicole aus dem Augenwinkel dessen Treppe ersteigen…
„François Truffaut erzählt die angebliche Liebesgeschichte als einen geradlinigen Kriminalfilm“, liest man auf der deutschen DVD-Edition (2011) von Arthaus / Studiocanal. Das macht bereits deutlich, dass es sich hier nicht um die übliche Romanze mit melodramatischen Untertönen handelt. Was verhältnismäßig leise beginnt, steigert sich zusehends, gewinnt gehörig an dunkler Dramatik und endet unerwartet konsequent. Die Filmkritik war seinerzeit enttäuscht, dass Truffaut nach dem internationalen Erfolg von Jules und Jim (FRA 1962) ohne die Gimmicks der Nouvelle Vague aufs Terrain linearen Erzählens zurückkehrte und dem Thrillerkino Alfred Hitchcocks huldigte. Man empfand das als Rückschritt: “Made in 1964, the film's noirish feel disappointed many of his fans at the time”, hieß es 2011 aus Anlass der Wiederaufführung bei Back Alley Noir. Dabei beginnt die Erzählung keinesfalls wie ein Film Noir. Bei an Hitchcock erinnernder musikalischer Untermalung werden die Familie Lachenay und der Kulturmensch Pierre vorgestellt - Parameter bourgeoiser Ausgeglichenheit anhand von Menschen, die vollendet selbstsicher und ausgereift agieren. Auch als die quirlige Flugbegleiterin ganz in Lachenays Wahrnehmung einschlägt und der Zuschauer dem einsamen Mann durch ein anonymes Hotelzimmer folgt, ist das kein Fall für Anhänger des Film Noirs der Vierziger und Fünfziger. Schleichend und unmerklich erst ändert Truffaut den Ton. So gerät Lachenay - wie Protagonisten in Romanen Georges Simenons - nur langsam (aber sicher) aus der Bahn. Schließlich kann er die inneren Konflikte nicht eindämmen, so dass sie ins Außen driften und für fremde Augen und Ohren sichtbar werden. Dass er damit eine Katastrophe in Gang setzt, ahnt er bis zum Schlusspunkt des Dramas selbst nicht im Geringsten.
© Concorde Home Entertainment GmbH
“This surprisingly carnal film is pitched halfway between noir and male fantasy”, schrieb das New York Magazine. Das trifft es, denn im zweiten Teil gibt der Regisseur sich im Umgang mit dem Stoff in all seiner Raffinesse zu erkennen und spitzt die Dramaturgie in aller Seelenruhe zu. Plötzlich wird aus der romantischen Begegnung ein geradezu verzweifelter Wettlauf wider die innere Schwäche und den Zwist im Herzen Pierre Lachenays. Nicole wandelt sich nun ebenso wie Franca, die Pierre - wie damit zwangsläufig auch der Zuschauer - bis dato völlig verkannt hat und die zum Racheengel wird. Neben dem Kameramann Raoul Coutard ist auch das Casting bemerkenswert; Jean Desailly und Nelly Benedetti sind großartig. Für Françoise Dorléac bedeutete Die süße Haut neben ihrer Rolle zur Seite Jean-Paul Belmondos in Philippe de Brocas brillanter Agentenposse Abenteuer in Rio (ITA/FRA 1964) den Durchbruch. Die Schauspielerin war die ältere Schwester von Catherine Deneuve, die ihre ersten Engagements seinerzeit dem aufkommenden Starruhm der Älteren zu verdanken hatte. Einst mit Jean-Pierre Cassel liiert, - Vater von Vincent Cassel (Tödliche Bekenntnisse, FRA 2001) - starb Françoise Dorléac 1967 im Alter von nur 25 Jahren bei einem Autounfall in der Nähe von Nizza.
Erstklassige DVD-Ausgabe von Arthaus /Studiocanal (2011), bildtechnisch topp, ungekürzt im Originalfomat, deutsche oder französische Tonspur, optional deutsche Untertitel, eine Einführung durch den Truffaut-Biografen Serge Toubiana und den Kinotrailer als Extras. Der Film findet sich mit drei weiteren Werken des Regisseurs zudem in der 4-BD- bzw. 4-DVD-Box (2016) betitelt François Truffaut Collection Vol. 2 beinhaltet, sowohl bild- und tontechnisch als auch preislich die defintive Edition via Concorde Home Entertainment GmbH, mit dem französischen Originalton plus alternativ der deutschen Tonspur, optional deutsche UT und mit einer Präsentation der Filme durch Truffaut-Biograf Serge Toubiana, mit diversen Interviews, den original Kinotrailern und entsprechenden Audiokommentaren als Extras. Unbedingt zu empfehlen!