Pre Noir
| France
| 1937
| Henri La Barthe
| Julien Duvivier
| Jean Gabin
| Marcel Dalio
| Mireille Balin
Bewertung
*****
Originaltitel
Pépé le Moko
Kategorie
Pre Noir
Land
FRA
Erscheinungsjahr
1937
Darsteller
Jean Gabin, Mireille Balin, Line Noro, Lucas Gridoux, Gabriel Gabrio
Regie
Julien Duvivier
Farbe
s/w
Laufzeit
94 min
Bildformat
Vollbild
In den labyrinthischen Gassen des Viertels Kasbah in Algier leben Gauner und Gangster aus allen Teilen Europas sicher vor dem Zugriff der Polizei. Der Gesandte Janvier (Phillippe Richard) aus Paris ist außer sich, dass es Inspektor Meunier (René Bergeron) seit zwei Jahren nicht gelingt, den Gangster Pépé le Moko (Jean Gabin) darin aufzuspüren und gefangen zu setzen. Eine von Janvier initiierte Razzia wird zum Debakel. Zwar wird Pépé von dem Informanten Régis (Fernand Charpin) verraten, doch kann er mit seiner Freundin Inéz (Line Noro) nach einer Schießerei über die Terrassen, Dächer und Balkone der verwinkelten Kasbah entkommen. Dabei stößt er auf Gaby (Mireille Balin), eine Touristin aus Paris, die sich an diesem Abend auf einer Führung durch die Gassen der Altstadt befindet. In Begleitung Inspektor Slimanes (Lucas Gridoux), eines in der Kasbah geduldeten Polzisten, der mit den Gangstern befreundet tut, entspinnt sich ein Plausch. Slimane begreift schnell, dass Gaby für die Festnahme Pépés ein idealer Lockvogel wäre. Auch Régis will sich nach der missglückten Polizeiaktion profilieren und schlägt vor, Pépés Freund Pierrot (Gilbert Gil) eine tödliche Falle zu stellen…
Wer wissen möchte, warum Jean Gabin unter Cineasten bis heute als Legende gilt, sollte sich Pépé le Moko - Im Dunkel von Algier ansehen. Gabin füllt die Rolle des tragischen Gangsters und Frauenliebhabers Pépé mit Haut und Haar - mit jedem Zucken seiner Mundwinkel und jedem Augenaufschlag. Dieses dunkle Drama, das so viele der Themenkreise klassischen Film Noirs vorweg nimmt und die Kasbah, usprünglich arabische Bezeichnung für eine Burg und hier der Name eines ganzen Stadtviertels in Algier, zum Zentrum der so stilsicheren wie traumwandlerischen Fotografie erkor, ist ein Meisterwerk. Nicht nur Jean Gabin als die perfekte Besetzung der männlichen Hauptrolle, auch alle anderen Darsteller, heute großteils vergessen, sind exquisit – Gabriel Gabrio als der vierschrötige Gauner Carlos, Lucas Gridoux als der skrupellos falsche Inpektor Slimane und natürlich Mireille Balin als die Mätresse Gaby Gould - Femme fatale par excellelence.
Erstaunlich ist, dass dieser französische Film des Jahres 1937 aus seinen abgründigen Charakteren keinen Hehl macht. Zweifellos ist Gaby Gould das bezahlte Callgirl des reichen Franzosen Maxime (Charles Granval) auf Reisen. Vor allem Prostitution, Diebstahl und Hehlerei sind die Einnahmequellen der Exilanten in der Kasbah. Die Polizei kann ihrer mit roher Gewalt nicht habhaft werden. Folglich ist ihr kein Trick zu schmutzig, um sie in ihre Fänge zu locken. Bestechung, Verrat, Lügengebäude und jede Art von Hinterhalt sind die gängigen Methoden. Inspektor Slimane ist der Inbegriff der Falschheit, ein Mephisto in Menschengestalt, scheinbar jovial und fatalistisch – im Inneren eiskalt und berechnend. Pépé le Moko - Im Dunkel von Algier, Opus Magnum des französischen Regisseurs Julien Duvivier, deutet das nicht bloß an, sondern zeigt es ganz explizit. Die Kasbah ist Pépés Burg - das Spiel mit der Wortbedeutung wird verschiedentlich genutzt - und zugleich äußerer Ausdruck schicksalhafter Gefangenschaft, aus der es für die Flüchtigen kein Entrinnen gibt.
© Studiocanal GmbH
Dieser Klassiker französischen Filmschaffens und Vorreiter der Ära des Film Noirs zeigte schon bald, wie einflussreich er war. Nicht nur erinnern Michael Curtiz’ Casablanca (USA 1942) in Sachen Lokalkolorit und Dramaturgie sowie Carol Reeds Ausgestoßen (UK 1947) im Finale an Julien Duviviers Pre Noir. Zweimal versuchte Hollywood sich sogar an einem Remake: bereits 1938 unterm Titel Algiers mit Charles Boyer und Hedy Lamarr in den Hauptrollen sowie erneut 1948 als Musical (!) Casbah – Verbotene Gassen mit Yvonne de Carlo und mit Peter Lorre als Inspektor Slimane. Trotz guter Besetzung erwies sich insbesondere der zweite Film als gänzlich verwässerte und romantisierte Version des düsteren, eindrücklichen Originals. Solche Scheu und Distanz Hollywoods gegenüber dem Original hatte seine Gründe: „Anders als im amerikanischen Film ist etwa der Gangster hier eine – poetische – Gestalt des Außenseitertums, (…) weil er (…) aus seinem Wesen heraus mit der Gesellschaft im Kampf liegt; in der Kriminalität findet dieser Gangster seine Identität wie der Sänger in seinem Lied“, schreibt Georg Seeßlen über Julien Duviviers Pépé le Moko – Im Dunkel von Algier (in: Kino der Angst, 1980).
Pépé le Moko - Im Dunkel von Algier liegt weltweit in Fassungen unterschiedlicher Qualität vor. Zu empfehlen sind neben der exzellenten französischen Edition bei Studio Canal vor allem die Ausgaben der Criterion Collection aus den USA (in Deutschland nicht erhältlich) und diejenige von Optimung Releasing Ltd. in England: Originalton mit englischen Untertiteln, ungekürzte Spielzeit im Originalformat, bildtechnisch einwandfrei. Ein Muss!